Kiosk-Leere und Ewigkeit

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Ich schreibe auf die letzten Seiten meines rosafarbenen Notizheftes, am Umschlag ist eine Vogelfeder mit einer Büroklammer befestigt. Die Feder ist von Wolfgang Schmidt aus Ehrenthal und befindet sich dort seit unserem Besuch auf dem jüdischen Friedhof in Bornich. Die Feder begleitet mich seit dem wie ein Talisman durch den Mittelrhein.

Gerade sitze ich in Niederheimbach am Kiosk „Rheinterrasse“. Er ist geschlossen, die Stühle sind zusammengestellt, lehnen an den Tischen, die beiden Sitzbereiche sind mit einer kniehohen rot-weißen Absperrkette verschlossen. Ich bin über diese Kette gestiegen und sitze nun auf einer der weißen Bänke mit Blick auf den Rhein. Vor mir hängt ein olivfarbener Blumenkasten am Geländer, rote Geranien wachsen darin.

Ein Spaziergänger läuft mit seinem Hund auf dem Fahrradweg hinter mir entlang. Der Hund ist struppig und eine genaue Rasse kann ich nicht erkennen, was aber auch nicht wichtig ist. Bernies Bluesbar steht zum Verkauf, wird wahrscheinlich früher oder später schließen, geht mir durch den Kopf. Das Mittelrheintal ohne Bernies Bluesbar? Irgendwie würde was fehlen. Darf ich darüber schon traurig sein, melancholisch werden? Lebe, erkunde, durchlaufe ich die Region doch erst seit dreieinhalb Monaten. Ja, irgendwie schon, finde ich.

Der Rhein fließt, die Dinge vergehen. Nietzsche sieht in Heraklits Flusslehre „Pantha Rhei“ eine Bejahung des Vergehens, etwas Positives, wenn man es denn so will.
Aufhalten kann man ohnehin nichts. Wenn eines sicher ist, uns immer begleitet, dann ist es die Veränderung. A priori gegeben, und doch macht sie uns am meisten Angst. Der Wandel ist unser stetiger Begleiter: Wir wachsen, werden älter, ziehen um, gehen… Und trotzdem hängen wir am Manifesten, Statischen. Versuchen etwas für die Ewigkeit zu konservieren, sei es die Jugend mithilfe sogenannter Schönheits-OPs oder der Künstler, der sein ewiges Leben im Fortbestehen seines Werkes sieht.
„Man muss sich wundern“, denke ich, und auch „die Wahrheit liegt im Widerspruch.“ Patti Smith hat in „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“ über diesen Widerspruch und die sich daraus ergebende Wahrheit geschrieben: Es gibt Menschen, die gehen scheinbar nur geplant geradeaus und andere, deren Weg sieht eher nach einem „Irrgarten“ aus, und in diesem scheinbar sich widersprechenden, nicht passendem Suchen, findet sich die Wahrheit.

Loslassen hilft. Spazieren gehen. Details beobachten. Wahrnehmen. Die Luft schmecken. Das Laub riechen.
Vier Fahrradfahrer halten am Kiosk und möchten Wein trinken.
„Der Kiosk ist zu“, sage ich.
„Kein Wein?“, fragt einer mit Ziegenbart und Brille. Die Bestätigung nach dem Offensichtlichen suchend.
„Nein, kein Wein, kein Bier, kein Eis“, sage ich.
„Schade“, sagt er, und sie fahren weiter.

Das Wasser plätschert, ich blicke zur Burg Sooneck: Die Kraterlandschaft um sie herum war einmal klein, so erzählte es mir Roswita Werner, die als Kind auf der Burg lebte. Jetzt hat der Mondkrater sich tief in den Berg gefressen, so scheint es mir. Die Steine gehen nach Holland, mit dem Fluss, eine kuriose Parallele.

Ein älterer Herr steht auf einer kleinen Brücke vor der Bahnunterführung und raucht, während die Fähre ablegt, um nach Lorch zu fahren. Der Geruch von feuchtem Laub ist wieder da. Ich mag ihn. Die Frische und das Süßliche.
Der Herr hat nun aufgehört zu rauchen, hustet, blickt zu mir rüber. Sieht er mich an?

Ob ich mit derselben Offenheit den Menschen begegnen würde, wenn ich keine Burgenbloggerin wäre? Bestimmt schon. Getroffen hätte ich die meisten von ihnen wahrscheinlich nicht.
Ich beschließe, heute Abend zu Bernie zu fahren. Samstags finden immer Konzerte in der Bluesbar statt. Ich recherchiere nicht die Band, die heute Abend spielen wird, möchte die Überraschung. Nein, nicht mal das, sondern einfach die Bar erleben.

Neues kann man nur beginnen, wenn man Altes hinter sich lässt, hat die Künstlerin Kerstin Degen zu mir in Lahnstein gesagt. Ja, recht hat sie, auch wenn es so einfach und banal klingt.

Noch zwei Seiten bleiben. Die Fähre kommt gerade wieder zurück. Ich beschließe die Feder auf eben diesem Notizheft zu lassen, sie gehört irgendwie dazu, auch zu den Geschichten, die sich darin befinden.
Der Blick für die kleinen Alltäglichkeiten, das Besondere im Einfachen zu sehen, macht die Momente reicher, jedenfalls für mich. Dann klappt es auch manchmal, im Einklang mit der Vergänglichkeit zu leben, denke ich.

Dinge vergehen. Jetzt ist das Heft fast voll.

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