Ein Reihenhaus am Rhein und süßer Crêpe

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Es macht „pling“. Es ist das Signal dafür, dass gerade eine E-Mail gekommen ist. „Sie haben Post“ hieß es früher bei AOL. Es passiert immer im selben Rhythmus: Ich poste einen Beitrag, in der darauffolgenden halben Stunde landet eine Nachricht von ihr in meinem Posteingang. Sie kommentiert, regt an, findet kleine Fehler im Text. Sie, das ist Dr. Eleonore Jost aus St. Goarshausen.

Menschen reagieren unterschiedlich auf Kritik und Korrekturen: ablehnend, verletzt, resignierend, annehmend, interessiert, erfreut – nun ja erfreut eher in den seltenen Fällen. Natürlich hängt es auch davon ab, wie Kritik geäußert wird. Ob sachlich, konstruktiv und helfend oder destruktiv und angreifend. Eleonore jedenfalls schreibt immer mit achtsamen, freundlichen Worten. Anfangs war ich etwas verwundert, vielleicht auch irritiert über ihre E-Mails, habe dennoch gerne ihre Korrekturen angenommen und übernommen. Mittlerweile warte ich manchmal schon, ob eine E-Mail kommt.

Dann fragte ich mich natürlich irgendwann, wer denn diese Dr. Eleonore Jost sei. Und, ich wollte mich bedanken. Also schrieb ich ihr, ob sie Lust hätte mich kennenzulernen. Anderthalb Wochen später nun stehe ich vor Eleonores Haustüre in St. Goarshausen.

Eleonore und ihr Ehemann Axel Jost kommen eigentlich aus Ratingen. Bei Axel höre ich, an der Art wie er „Bad“ für Badezimmer sagt, schnell heraus, dass er aus der Nähe von Düsseldorf kommen muss. Es klingt wie „Batt“.
Die beiden leben in einem typischen, alten Reihenhaus am Rhein. Schmal, verwinkelt, enge Treppen, knarzender Holzboden und natürlich mit Rheinblick.

Kurz nach meiner Ankunft fährt die Goethe am Haus der beiden vorbei und hupt laut.
„Das hat sie zuvor noch nicht an dieser Stelle getan“, sagt die 71-jährige Eleonore.
„Muss am Burgenbloggerin-Besuch liegen“, erwidere ich scherzhaft.

Während Elenore Crêpe und Kaffee vorbereitet, führt mich Axel durch ihr Haus.
Gleich im Eingang hängt ein Steinbild von Detlef Kleinen.
„Den Künstler erkennen Sie sicherlich“, sagt Axel und zeigt auf das Bild.
„Ja“, und ich erinnere mich an den warmen Sommertag in Detlefs Atelier, das mit kuriosen Fundstücken, Federn, Zeitschriften und vor allem den verschiedenen Steinen bestückt ist.

Axel Jost ist Musikliebhaber und besitzt eine große Plattensammlung: „Was Sie sehen, ist nur ein kleiner Teil.“ Ich bewundere seinen alten Plattenspieler und sehe eine LP von Florian Lohhoff ganz vorne im Regal stehen. Schnell ist mir klar, woher er diese Platte hat.
„Die hatten einen guten Sound“, bemerkt Axel.
„Da waren wir wohl am selben Abend in Bernies Bluesbar.“
Axel und Eleonore Jost sind gute Bekannte von Bernie und so war es kein Zufall, dass sie sich auch die Berliner Soul-Funk-Blues-Band ansahen. Dem Ehepaar liegt es am Herzen, die hiesige Musik-und Kunstszene zu unterstützen, an ihr teilzunehmen.
„Im Mittelrheintal passieren einige spannende Dinge“, kommentieren die beiden später beim Crêpe-Essen. Schade sei allerdings, dass es kein gesamtes Programm fürs Tal gäbe, das Bewohner, Touristen, Gäste über alle Veranstaltungen gleichsam informiere.
„Das hängt natürlich auch mit der regionalen Aufteilung der Lokalzeitungen zusammen“, bemerkt Axel, „ob die Mainzer Allgemeine Zeitung, die Rhein-Hunsrück-Zeitung oder die Rhein-Lahn-Zeitung.“
„Frank Zimmer versucht die Veranstaltungen jedoch immer gut auf seiner Internetseite mittelrheingold.de zusammen“, füge ich an.

Die Hausführung geht nun runter in den Keller. Der Abstieg erfolgt über eine alte Schiefertreppe in die Räumlichkeiten. Axel zeigt auf eine Kellerwand: „Da ist ein Stück der alten Stadtmauer mit dem Haus verbaut worden.“ Ich berühre die alten Steine mit meinen Fingern, die zusammengewachsene Struktur, mag diese Orte, an denen sich ganz deutlich verschiedene Epochen miteinander verbinden.

Wir gehen weiter durch den kleinen Keller. Auf der anderen Seite befindet sich ein großes Becken mit zwei steinernen Kammern. Wozu das Becken fungiert habe, wisse Axel nicht genau, aber es gebe drei Theorien:
Die Erste sagt, dass es mal eine Futterstation für Ziegen gewesen ist, die damals mit im Haus lebten. Die Zweite stammt von einem Winzer, der meinte, dass in dem Becken Weinflaschen gewaschen wurden. Und die Dritte bezieht sich auf die Salmfänger am Rhein. „Es könnte ein Becken für den frisch gefangenen Lachs gewesen sein. So konnten die Salmfänger die lebenden Fische im Becken noch etwas aufbewahren“, sagt Axel.

Wir verlassen den Keller und gehen hoch über die schmale Holztreppe in den ersten Stock, in dem sich die Küche und auch Eleonore befinden. Gemeinsam gehen wir ins Wohnzimmer. Die Couch steht etwas erhöht auf einem Sockel, sodass man durch das Panoramafenster einen tollen Blick auf St. Goar, den Hunsrück und den Rhein erlebt. Ein Stück Loreley, ein Stück Rheinschleife, Schiffe auf dem Rhein und Fachwerkhäuser auf der anderen Seite.
Eleonore und Axel haben sich bewusst für ein Haus mit Rheinblick entschieden, es war ihr Grund hier hinzuziehen, ihr Suchkriterium. Die Verbindung zum Rhein sei den beiden wichtig gewesen.

Oberhalb ihres Hauses befindet sich die Burg Katz. Wenn man auf dem Balkon der Josts steht und sich ein wenig über das Geländer beugt, kann man die Burg gut sehen.
„Sie können die Burg wahrscheinlich sehen“, lacht Eleonore, „ich bin zu klein dafür, um sie vom Balkon aus zu betrachten.“

Eleonore und Axel Jost sind nicht nur interessierte Kunstsammler und Musikliebhaber, sondern ganz konträr zu den Vorstellungen junger Menschen im Internet unterwegs.
„Die jungen Leute wundern sich manchmal, dass wir im Internet unterwegs sind, dabei ist das Internet mit uns entstanden, gewachsen, groß geworden“, sagt Eleonore, „wir beschäftigen uns schon seit 30 Jahren mit dem Internet und den neuen Medien.“
„Naja, und nicht jeder hat damals die Wichtigkeit erkannt“, fügt Axel an, „Wer das Telefon hat, braucht kein Internet, sagte damals der Leiter einer Beratungsstelle ,Neue Technologien‘ zu Axel.“
Axel, der Hauptschullehrer war, brachte als erster Lehrer das Internet in seine damalige Schule. Er berichtet mir von einem prägenden Ereignis für seine Schüler: Über das Internet habe er damals Kontakt zu einem Lehrer aus Alaska aufgenommen. Axels Schüler und der Lehrer aus Alaska begannen sich zu schreiben, schickten sich Botschaften, Alltagsgrüße. Irgendwann kam dann der besagte Lehrer aus Alaska in Axels Schule.
„Das war schon ein Ereignis“, sagt er. Eine prägende Erinnerung nicht nur für seine damaligen Schüler, denke ich, was heute für uns Alltag ist, war damals eine Besonderheit.

In ihrer Küche angekommen, setzen wir uns an den Esstisch, von dem man den Hunsrück und eine Seitenstraße in St. Goarshausen sehen kann.
„Der Blick auf den Hunsrück ist natürlich schön“, sagt Eleonore, die ursprünglich aus Kirn kommt. „Man sieht auf die Heimat, hat sie vor Augen.“
Ja, der Blick von außen, die andere Perspektive auf die Dinge ist wichtig, denke ich. Nicht nur geografisch:
„Wir haben das Privileg, uns die Region von außen anzugucken, da wir nicht so mit ihr verwurzelt sind. Und geben auch gerne Kritik und Anregungen. Das schmeckt natürlich nicht jedem“, sagt Eleonore.
„Einige Hoteliers hängen beispielsweise immer noch an der Zeit der Kegelclubs, die massenweise Touristen ins Tal spülte“, sagt Axel.
„Ja, aber das ist vorbei“, sage ich.
„Die fliegen jetzt nach Mallorca“, kommentiert er.
„Freunde machen wir uns natürlich nicht immer“, sagt Eleonore.
„Aber Kritik ist gut“, sage ich. Kirchturmdenken helfe eben nicht – im Gegenteil. Partizipativ, netzwerkend, im Miteinander denken schon. Mit dem Finger drauf zeigen und meckern, schafft selten Besserung. Losgehen, anfangen, verbinden bringt einen weiter. Und dafür gebe es ja schon einige positive Beispiele in der Region, sage ich.

Was dem Netzwerken manchmal im Weg stünde, sei das „Wir-Ihr“-Denken der beiden Seiten, meint Axel, der eine einschlägige Begegnung mit eben diesem Denken in Boppard hatte. Axel saß dem Zufall geschuldet in der Bopparder Fußgängerzone in einer Herrenrunde. Die Herren kamen ins Gespräch, erzählten sich von den Orten auf dieser Welt, die sie schon bereist hatten. Es schien als kannten sie die ganze Welt. Irgendwann stellte man Axel die Frage, wo er wohne. „St. Goarshausen“, antwortete er. Betretene Stille. Irgendwann dann sagte einer: „Also auf der anderen Seite.“ Die Herren hatten die Welt bereist, die andere Seite allerdings noch nie.

Eleonore verrät mir beim Essen auch, warum sie mir diese E-Mails sendet. Jahrelang habe sie für einen Verlag Korrektur gelesen und Fehler fallen ihr daher nun mal schnell auf. Sie hat leuchtende Augen, in ihnen liegt eine Kraft, aber auch eine Strenge. In Mainz habe sie Sprachwissenschaften, Romanistik studiert. Ihr Schwerpunkt war Altfranzösisch. Gewissermaßen fühle sie sich immer noch als Mainzerin. Die Romanistik sei stark mit ihrer Identität verwurzelt.
„Es gibt Berufe, die führt man einfach aus, und andere, die sind Teil von einem, Berufung, Leidenschaft.“ sage ich.
„So ist das bei Ihnen doch sicherlich auch?“, blickt Eleonore mich an.
„Ja, schon.“ Aber es ist Privileg und Bürde zugleich, denke ich.

Mein persönliches Highlight im Haus von Eleonore und Axel Jost befindet sich im zweiten Stock, unter ihrem Dach: Im Gästezimmer gibt es einen Aufstieg über eine rot lackierte Schiffsleiter. Er führt unter die Dachspitze. Wie ein kleines Zelt, eine Koje, mutet dieser Ort an.
„Perfekt für Kinder“, sage ich, „um sich Geschichten auszudenken, zu träumen oder sich dort oben zu verstecken.“ Und überlege kurz, ob ich nicht ganz hochklettern und ein wenig da verweilen soll, zu schön finde ich diesen Platz.

Kurz bevor ich fahre, möchte Eleonore wissen, ob sie mir weiterhin Korrekturen senden dürfe. „Nicht alle Menschen freuen sich darüber.“
„Ich schon“, antworte ich.

Auf dem Weg zurück denke ich noch einmal über das „Wir-Ihr“-Denken nach: Das Mittelrheintal kann es nur mit beiden Seiten geben und das nicht nur geografisch. Der Fluss ist nicht nur Trennung, sondern auch Gemeinsamkeit.
Ich weiß, dass ich die Dinge manchmal schöner sehe, nur der Blick aufs Schlechte, bringt einen nicht weiter.

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