Per Anhalter über den Mittelrhein

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Kennen Sie „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams? Es ist das bekannteste Werk des britischen Schriftstellers, eine Mischung aus Komödie, Satire und Science Fiction. Der Protagonist Arthur Dent, ein Durchschnittsengländer, entgeht mit der Hilfe seines außerirdischen Freundes Ford Perfect der Zerstörung des Planeten Erde – sie trampen dem Ende davon.

Es ist kurz nach 6 Uhr morgens. Ich befinde mich am Koblenzer Peter-Altmeier-Ufer auf dem Weg zur Lady Anne, einem holländischen Flusskreuzfahrtschiff, um per Anhalter über den Mittelrhein zu fahren. Nun gut, die Zufälligkeit des Trampens ist nicht mehr ganz gegeben, da ich am Abend zuvor mit dem Kapitän gesprochen habe.

Ein wenig extraterrestrisch und fremd fühle ich mich dennoch, als ich das Schiff betrete. Es ist noch dunkel, die Lichter der Balduinbrücke spiegeln sich im Wasser, Koblenz im Venedig-Charme. Gegenüber vom Schiff sitzt die Festung Ehrenbreitstein und blickt müde über Mosel und Rhein.

Ich gehe langsam über das Deck, vom Kapitän noch keine Spur. Zwei Crew-Mitglieder beäugen mich kurz und ich setze mich auf einen der Liegestühle, die sich an Deck befinden.
Was ich hier mache, fragt mich einer der beiden.
Mitreisen, der Kapitän wisse Bescheid, antworte ich müde.
„Alles klar“, blickt der andere mich skeptisch an und will wissen, ob ich einen Kaffee möchte. Dass das meine dritte Tasse ist, behalte ich für mich.

Außer mir befinden sich noch zwei Passagiere an Deck. Sie stehen schweigend nebeneinander, rauchen, beobachten die Matrosen beim Ablegen der Leinen. Gegen 6.35 Uhr fährt das Schiff dann langsam los. Möwen kreisen laut über Koblenz. Es riecht nach Wasser und Dieselabgasen.
Der Kapitän Wido Arts begrüßt mich kurz und verschwindet in die Kommandobrücke, das Steuerhaus des Schiffes.

Wir verlassen die Mosel, vorbei am Deutschen Eck und fahren auf den Rhein. Die Goethe liegt hier am Konrad-Adenauer-Ufer und schläft, während die Sonne so langsam aufgeht.
Alcides, ein Crew-Mitglied aus Kap Verde, stellt mir den vierten Kaffee hin: „Du musst fit werden.“ Für so müde habe ich mich gar nicht gehalten.

Irgendwann passieren wir dann die Südbrücke, die letzte Brücke vor Mainz. Der Berufsverkehr staut sich schon, zähflüssig fahren die Autos nach Koblenz rein. Ganz schön anstrengend, auf dem Boot ist es gemütlicher, denke ich.
Und dann ist da auf einmal das Gefühl: Jetzt bist du also wirklich auf dem Schiff und auch – so schnell kommst du hier nicht mehr runter, der nächste Stopp wird in Rüdesheim sein.

Die Lady Anne ist eines der ältesten Flusskreuzfahrtschiffe. Erbaut wurde sie 1903 als Frachtschiff, dann mehrmals umgebaut und renoviert. Hauptsächlich britische Passagiere beherbergt das Schiff. Manche fahren schon das vierte oder fünfte Mal mit, andere noch öfter. Kapitän Wido Arts ist der Besitzer der Lady Anne.
Ich möchte von dem Holländer wissen, welchen Altersdurchschnitt seine Gäste haben.
„75 Jahre aufwärts…“, sagt Wido lachend.
Es gibt einen Treppenlift an den steilen und schmalen Treppen. Doch die meisten benutzen ihn trotz Stock und Gehschwierigkeiten nicht.
Eine Engländerin lächelt mich an und sagt: „Der Lift ist mir zu langsam.“ Zeit ist immer Mangelware, denke ich.

Wir fahren an Lahnstein vorbei und der Hunsrück taucht als zackige Krone zu meiner Rechten auf. Mittlerweile ist es 8 Uhr und es gibt Frühstück – das Ende meiner Inkognito-Fahrt.
„Are you hitchhiking?“, ob ich per Anhalter unterwegs sei, möchte eine ältere Dame von mir wissen.
„Something like that“, antworte ich ihr.

Wir lachen und ich setze mich zu ihr an den Tisch. Schnell stellt sich heraus, dass Uschi Deutsche ist. Sie lebt seit über 50 Jahren in der Nähe von Dover. Als Au-Pair ist die 78-jährige damals ausgewandert, kam noch einmal kurz zurück nach Deutschland, um dann doch in England zu bleiben. Das siebte Mal reist sie nun schon auf der Lady Anne mit. Sie genieße die Gemeinschaft, das Reisen in der Gruppe.

„Die Fahrt auf dem Rhein ist ein Stück Heimat.“
„Warum?“, möchte ich wissen, kommt Uschi doch eigentlich aus Niedersachsen.
„Ich bin mit dem Lied der Loreley aufgewachsen und der Rhein symbolisiert für mich Zuhause, Deutschland. Obwohl Heimat natürlich auch England ist. Da bin ich zweigeteilt.“

Über zwanzig Jahre war Uschi verheiratet, dann habe sie sich scheiden lassen. Ihr Ex-Mann ist auch auf dem Boot. Manchmal reisen sie zusammen. Manchmal nicht. Das erste Mal ist sie mit 50 Jahren alleine gereist. Natürlich sei das eine Überwindung gewesen, sagt sie. Was sie am meisten gestört habe, war aber das Mitleid der anderen Paare.
„Mir ging’s ja nicht schlecht. Aber das sind die Leute nicht gewohnt.“
Die Ehemänner sprachen nur mit ihr, wenn die Ehefrau dabei war.

Die Lady Anne ist im Charme der 1920er-Jahre eingerichtet: Knarzendes Parkett, darüber Teppichboden, schwere, dunkle Sessel, der Titanic-Look. Es gibt eine lichtdurchflutete Lounge und eine Bar, die Whisky-Herzen höher schlagen lässt.

Uschi sieht häufig deutsches Fernsehen, um „up to date“ zu sein.
Wir passieren die beiden Burgen der Feindlichen Brüder, während sie mir erklärt, dass die Engländer kühler seien und man oft erst in der Ferne merke, wie man von seinem Land geprägt wurde und was die Heimat sei.
„Und was ist typisch deutsch?“, frage ich skeptisch.
Eine wirkliche Antwort kann sie mir nicht geben.

Im Steuerhaus wird indes alles auf die Loreley-Umschiffung vorbereitet: Der englische Touristenführer berichtet von den Mythen um die schöne Jungfrau und kurz darauf folgt das Loreley-Lied nach dem Gedicht von Heinrich Heine. Die Musik schallt zwischen den Felsen und ich frage mich, wie oft die endlos scheinende Wohnmobilkette in St. Goar wohl die Vertonung des Gedichtes hören mag? Ob die Camper nach einem Tag dort schon mitsingen können?

Maximal 100 Personen können mit der Lady Anne mitfahren, erklärt mir Wido Arts, der Kapitän. In der Regel seien es um die 80 Passagiere, der Rest Crew, Matrosen, Steuermann und eben der Kapitän. Im Vergleich zu den anderen Flusskreuzfahrtschiffen sei die Lady Anne klein. Überlänge habe sie nicht.
Wido Arts ist von März bis Oktober sowie im Dezember auf Rhein und Mosel, den Binnenseestraßen Europas unterwegs. Seit 2002 steht er in der Kommandobrücke von Schiffen. Die Zeit zwischen Oktober und März verbringt er oft auf dem Meer. Die Lady Anne parkt er dann in seinem holländischen Heimatort.

„Und wie ist die Zeit für dich auf dem Mittelrhein?“, frage ich Wido.
Wenn er anlegt, gehe er zum Friseur, mal gut essen oder in den Baumarkt.
„Die Landschaft ist schön, aber man gewöhnt sich dran. Vor allem, wenn man das Ganze tagein, tagaus sieht“, sagt er und fügt an: „Eine Atlantikfahrt mit einem großen Schiffe ist da schon was anderes.“

Mit acht, manchmal zehn Stundenkilometern an den Orten vorbei zu fahren, ist ein anderes Erlebnis, die Perspektive ist eine andere. Man kann die Umgebung bewusster wahrnehmen. Die Passagiere der Lady Anne genießen das langsame Reisen, fühlen sich an Deck Zuhause.

Nach sieben Stunden Fahrt steuern wir langsam auf das Niederwald Denkmal und Rüdesheim zu.
Linn, eine Engländerin, erkundigt mich nach meinem Befinden:
Ob es „like hell“ für mich war?
Nein, das nicht, sage ich. Aber die sieben Stunden reichen mir dann doch aus.

Anders als die Vogonen in Douglas Adams Roman, die Arthur Dent und Ford Perfect sofort wieder von ihrem Raumschiff vertreiben, wurde ich von dem Kapitän, der Crew und den Passagieren sehr freundlich empfangen.
Reisen auf einem Flusskreuzfahrtschiff ist ein Erlebnis, aber auch ein Kosmos für sich.

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