„Es ist nicht die Aufgabe eines Landrates, eine Brücke zu bauen“

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Landrat Marlon Bröhr beim Brückenstammtisch in St. Goar.
Landrat Marlon Bröhr beim Brückenstammtisch in St. Goar. (Fotos: Timo Stein)

Er gilt als der uneinsichtige Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, der die Mittelrheinbrücke verhindern will. Wer ist dieser Marlon Bröhr? Und was will er wirklich?

Manchmal spricht Marlon Bröhr von sich in der dritten Person. Er sagt dann Sätze wie: „Es braucht Marlon Bröhr nicht, um die Mittelrheinbrücke nicht zu bauen. Das schafft die Politik seit 40 Jahren ganz alleine.“

Mit „die Politik“ meint er vor allem auch die gegenwärtige. Er meint die Landesregierung, im Speziellen den Wirtschaftsminister Volker Wissing. Denn: Der Streit um die Mittelrheinbrücke ist längst zu einem Duell geworden. Bröhr gegen Wissing. Landrat gegen Landesminister.

Der seit Jahrzehnten geführte Konflikt um die Brücke hat ein neues Etikett: Aus „Dafür“ vs. „Dagegen“ wurde „Kreis-“ vs. „Landesbrücke“. Für Minister Wissing kommt nur eine kommunale Brücke in Betracht, die zu 80 Prozent vom Land finanziert werden soll. Dafür braucht es die Zustimmung des Landrates in Simmern. Dafür braucht es Marlon Bröhr. Der aber sagt, er kann nicht – nicht weil er nicht will, sondern weil er nicht darf. Er sei schlicht nicht zuständig.

„Es liegt nicht in meiner Kompetenz. Ich käme doch auch nicht auf die Idee, eine Bundesautobahn zu bauen.“ Landrat Marlon Bröhr steht in seinem Büro in Simmern und hält Expertisen in die Luft. Aus zwei Schriften kann er mittlerweile im Schlaf zitieren. Die eine ist ein Gutachten eines Professors von der TU Kaiserslautern, das Bröhr selbst in Auftrag gegeben hat. Die andere die Einschätzung des Landesrechnungshofs, die der Wirtschaftsminister Volker Wissing angestoßen hatte.

Das Gutachten der TU bestätigt Bröhrs Auffassung, dass eine Brücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen (genauer zwischen zwischen Wellmich und St. Goar-Fellen) keine Kreisstraße sein kann. Aber auch die Einschätzung des Landesrechnungshofes legt dies nahe. Für eine Einstufung als Landesstraße sprechen „gewichtige Gründe“, heißt es darin. Eine abschließende Beurteilung sei allerdings nicht möglich. Gegenüber der Rhein-Zeitung wird der Rechnungshofpräsident Klaus P. Behnke konkreter: „Man kann es schon so verstehen, dass wir gesagt haben, es ist eine Landesstraße.“ Auf eine kommunale Brücke deute rein gar nichts hin.

Wirtschaftsminister Volker Wissing hingegen argumentiert, zuletzt im Sommerinterview im SWR, dass eine Landesbrücke mit anderen Landesbauten konkurrieren würde, mehr Durchgangsverkehr bedeute und mit dem Weltkulturerbe-Status nicht vereinbar sei. In der offiziellen Stellungnahme des UNESCO-Welterbekomitees, der letzte Beschluss stammt aus dem Juli 2017 in Krakau, heißt es lediglich, dass man bei den Planungen so früh wie möglich in die Entscheidungen einbezogen werden möchte. Dass eine Landesbrücke grundsätzlich mit dem Weltkulturerbe unvereinbar ist, steht da nicht. (Von einem „wide regional strategic context” ist dort die Rede.)

Auch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftrage der UNESCO, Maria Böhmer, sagte jüngst bei einem Besuch am Mittelrhein, die Klassifizierung, Landesstraße oder Kreisstraße, sei für den Weltkulturerbestatus nicht von Bedeutung.

All das ist natürlich Wasser auf die Bröhr’sche Mühle. „Wie kommt jemand auf die Idee, dass ich zwei Bundestraßen über einer Bundeswasserstraße verbinde und dann sage, es ist eine kommunale Brücke. Ich habe keine Spielräume. Baue ich die Brücke, obwohl ich es gar nicht darf, sind wir im Bereich der Untreue.“ Auch befürchtet er, letztlich doch auf den Kosten sitzen zu bleiben.

Marlon Bröhr hat gute Argumente. Manchmal zählen die aber nicht. Bei der Debatte um die Mittelrheinbrücke geht es lange schon um etwas Anderes: die Deutungshoheit. Wer kann glaubwürdig eine Brücke fordern, die am Ende dann doch nicht gebaut wird.

Ein Abend im August. Die Initiative Pro-Brücke hat Marlon Bröhr zum „Brückenstammtisch“ nach St. Goar eingeladen. Sie wollen Rede und Antwort von einem, der doch schuld ist, dass die Brücke nicht kommt. Schließlich hat die Landesregierung das Planungsversprechen in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Gut 40 Bürger, meist männlich, über 50, sitzen dichtgedrängt im Stammtischkeller des kleinen Gasthauses „Zur Krone“. Die Luft unter der niedrigen Decken ist schnell verbraucht, es ist schwül, eine Bedienung verteilt Weizen. Es ist alles bereitet für ein hitziges Gefecht. Gleich zu Beginn werden Grundsatzfragen geklärt: „Bis du dafür oder dagegen?“, haut einer seinen Tischnachbarn an. Dafür! Natürlich.

Auch die Initiatoren kommen gleich zur Sache: „Wollen Sie die Brücke verhindern, Herr Bröhr?“ Marlon Bröhr steht auf, lächelt, bedank sich für die Einladung, schaut in den engen Raum und versucht es mit einem lockeren Einstieg in das hitzige Thema: „Hier fehlt der zweite Rettungsgang.“

„Sie werden hier nicht rauskommen“, ruft einer.

Dann beginnt Bröhr seinen Kampf um die Deutungshoheit. Ihr habt den Falschen eingeladen, gibt er den Brückenfreunden zu verstehen. „Diese Veranstaltung müsste heißen: Was tun, Herr Dr. Wissing?“ Bröhr zieht seine Joker und wedelt wieder mit seinen Unterlagen: „Wer hat die Gutachten gelesen?“, fragt er in die Runde. Dann beginnt er seine Beweisführung, zitiert erst aus den Gutachten, dann aus der Landratsordnung, schließlich aus dem Landesstraßengesetz. Und wiederholt sein Mantra: „Es ist nicht die Aufgabe des Landrates, dieses Bauwerk zu errichten.“ Die Verwirrung ist komplett und greifbar. Sie haben den vermeintlichen Brückenkiller geladen, und gekommen ist ein redegewandter Landrat in Stammtischlaune, der ihnen Paragraphen um die Ohren haut.

Ein älterer Herr mit Schnauzer, Brille und Karohemd steht auf und fasst die Stimmung zusammen: „Uns ist es egal, ob Kommune oder Land. Wir wollen eine Brücke!“ Gutachten-Bröhr wechselt in den Gefühlsmodus: „Ich fühle, wie sie auch fühlen. Aber bitte verstehen Sie auch, dass jemand, der auf Landeseid verpflichtet ist, es sich nicht so einfach machen kann.“ Seine Botschaft: Ich würde ja gern, aber ich darf nicht. Ihr habt den Falschen. Fragt den Minister. Bröhr hat den Stammtisch da längst erobert. Und den Teilnehmern alles genommen: die Argumente, das Feindbild, sogar die Wut.

Marlon Bröhr wird 1974 in Geilenkirchen geboren, macht Abitur in Mönchengladbach und studiert Zahnmedizin in Aachen. 1999 tritt er in die CDU ein, 2003 zieht er nach Kastellaun und eröffnet mit seiner Frau eine Zahnarztpraxis. Dann folgt der Wechsel in die Politik. Bröhr wird 2007 Verbandsgemeindebürgermeister in Kastellaun, 2009 auch Stadtbürgermeister.

Wieso tauscht jemand seinen Zahnarztstuhl gegen Lokalpolitik? Der vorpolitische Bröhr, der Zahnarzt und Zeitungsleser, ärgert sich darüber, dass Politiker oftmals nicht mit dem Geld auskommen. Geht es vielleicht auch anders?, fragt er sich. Könnte man es selber nicht besser? Bröhr hat die Neugier und vor allem den Ehrgeiz, das herausfinde zu wollen.

Als Zugezogener ohne parteipolitischen Stallgeruch bleiben ihm nicht viele Möglichkeiten, ein attraktives politisches Amt zu ergattern. Seine einzige Chance ist die Direktwahl zum Bürgermeister. Er gewinnt sie 2006 überraschend. „Wenn ich diese Wahl verloren hätte, wäre ich heute noch Zahnarzt. Das wäre auch okay gewesen.“ So spricht einer, der immer einen Plan B hat. Eine Exit-Strategie. Im Herbst 2014 dann wird er zum neuen Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises gewählt. Im Mai 2015 tritt er das Amt an.

Heute steht er im Wind. Und polarisiert. Düpiert beim sogenannten „Brückengipfel“ Wirtschaftsminister Volker Wissing, Innenminister Roger Lewentz und Wirtschaftsvertreter von Handels- und Handwerkskammer, als er die Runde mit Verweis auf einen Nachfolgetermin früher verlässt. Er wird von den Fraktionen von SPD, FWG und FDP seines Landkreises verklagt, als er sich weigert, ihren Antrag zur Mittelrheinbrücke auf die Tagesordnung des Kreistages zu setzen. Er liest in Zeitungen, er sei der Donald Trump des Rhein-Hunsrück-Kreises. Als ihm sein Dienstwagen geklaut wird, hagelt es Häme und Spott in den Kommentarspalten. Der Druck ist zuletzt so groß, dass Bröhr auf den Vorsitz im Zweckverband verzichtet, der Turnus gemäß dem Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises zusteht.

„Natürlich hätte ich es einfacher haben können“, sagt er. „Ich hätte das Spiel einfach mitmachen können und der ganze Ärger wäre mir erspart geblieben.“

Und natürlich hat er auch Fürsprecher, nicht nur in der eigenen Partei. Er bekommt viele zustimmende Zuschriften. Wenn er beim Metzger steht, rufen sie schon mal: „Lassen Sie sich nicht unterkriegen. Halten Sie durch.“ Bröhr freut das. Er ist schließlich in die Politik gegangen, um es anders zu machen. „Ich vertrete die Interessen von 100 000 Leuten. Und die haben ein Recht darauf, dass ich nicht nur deshalb damit aufhöre, weil es einmal schlechte Presse gibt. Dann muss man auch mal bereit sein, im Feuer zu stehen.“

Das Feuer am Stammtisch in St. Goar zumindest hat er im Keim erstickt. Aus der Anti-Bröhr-Veranstaltung hat er in kürzester Zeit eine Bröhr-kann-nix-dafür-Werbeveranstaltung gemacht. Der Zorn richtet sich inzwischen gegen die Landesregierung, gegen den Wirtschafts- und den Innenminister.

„Nehmen Sie sich einen Anwalt und verklagen sie den Wissing“, empfiehlt eine Zuhörerin.  „Dienstaufsichtsbeschwerde“, murmelt jemand aus der zweiten Reihe.

Bröhr lacht: „Das ist der beste Vorschlag, den ich bisher gehört habe.“

Und appelliert an die Stammtischler: „Lassen sie uns den Druck dort ausüben, wo er hingehört. Nach Mainz.“ Bröhr spricht von „uns“, ist beim „Wir“ angekommen. Er ist mittlerweile einer von ihnen. Einer für die Brücke. An diesem Abend zumindest hat er sie sich zurückerobert. Die Deutungshoheit.

14 Kommentare

  • Karl says:

    Wenn man sich auch die Argumente der Brückenbefürworter anschaut, dann wollen die nicht nur einen Aufschwung für St. Goar und St. Goarshausen, sondern für die ganze umgebende Region. Und dann ist dies keine kommunale Angelegenheit mehr, sondern eine Landesangelegenheit.

    Und die Landesregierung macht sich ‚einen schlanken Fuß‘. Dort könnte man ja einfach sagen, wir finanzieren die Brücke zu 100 % und tragen alle Folgekosten. Schon wäre auch Herr Bröhr einverstanden und alle wären glücklich. Tut man aber nicht. Warum nicht? Eine Landesbrücke sähe genauso aus wie eine kommunale Brücke, die bedrängen beide den Welterbestatus gleichviel oder gleichwenig. Dafür ist es egal. Die Landesregierung möchte sich nur aus der vollen finanzielle Verantwortung ‚herausstehlen‘ und auf diesen wunden Punkt legt Landrat Bröhr seinen Finger.

  • Doch es ist die Aufgabe eines Landrates mit unter für das Wohl seiner Bürger im Landkreis zu sorgen. Und es ist auch die Aufgabe eines Landrates alles dafür zu tun . Und auch eine Brücke zu bauen . Er muss sie nicht bezahlen . Der Herr Landrat handelt mit seinem Profilerungsgehabe unverantwortlich und gegen die Interessen der meisten Bürger links und rechts im Mittelrheintal.. Ich bin selbst Gewerbetreibender an der Loreley, und bin bin mir 100% sicher , dass wenn sich nicht sehr bald die Infrastruktur hier verbessert, u.a. eine Mittelrheinbrücke, dann gehen hier in den nächsten 5-10 Jahren so ziemlich alle Lichter aus . Danke schön Herr Landrat. Sie sind unerträglich. Als ich hier ins Mittelrheintal kam vor 6 Jahren , da hatte die damalige Beck-SPD eine Brücke versprochen, dann hatten die Grünen das 5 Jahre lang verhindert, und jetzt ein CDU Landrat. Ein Possenspiel sondergleichen hier im Mittelrheintal.

  • Robert R says:

    Eine Brücke wird nicht reichen.
    Ob kostenpflichtige private Fähren neben einer kostenlosen Brücke existieren können, wage ich zu bezweifeln.

  • Carl Meyers says:

    1. Es gibt keine Veranlassung, die Verkehrsverbindung zu A61 und A3 zu verbessern; die lokale Verbesserung ist das Ziel.
    2. An der Mosel gibt es viele kommunale Brücken, die 2 Bundesstraßen verbinden.

  • Herr Bröhr ist im Recht. Ob Bundesstraße oder nicht entscheidet darüber, wer in welchem Maß für die Unterhaltskosten der Brücke aufkommen muss. Sowas gehört im Vorfeld geklärt. Insofern handelt dieser Landrat verantwortungsbewusst.

    • Anwohner says:

      Und der Landrat auf der gegenüberliegenden Seite handelt demnach also nicht verantwortungsbewusst und gesetzeskonform? Das wäre dann ihr öffentlicher Vorwurf!

    • Nein. In dem Artikel geht es ausschließlich um Marlon Bröhr und mein Kommentar bezieht sich auch nur auf ihn. Alles Andere ist Ihre rein persönliche Interpretation.

    • Anwohner says:

      Na was den nun? Das sind doch nur halbe Sachen von Ihnen. Dann reden Sie bitte nicht von „im Recht sein“. Sonst klingt Ihre Meinung wie die eines „Parteisoldaten“. Auch das ist natürlich meine persönliche Interpretation, aber ableitend von ihrem Kommentar..

    • Anwohner says:

      PS: Und das ist auch ein Problem was Sie hier offen ansprechen. Es geht nicht um Marlon Bröhr (wie enge Vertraute von ihm meinen), es geht um die Mittelrheinbrücke für die Menschen hier!

    • Also, das wovon ich rede, ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Ob Sie mich deswegen für einen „Parteisoldaten“ oder einen Vertrauten Bröhrs halten, ist mir herzlich egal. „Es geht um die Mittelrheinbrücke für die Menschen hier!“ schreiben Sie. Aber auch die Menschen auf den Rheinhöhen müssen die Kosten für eine Brücke mittragen, wenn sie in einem der betroffenen Landkreise leben. Insofern ist deren Meinung zu diesem Thema auch relevant. Das ist schließlich unser aller Steuergeld, was in dieses Projekt und seine Erhaltung fließen soll. Ich finde es gut, wenn damit sorgsam umgegangen wird.

  • Anwohner says:

    Die Brücke verbindet zwei große Landkreise mit > 200.000 Menschen! Darum geht es, es geht nicht um die Bundestraßen! Der Landkreis rechtsrheinisch würde diese Brücke wie angeboten bauen. Verstösst dieser Landkreis dann gegen das Gesetz, oder was möchte Bröhr mit seinem die Brücke verhinderten Eid aussagen??
    Eine Landesbrücke gehört nicht ins Rheintal, dorthin gehört wegen der Enge eine (schöne) Kommunale Brücke. Ich finde Herr Bröhr sollte sich hinterfragen ob er die Brücke wirklich will!! Und ob der Metzger im tiefen Hunsrück ihn unterstützt interessiert kein Schw… (Sorry). Also, die Brücke wird am Rhein gebaut und dort wird Sie auch benötigt. Das Angebot zur 80% Finanzierung ist fair, 10% kommen vom Landkreis rechtsrheinisch. Was fehlt ist die Zustimmung des Landkreises linksrheinisch. Also, warum tun Sie nichts Herr Bröhr!

    • M. Meurer says:

      Sie scheinen das Problem nicht ganz verstanden zu haben. Laut Text lassen die Gutachten eine kommunale Brücke gar nicht zu sondern lediglich eine Landesbrücke.
      Da ist dann völlig egal ob links oder rechtsrheinisch Zugestimmt wird das ganze wie Angeboten mit Landeszuschuss zu finanzieren – die Brücke darf nicht auf kommunaler Ebene gebaut werden. Dementsprechend sind die entsprechenden Landräte einfach nicht befugt dem Konzept so zuzustimmen.

    • Anwohner says:

      Vielleicht habe ich ein Detail-Problem nicht ganz verstanden, aber Sie scheinen das gesamte Problem, indem wir stecken, noch nicht umfänglich erfasst zu haben. Und zum Gutachten: Nach wie vor gibt es unterschiedliche Interpretationen.

  • Mona Jung says:

    Sehr interessant und gut geschrieben. Warum das jetzt eigentlich so wichtig ist, ob die Brücke eine Kreis- oder eine Landesstrasse verstehe ich zwar immer noch nicht, aber darum geht es ja anscheinend auch nicht.