Die Anti-Loreley

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Der Künstler Hubertus von der Goltz hat die „Begegnung“ am Binger Rheinufer installiert.
Der Künstler Hubertus von der Goltz hat die „Begegnung“ am Binger Rheinufer installiert.

Von einer, die auszog, um in die Ferne zu gucken.

Ich weiß nicht warum, aber die Leute schreiben mir Gedichte. Ich bekomme sie per Mail, als Brief, per WhatsApp, via Facebookmessenger, oder sie tauchen plötzlich in den Kommentarbereichen auf.

Sie kommen von Frauen und Männern gleichermaßen, handeln meist vom Rhein oder vom Tal, aber auch von der Liebe, vom Leben, vom Tod. Einmal sogar von einer Gerichtsverhandlung.

Ob Sie es mir glauben oder nicht, ich bin es nicht gewohnt, dass man mir Gedichte schreibt. Und ich frage mich, was hier eigentlich los ist. Woran das liegt. Am Rhein? Am Wein? Der Kombination?

Was es auch immer ist, ich will auch was davon haben.

Kürzlich erreichte mich ein Brief von einer 94-jährigen Frau. Sie entschuldigte sich darin zunächst für ihre zittrige, dem Alter geschuldete Handschrift und kritisiert dann, dass ich in dem Text „Vater Rhein, die ärmste Sau“ den Rhein und seine Romantiker beleidigt hätte. Dann schließt auch sie ihren Brief mit einem Gedicht. Ich zitiere einen Auszug:

„Ich liebe den Rhein,

Genieße den Wein

Bisher sah ich beides

Recht locker

Doch jetzt liegen schwer

Im Magen mir

Die Verse vom Burgenblogger“

Am Ende des Briefes unterschreibt sie mit einem Kürzel und erklärt, dass sie lieber anonym bleiben möchte.

Zwei Tage später dann klingelt mein Telefon. Es ist die Verfasserin. Sie sagt, dass sie mit mir reden müsse, weil sie sich schließlich doch dazu entschieden habe, ihre Identität preiszugeben. Sie will, dass ich weiß, wer da Kritik übt. Wir unterhalten uns eine Weile. Ich sage ihr, dass ich den Rhein eigentlich gar nicht so schlecht finde, und sie erzählt mir aus ihrem Leben.

Kurzum: Diese Frau ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Kritik übt. In Wort und Ton. Diese Frau ist ein Segen in einer Zeit, in der es Menschen schaffen, sich in das höchste Amt einer Demokratie zu pöbeln, oder Unternehmen ganze Löschtrupps gegen Hasskommentare ins virtuelle Felde führen. Diese Frau ist Vorbild in einer Zeit, in der man leider viel zu vielen Menschen viel zu leicht in die Köpfe gucken kann. Und dort oftmals nicht viel mehr findet als ein fauliges Würgen auf der Suche nach einem, der die eigene Wut mit einem Daumen teilt.

Diese Frau wählte den Reim, die höchste Form, die Wortwerdung des Gefühls.

Heute reicht es nicht mehr, Gedichte zu schreiben. Heute muss man mindestens auf Kräne steigen.

So wie eine andere Frau. Eigentlich ist sie Teil einer Skulptur des Künstlers Hubertus von der Goltz. Er hat seine „Begegnung“ am Rheinufer in Bingen auf einem alten Industriekran installiert. Dank ihm ist sie dort oben.

Was sie nicht ahnt. Ein paar Meter hinter ihr auf dem Kran schleicht sich ein Mann heran. Mühsam, achtsam balancierend. Einer, der es ganz offensichtlich nicht aushält, dass sie dort oben, dass sie schon so viel weiter ist. Vermutlich hat auch er ihr irgendwann mal Gedichte geschrieben. Vermutlich waren es keine besonders guten. (Wäre sie sonst dort oben?)

Er folgt ihr also auf diesen Kran. Vielleicht weil er sehen will, was sie sieht. Vielleicht weil er fühlen will, was sie fühlt. Aber je länger man von unten schaut, umso klarer wird:

Sie ist aus Neugier dort oben. Er aus Angst. Sie schaut entspannt in die Welt. Er ängstlich zu Boden. Vermutlich weil er weiß, dass er dabei ist, erst sie und dann sich selbst zu verlieren. Vielleicht klettert er mit Udo Lindenberg dort hinauf: „Wir sind doch nicht so wie die andern, die sich mal lieben und dann weiterwandern.“

Sie aber schreit allerhöchsten einen Song von Wanda in die Welt: „Du wirst von Sternen high, ich bin da nicht so frei, ich brauch’ schon Schnaps oder irgendwas.“

Und so steht man unten und blinzelt hinauf auf diesen Kran. Auf diese brutale Ungleichzeitigkeit. Auf eine „Begegnung“ ohne echten Kontakt. Auf eine lebensbejahende Frau verfolgt von einem lebensmüden Idioten. Auf zwei Menschen, die hier unten vielleicht mal in Ketten lagen und das Zweisamkeit nannten, die dort oben aber Welten trennt.

Sie ist die Anti-Loreley, die nichts und niemanden bezirzen muss, um jemanden ins Verderben zu schicken. Eine Frau, die weder Kamm noch Gesang braucht, die dort oben alles hat – ganz bei sich und der Welt ist.

Und der Rest sieht Rücken.

Man steht und schaut und blinzelt. Und möchte rufen:

Lass gut sein, Kräne sind nichts für dich. Sie wird ihre Gründe haben, warum sie dort oben ist. Komm wieder runter, hier wartet deine Würde auf dich. Such’ dir eine Routine, kauf dir eine Doppelhaushälfte, zieh auf eine Burg oder richte dir einen Fonds ein.

Und während er wieder hinabsteigt – in dem guten Gefühl, es ja versucht zu haben -, salutiert von der anderen Seite eine grimmige Germania. Eine, die das nicht dulden kann, weil sie doch eigentlich dort steht, um zu vereinen. Geschichte, Land und Menschen. Dort oben. Oberhalb der Rüdesheimer Weinlagen steht sie, den Kopf abfällig nach links gedreht, in den Rheingau blickend, Reichskrone und Schwert in Händen. Die Generale und Fürsten liegen ihr zu Füßen: Bismarck, Moltke und von Manteuffel drängen um ihren König Wilhelm. Seit über 130 suchen die alten Männer Schutz unter dem Rock der Germania am Fuße des Niederwalddenkmals. Und müssen nun diese unbeugsame Frau von der anderen Seite ertragen. Die da einfach nur steht. Und schaut. Hinaus. In die Welt. Und der das alles egal ist.

Auch ich schaue zu ihr auf. Ihr Kran ist meine Burg. Und über ihr der Himmel. Der in diesen Tagen auch ein bisschen Blau verzeiht. Es gibt schlechtere Moment für ein Gedicht, denke ich. Komm schon. Nur ein ganz kleines. Verwegenes.

Vielleicht eines über eine Frau, die auszog, um in eine neue Welt zu blicken. Auch wenn hinter hier eine andere zusammenbricht. Einfach so.

 

 

3 Kommentare

  • ursula goldau says:

    wasfür ein jammer, kaum rückt die kunst ins zentrum der betrachtung schweigen die kommentare!
    es gibt so viele, die am rhein kunsten oder richtige künstler mit herzblut sich in den rhein verströmen-
    wer kümmert sich drum?
    man braucht das nicht denken die meisten
    nicht so der rhein
    er kommt aus seinem bett und will es sehen
    der alte kunstkenner
    bildhauer und maler schmeichelten ihm
    musiker empfanden seinen wellenschlag
    und jetzt?
    wie soll das weitergehen
    mit pulse of europe without anycuktural affairs?
    weinen &artig sein?

  • ursula goldau says:

    immer wieder reißts vom hocker
    die guten texte vom burgenblogger!!