Mom, I’m coming home to you – Das Leben eines Dauercampers am Rhein

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Ob die B9 oder die B42 entlangfahrend, ob mit dem Schiff kommend, den Rheinsteig entlang wandernd oder vom Loreleyblick Maria Ruh aus schauend – von überall sieht man sie: Die weißen Eigenheime auf Rädern, typisch deutsch geordnet, auf den Zentimeter genau nebeneinander geparkt – weiße Wohnmobile auf Camping- und Stellplätzen.
Die Zeilen „Cuz I live at home in a trailer, Mom I’m coming home to you“ von Eminem in 8 Mile schießen mir jedes Mal durch meinen Kopf, wenn ich eines der weißen Campingmobile sehe.

Ich frage mich: Wer sind die Menschen, die Urlaub im Wohnwagen am Mittelrheintal machen? Vor allem interessieren mich aber die Dauercamper – was bewegt einen hier am Rhein? Hat Dauercamping überhaupt noch etwas mit Campen zu tun? Und was hat es mit den Gartenzwergkolonien und Leuchttürmen auf sich, die immer im „Vorgarten“ stehen?

Also mache ich mich auf den Weg zum Campingplatz Marienort in Trechtingshausen. Hier werden noch viele Stellplätze für Dauercamper angeboten. Ein wenig erinnert mich der Blick auf die oft schon von der Sonne verfärbten, beigen Campingmobile an eine Vorstadtsiedlung: Jeder hat seine Parzelle, ein Wohnmobil mit Vorzelt steht darauf, ein Pavillon mit Tisch und Gartenstühlen darunter, ein kniehoher Jägerzaun rahmt das Zuhause ein und der Vorgarten ist mal mehr, mal weniger aufwendig dekoriert.

„Ungefähr 120 Dauercamper gibt es in Marienort“, sagt Wirtin Margit, die mich im Campingplatz-Restaurant begrüßt. Viele von ihnen kommen nur an Wochenenden, manche sind auch unter Woche da. Es gibt Rentner und Berufstätige, darunter auch welche, die von ihrem Stellplatz zur Arbeit pendeln.

Ursula und Vinzenz sind schon seit einigen Jahren Dauercamper, auf dem Platz in Trechtingshausen sind die beiden erst seit Juni dieses Jahres. Das Paar lebt direkt gegenüber vom Restaurant, im Herz der Wohnwagenkolonie.
„Warum seid ihr Dauercamper?“, frage ich.
„Weil es Spaß macht und man in der Natur ist“, sagt Ursula zufrieden. Beide sind noch berufstätig, ihr Wohnort liegt bei Neustadt an der Weinstraße, die Wochenenden verbringen sie gemeinsam auf den Campingplatz.
Am Mittelrhein gefällt ihnen die Landschaft, dass man viel unternehmen kann und die freundlichen Menschen. Außerdem haben sie hier den Rhein direkt vor der „Tür“, und das sei schon toll.

Die Camping-Branche wächst in hierzulande, etwa drei Millionen Deutsche sind im Jahr 2018 mit dem Camper verreist. Die Sehnsucht nach Freiheit, Einfachheit und Natur sind die Hauptmotive.

„Zählen die Motive auch für einen Dauercamper?“, möchte ich wissen.
Camping erzeuge natürlich ein Freiheitsgefühl und man habe sein eigenes Zuhause dabei, sagt Ursula. „Beim Dauercampen bekommt aber vor allem die Gemeinschaft auf dem Campingplatz eine wichtige Rolle“, fügt Vinzenz hinzu.
Die beiden kommen ursprünglich aus einer ländlichen Gegend, lebten aber eine Zeit lang in der Stadt in einem 20-Parteien-Haus. „Da weiß man oftmals nicht mehr, wer auf der anderen Flurseite lebt“, schaut Vinzenz hinter seinem Tablet hervor. Der Dauercamper sucht die Gemeinschaft: „Hier lebt man ein ursprüngliches Dorfleben“, sagt er. „Jeder kennt jeden, man erzählt sich von seiner Woche, hört sich zu, fragt nach und hilft dem anderen“, ergänzt Ursula.

Weg von der Anonymität, hin zur Geselligkeit, denke ich. Das erlebe ich auch im Gespräch mit den beiden. Fast jeden Abend laden Ursula und Vinzenz andere Campingplatzbewohner zu sich ein, erzählen sie mir. Auch ich werde unmittelbar und direkt an ihrem Gartentisch empfangen, quasi in ihrem Wohnzimmer.
„Wir haben immer ein paar Stühle mehr hier stehen, dann kann sich direkt jemand zu uns setzen“, sagt Ursula lächelnd.
„Wie früher im Dorf: Da stand auch vor jedem Haus eine Bank“, so Vinzenz.
Den kleinen Garten um ihr Vorzelt hat Ursula liebevoll angelegt, es gibt einen kleinen Teich, Hauswurz wächst zwischen den Steinen hervor, die sie aus dem Rhein gesammelt hat – ein gemütlicher Ort.

Auch Roy, ein anderer Dauercamper, sagt: „Hier gibt es dieselben Gruppen schon seit Ewigkeiten und das Wiedersehen ist jedes Mal schön.“ Seine Eltern pachten seit 1998 einen Platz direkt am Rhein. Mit Camping ist er groß geworden. „Früher war das Ganze natürlich spartanischer und einfacher“, sagt er.

Mit Einfachheit oder materiellem Minimalismus hat Camping im Wohnwagen ohnehin nicht mehr viel zu tun: Das mobile Zuhause besitzt alles, was auch eine Wohnung hat. Der Platz auf einer Parzelle ist natürlich begrenzt, aber auf den zweiten Kühlschrank, die Wahl zwischen Gas- und Kohlegrill sowie eingepflanzten Solarlampen möchte man trotzdem nicht verzichten. So ein Wohnmobil koste zwischen 70.000 und 90.000 Euro, sagt mir Roy. „Nach oben sind da keine Grenze gesetzt.“ Ob das was mit Freiheit zu tun habe, wisse er nicht.
„Meine Küche, mein Bett, meine Dusche – diese Art von Reisen bedeutet keinen Verzicht und das Einlassen auf eine neue Umgebung ist es auch nicht“, sage ich, „aber Reisen muss damit ja auch nicht zwingend in Verbindung stehen.“
„Ob das Reisen ist, weiß ich allerdings auch nicht“, lacht Roy.

„Im Prinzip hat man einen zweiten Hausstand“, fügt er an. Er ist einer der Dauercamper, der die weiteste Entfernung zu fahren hat. Im Gegensatz zu dem Großteil der anderen Dauercamper kommt Roy nicht aus der näheren Region wie Ludwigshafen, Kaiserslautern oder dem Hunsrück, sondern aus der Nähe von Tuttlingen, das über 270 Kilometern weit entfernt liegt.

Nach dem Tod seiner Eltern habe er Platz und Wohnmobil übernommen.
„Der Stellplatz ist günstig, man kennt die Gemeinschaft eben schon seit Jahren, warum also das Wohnmobil aufgeben?“, sieht er mich an. Zwischen 800 und 1200 Euro kostet die Jahrespacht für einen Dauerstellplatz in Trechtingshausen. Das sei vergleichsweise günstig. Am Bodensee koste das gleich viel mehr, sagt Roy. „Da bezahlt man für einen Stellplatz auch mal 3000 Euro und oft nur für sechs Monate.“

Doch so ein Platz sei auch mit Verpflichtungen verbunden.
„Und drei Stunden Fahrt – das macht man nicht mal am Wochenende“. Doch zum Glück habe er seinen Nachbarn auf dem Platz, der mähe dann seinen Rasen mit. Denn der Vorgarten müsse gepflegt aussehen, „da wird natürlich schon drauf geachtet“, lacht er: „Weit weg von einer Schrebergarten-Mentalität ist das hier nicht.“
Das Miteinander zu pflegen sei ebenso wichtig. „Manche bauen direkt ihre Satellitenschüssel auf und hängen dann ab 21 Uhr vor dem Fernseher. Schön ist das nicht und die Kommunikation wird weniger.“

Komplett auf dem Campingplatz zu wohnen käme für Roy nicht in Frage, für Ursula und Vinzenz hingegen schon. Im Rentenalter können die beiden sich vorstellen, ihre Wohnung komplett aufzugeben.
Ich stelle mir das ziemlich eng vor, gemeinsam auf einer 25 Quadratmeterfläche zu wohnen. „Und wenn es mal dicke Luft gibt?“
„Ach, dann kann einer rausgehen oder setzt sich ins Vorzelt“, sagt Ursula entspannt. Die beiden sehen das gelassen.
Überhaupt ist auf dem Platz eine sehr gelassene Atmosphäre. Auch Margit, die Wirtin, bestätigt meinen Eindruck: „Wenn die Leute ankommen, sind sie die ersten eins, zwei Tage recht angespannt, doch ab dem dritten Tag stört es nicht mal mehr, wenn das Hefeweizen erst nach zehn Minuten kommt.“

Gelassenheit, rumsitzen, Unkompliziertheit. Keine Zwänge zu haben. Das ist auch Sandra wichtig. Die 39-jährige verbringt gerade ihren Sommer auf dem Campingplatz. Sie habe sich vor Kurzem von ihrem Mann getrennt und könne hier erstmal Ruhe finden. Der Platz, auf dem sie steht, gehört ihrem Vater. Auch sie ist über ihre Familie zur Dauercamperin geworden.
„Gerade genieße ich es, dass ich den ganzen Tag barfuß rumlaufen kann. Überhaupt kann hier jeder sein, wie er möchte. Es gibt kein Kleidungsdiktat.“

Scheint, als hätte unser Alltag viel zu viel Normen und Zwänge, die die Leute am Eingang des Campingplatzes fallen lassen. Und ich habe das Gefühl, dass die Camper sich eine Welt außerhalb dieser Alltagszwänge schaffen.
Margit: „Ja, aber es gibt auch Fälle, da würde ein bisschen mehr Kleidungsnorm gut tun.“ Sie lacht, und ich male mir meinen Teil aus.

Und langweilig werde einem beim Dauercampen auch nicht: Auf dem Rhein ist die ganze Zeit etwas los. „Schiffe fahren mit Kieseln und Schrott flussabwärts und Schiffe fahren mit Kieseln und Schrott flussaufwärts“, lacht Roy, „Marktwirtschaftlich hat das alles seinen Sinn, aber da schwimmt auch eine gewisse Absurdität mit.“

Bevor ich den Platz verlasse, entdecke ich einen blauen WV-Bulli mit Wiesbadener-Kennzeichen. Seit zwanzig Jahren kommen die beiden Frauen schon nach Marienort. Natürlich könne man sie als Dauercamper bezeichnen, aber einen festen Stellplatz wollten sie nicht. Der würde ihrem Verständnis vom Campen widersprechen. Trotzdem sei es ihre zweite Heimat.
Ihr Bus ist im Gegensatz zu den Wohnmobilen wirklich reduziert eingerichtet: eine Matratze zum Schlafen und darunter der Stauraum für das Nötigste. „Zum Kochen braucht man nicht mehr als einen Gaskocher“, sagt sie lachend.
In einem goldenen Käfig möchten sie nicht sitzen, aber mit der Kritik muss man vorsichtig sein, das hören nicht alle gerne.
Für sie bedeutet Camping, wenig Ansprüche zu haben, Purismus, raus aus der Stadt zu kommen, weg vom Kommerz. Der Blick auf den Rhein ziehe sie immer wieder nach Marienort.

Am Ende setze ich mich zur Margit ins Restaurant, beobachte ein Rentnerpaar unter ihrem Pavillon: sie liegt schlafend auf dem Stuhl, er malt ganz versunken ein Aquarellbild. Ihr Vorgarten ist mit jeder Menge Leuchttürme und Gartenzwerge dekoriert. Ich glaube die Gartendekoration hat denselben Grund wie auch im heimischen Vorgarten: Einem gefällts.

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