Von Schubladen und Lieblingssesseln: Ein Bummel aus anderem Blickwinkel

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Uschis Lieblingsorte sind Einkaufszentren. Ich sitze mit ihr im Koblenzer Löhr-Center und esse Eis. Uschi und ich sind zu einer Stadtführung verabredet, doch statt Deutschem Eck, Festung Ehrenbreitstein oder Schängelbrunnen besuchen wir das Löhr-Center und das Forum, Koblenz’ – eben Einkaufszentren.

Uschi, die eigentlich Ursula heißt, ist 58 Jahre alt. Ihre Augen haben ein leichtes grün, wie die Emerald Lakes in Kanada. Klar und katzenartig beobachtet sie die Umgebung, während sie aus ihrem Eiskaffee die Sahne löffelt.

Für mich werden Einkaufszentren schnell zu einer Reizüberflutung, denke ich, für Uschi sind sie Erholung. Sie habe einen Lieblingssessel, auf dem sitze sie manchmal nach Feierabend und entspanne sich, erzählt sie mir. Kaufen wolle sie hier gar nichts, einfach da sein und Menschen beobachten, unter ihnen sein.

Zugegeben, das kann man hier gut, unter Menschen sein und sie beobachten: Da gibt es die hektisch stöbernden Käufer, deren Stresslevel höher ist als an so manchem Arbeitsplatz, euphorisch aufgeladene Teenager, die das erste Mal ohne Eltern einkaufen gehen, oder die gelangweilten Begleiter, die auf die Partner in den Umkleiden warten.

Einkaufszentren sind eigene Soziotope, finde ich, die trotz Umweltdebatten, Konsumkritik, Slow-Fashion und brennenden Fabriken nicht aussterben werden. Zumindest nicht in Koblenz, denn hier sind Löhr-Center und Forum Anzugspunkte für weite Teile der Region aus Hunsrück, Westerwald, Eifel und Taunus.

Bevor ich mit Uschi zu ihrem Koblenzer Lieblingsort aufbreche, lerne ich sie an ihrem Arbeitsplatz kennen. Sie arbeitet in der Rhein-Mosel-Werkstatt Koblenz, kurz RMW. Diese hat in Koblenz zwei Standorte: Koblenz 1, hier arbeiten rund 320 Menschen mit geistig oder körperlicher Behinderung, sowie Koblenz 2, wo rund 75 Mitarbeiter mit psychischer Beeinträchtigung sind.

Uschi arbeitet seit 31 Jahren in der RMW, 15 Jahre davon in Koblenz 1, die anderen 16 Jahre in Koblenz 2. „Letztes Jahr bin ich dafür ausgezeichnet worden“, sagt sie mir.

Ich mag Uschis leichte und unkomplizierte Art. Sie lässt sich unbefangen auf Neues ein, erzählt mir von sich, stellt mir gleichzeitig viele Fragen. Vor allem hört sie mir zu, merkt sich, was ich ihr erzähle, ist wirklich da, was ich in anderen Gesprächen manchmal misse.

Die Arbeit mache ihr Freude, „Kartonage, etikettieren, konfektionieren“, sagt sie schnell. Nach der Arbeit gehe sie gerne in die Stadt. In der Werkstatt möchte sie noch weitere Bereiche ausprobieren. „Es gibt noch so viel, was ich lernen kann“, sagt sie mit Begeisterung.

Uschi fährt gerne Bus. Nicht jeder der Mitarbeiter kann das. Manche haben Angst, daher ist Busfahren hier etwas Besonderes. „Ab und zu fahre ich auch in den Hunsrück, um die anderen Betriebsstätten in Simmern und Kastellaun zu besuchen. Darauf freue ich mich jedes Mal“, sagt sie.

Was für die meisten Menschen nicht erwähnenswert ist, wird für einen Menschen mit seelischer Erkrankung zum großen Ereignis. Anders als viele Körperbehinderungen sind psychische Beeinträchtigungen für Dritte oft nicht sichtbar. Darunter fallen beispielsweise Autismus oder schizoide Persönlichkeitsstörungen. Oft ist ein Krankheitsbild eine Mischung aus mehreren. Aber wie die Krankheiten sich nicht spezifisch in Schubladen stecken lassen, so auch nicht die Menschen, die sie haben.

Es gibt Mitarbeiter für die ist die RMW eine „Durchlaufstation“, andere bleiben für immer, wie mir Ruben, ein Sozialarbeiter sagt.
„Psychische Erkrankungen können jeden von uns treffen.“ Eine Gruppenleiterin sei einmal ganz schockiert gewesen, als sie erfuhr, dass ihre ehemalige Chefin in der RMW begonnen habe zu arbeiten. „Sie hatte eine Alkoholerkrankung.“ Man wisse nie, wohin einen das Leben führe, so Ruben.

Während Uschi und ich im Eiscafé im Obergeschoss des Löhr-Centers sitzen, spricht sie mit mir auch über die traurigen Seiten ihres Lebens. Von den Stimmen, die sie mal gehört habe, und den Medikamenten, die müde machten.
„Die Medikamente, die man einnehmen muss, machen einen antriebslos. Das ist furchtbar. Man hat zu nichts mehr Lust. Auf der anderen Seite braucht man sie erst einmal. Zum Glück ist das jetzt vorbei“, sagt sie nachdenklich.
„Ja, zum Glück“, sage ich

Nachdem sie ihren Eiskaffee ausgetrunken hat, machen wir uns auf den Weg ins Forum. Das Gebäude sei auch schön, lächelt sie.
„Da oben könnten wir was essen, aber das haben wir ja schon“, deutet sie auf eine Rolltreppe und wir gehen an den verschiedenen Läden vorbei.
„Hier bekommst du alles, was du brauchst.“ Ja, denke ich, und vielleicht ist es schöner als der Klick im Internet, der das Einkaufen zu einer anonymen Sachen macht.

Nach unserem Stadtbummel bringt sie mich mit dem Bus wieder in die Werkstatt, wo ich geparkt habe. Ich frage, was sie nun mache.
„Noch einmal ins Löhr-Center gehen zum Entspannen. Auf meinen Lieblingssessel. Und wenn du das nächste Mal kommst, fahren wir in den Globus, ins Industriegebiet“, sagt sie grinsend.
„Alles klar!“

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