Wenn die Weinbergheizung qualmt

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Sie gehören zu Braubach ebenso wie die Marksburg, längst sind sie ein Wahrzeichen der Stadt geworden: die drei Schornsteine auf dem Berg Pankert. Im Mittelrheintal nennt man sie liebevoll „die Weinbergheizung“. Demnach gibt es ein Heizsystem in den Weinbergen der Region, und wenn das in Betrieb ist, steigt Qualm aus den Schornsteinen auf. Touristen wie Einheimische scheinen hin und wieder sogar auf diesen Scherz hereinzufallen. Aber auch jene, die wissen, dass es natürlich keine Weinbergheizung gibt, liegen anscheinend meist in dem Glauben, dass die Anlage längst stillgelegt wurde. Ein Irrglaube, denn gerade in den vergangenen Wochen konnte man beobachten, wie weißer Qualm aus zweien der drei Schornsteine aufstieg. Zeit für mich also, der Sache mal nachzugehen.

Dass die Schornsteine zu BSB-Recycling gehören, einer sogenannten Sekundärbleihütte, die am Ortsausgang von Braubach in Richtung Taunushöhen liegt, ist zügig recherchiert. Und auch ein Termin am Ort ist schnell vereinbart. Bevor ich jedoch mit Geschäftsführer Dr. Stefan Jeßen und der Leiterin der Unternehmenskommunikation, Sabine Flemming, an einem Tisch sitzen kann, gilt es für mich noch eine kleine Hürde zu nehmen. An einem Computer am Eingang des Firmengeländes muss ich mich als Gast eintragen und eine Sicherheitsunterweisung durchlesen. Schon da wird mir klar, hier wird wohl kein Papier recycelt.

Nein, die Firma ist spezialisiert auf das Recyceln von Batterien. Nicht aber kleine AA- oder AAA-Batterien, wie wir sie aus dem Haushalt kennen, sondern vor allem Auto- und Lkw-Batterien – sogenannte Bleisäurebatterien. Sogar große Batterieelemente von U-Booten wurden hier schon recycelt. Das kommt aber eher selten vor, erklärt Jeßen. Dann nämlich, wenn die Bundeswehr eine Ausschreibung für einen solchen Auftrag erteilt. Und so groß ist die deutsche U-Boot-Flotte ja nun mal nicht. Die anderen Batterien hingegen kommen aus ganz Deutschland und dem nahen Ausland nach Braubach.

Das zweite Standbein der Firma ist die Herstellung von Polypropylen, einem Kunststoff, der in Granulatform beispielsweise an internationale Automobilhersteller geliefert wird. Einen Teil des Kunststoffs gewinnt das Unternehmen aus den Gehäusen der Batterien, der Rest wird zugekauft. Zwischen 30 und 80 Lkw mit je 30 bis 40 Tonnen Ladung verkehren daher täglich am Tor der Firma. Im Schnitt werden täglich 250 Tonnen sekundäre Rohstoffe angeliefert. Ein Leitsystem mit Ampelanlage und Kamerasystem regelt die An- und Abfahrt der Lkw. Aufgrund der engen Tallage des Firmengeländes könnte es sonst wohl schnell chaotisch zugehen.

100 Mitarbeiter beschäftigt BSB-Recycling, der Jahresumsatz liegt bei 100 Millionen Euro. Damit ist die Firma der größte Arbeitgeber in Braubach. Und europäischer Marktführer in der Produktion von hochwertigen Polypropylen-Kunststoffen aus recycelten Materialien. 1977 wurde die bereits im 17. Jahrhundert gegründete Blei- und Silberhütte zur Sekundärbleihütte umgerüstet. Heute zählt sie zu den modernsten in Deutschland. Jährlich werden im Schnitt 20 000 Tonnen Blei und 45 000 Tonnen Polypropylen-Kunststoff produziert.

Doch welche Rolle spielen bei den Produktions- und Recycling-Prozessen nun die drei markanten Schornsteine auf dem Pankert? Errichtet wurden sie bereits in den Jahren 1888, 1898 und 1910, sie waren also auch schon ein Teil der ehemaligen Blei- und Silberhütte, wo das in der Umgebung abgebaute Blei-, Zink-, und Silber-Erz verarbeitet wurde. Der damals anfallende Hüttenrauch wurde über Abgaskanäle auf die Höhe geführt. Damit gilt die Anlage als einer der ersten Versuche in Sachen Immissionsschutz.

Heute sind die Schornsteine Teil eines komplexen Filtersystems der Firma BSB-Recycling. Und sie sind entgegen der Erwartung einiger Menschen aus der Region auch noch 24 Stunden, fünf Tage die Woche in Betrieb. „Sobald in unseren Kurztrommelöfen Blei erhitzt wird, werden auch die Schornsteine aktiviert“, erklärt Stefan Jeßen. Allerdings sind nur noch zwei von drei Schornsteinen an die Anlage angeschlossen. Und wenn die Außentemperatur höher als 10 Grad ist, ist nicht zu erkennen, ob die Schornsteine in Betrieb sind. Denn was dort aufsteigt, ist nichts weiter als gefilterte, warme und feuchte Luft. Wenn die Umgebungstemperatur kälter ist als die ausgestoßene Luft, ist das eben als Rauchwolke, als „weiße Fahne“, von weither sichtbar.

Die drei Schornsteine sind übrigens entgegen meiner Erwartung kein Industriedenkmal. „Sie stehen aber derzeit nicht zur Disposition, sollen also erhalten bleiben“, sagt Jeßen. Einmal im Jahr werden sie daher im Auftrag von BSB-Recycling von einer Fachfirma gewartet. Bei Bedarf werden Fugen erneuert oder andere Sanierungsarbeiten vorgenommen. Zwar sind die Schornsteine damit sicher, öffentlich zugänglich sind sie aber dennoch nicht. Das Gelände drum herum ist für Wanderer oder Spaziergänger gesperrt.

Damit ist der Mythos der „Weinbergheizung“ nun wohl endgültig zerschlagen. Und dennoch wird er natürlich weiterleben, was schön ist. Auch ich habe diese Erklärung längst in mein Mittelrhein-Repertoire aufgenommen und erzähle sie gern weiter. Ebenso übrigens wie die Legende von den Zwergen, die die Marksburg herunterkurbeln. Behaltet die Burg mal im Auge, wenn ihr von Osterspai kommend auf der Bundesstraße in Richtung Braubach fahrt. Langsam verschwindet die Marksburg hinterm Berg. Auf die Suche nach den Zwergen begebe ich mich aber nun nicht mehr. Vielleicht ist das eine Geschichte für Burgenblogger Nummer fünf…

 

Und hier einige Fotos zum Durchklicken. Sabine Flemming von BSB-Recycling war so freundlich, mir einige Fotos zur Verfügung zu stellen. Denn zum einen war es für mich aus Sicherheitsgründen nicht möglich, alle Produktionsbereiche zu betreten. Und zum anderen waren während meines Besuchs auch gar nicht alle Produktionsschritte in Gang. Die letzten elf Bilder der Galerie stammen daher von BSB-Recycling.

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