Des Kaysers Bombardier

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Ein liberaler Traditionalist - des Kaisers Bombardier. Foto: Timo Stein
Ein liberaler Traditionalist - des Kaisers Bombardier. Foto: Timo Stein

Wenn an einem Sonntag im Mai auf deinem Dach einer aus der Hüfte schießt, wohnst du auf einer Burg am Mittelrhein.

„Musketier, du zielst umsunst, wenn ein Engel dir aufs Zündloch brunst.“ Des Kaysers Bombardier

Als Kind hat mir einmal ein Nachbar mit erhobenem Zeigefinger gedroht, weil ich sonntags den Rasen mähte. Jörg Höfer ist der Sonntag egal. Jörg Höfer steht an so einem heiligen Sonntag auf meinem Dach über meinem Zimmer auf dem Südturm der Burg Sooneck und feuert drei gewaltige Kanonenschläge in den alten Steinbruch. Funken schlagen. Donnerhall. Schall bricht sich an der orangenen Felsenwand und scheppert ins Tal. Aber Jörg Höfer kann nichts dafür. Es ist sein Job. Er ist des Kaysers Bombardier.

Der 58-jährige Höfer aus Sankt Sebastian zieht in der Rolle eines barocken Musketiers von Burg zu Burg und bringt den Leuten auf seine Art Geschichte bei. Geschichte zum Anfassen.

An diesem Sonntag ist es verhangen, es regnet, gemeine elf Grad. Normalerweise verlaufen sich nur eine Handvoll Menschen bei dieser Witterung auf die Burg. Anders, wenn der Bombardier anrückt. Dann kommen vor allem Kinder. Sie stehen dann im Halbkreis um den aus einer anderen Zeit Kommenden. Und die anfängliche Ehrfurcht verfängt sich schnell in Neugier und geht in spielerische Begeisterung über.

„Ich bin ein Soldat aus der Vergangenheit“, raunt er, das „I“ in die Länge ziehend, die Augen weit aufreißend. „Ich bin des Kaysers Bombardier!“

Ein paar Asiaten wundern sich über den Kerl mit der Kanone. Sie verstehen natürlich kein Wort, bleiben aber trotzdem. Zu sehen und zu hören gibt es schließlich genug.

Bevor Höfer in die Rolle des stampfenden Musketenmanns schlüpft, steht er in zivil in einem kleinen Geräteschuppen und müht sich in die Bombardiersklamotte. Die Verwandlung ist komplett, wenn er in den Wams, den Überrock, schlüpft, den Koller, einen hieb- und stichfesten Ledermantel, überzieht, die schwarze Kniebundhose überstreift, in die Schnallenschuhe steigt, sich den Hut aufsetzt und das rote Tuch umwirft. Tritt er durch die grünlackierte Tür des Schuppens, ist Jörg Höfer endgültig der barocke Soldat, androgyn uniformiert. Dann wirkt er mit seinem drahtigen Schnäuzer ein bisschen wie Burt Reynolds in seiner Paraderolle des ausgekochten Schlitzohrs.

Dann zieht er sein Messer und hält es den Kindern dicht vor die Nasen. Anschließend lädt er seine Flinte, eine sogenannte leichte Luntenmuskete, nach einem genau festgelegten, strengen Ablaufplan: dem Exerzierreglement von 1610. Es ist das erste Handbuch zum Waffengebrauch. Entwickelt in den Niederlanden, um den Durchschnittsbürger waffenfähig zu machen und gegen die Spanier antreten zulassen.

Höfer hat Waffe und Wort. Die Waffen sind sein Mittel, um Geschichte und Geschichten zu erzählen. Da sind die vielen Redewendungen, die ihren Ursprung in der Musketierzeit haben: An den Hut stecken“, „Rohrkrepierer“, „aus der Hüfte schießen“, „nix auf der Pfanne haben“, „Lunte riechen“.

Höfer gibt seit 2010 den Musketier. Das Konzept hat er selbst entwickelt. Alles selbst recherchiert. Er gießt die Kugeln, trocknet den Zunder, hat wochenlang zuhause die Fingerstellung trainiert, den Funkenschlag geübt, hunderte Male die Glut entfacht und sie sorgsam zur Zündschnur gehoben. Es ist ein Handwerk. „Das muss man können“, sagt Höfer.

Er kann. Zum Abschluss der halbstündigen Vorstellung zieht er dann sein sechs Kilo schweres Granatgewehr, ruft „Mund auf, Ohren zu!“, zündet und schießt. Aus der Hüfte. Natürlich. Funken schlagen. Rauch drückt aus der Mündung. Es stinkt nach faulen Eiern. Applaus.

„Aber!“, mahnt der Bombardier und setzt zu seinen letzten Worten an, „Heute ist kein guter Tag, um Krieg zu führen“. Und legt die Waffen ab.

Dass Höfer diese ungewöhnliche Profession ausübt, daran tragen seine Eltern eine gewisse Mitschuld. Sie haben ihn quasi historisch geimpft. Und Grimmelshausen. Den Schelmenroman „Der Abentheuerliche Simplicissimus“ hat Höfer zum ersten Mal mit 14 gelesen. Seither elf weitere Male. Höfer kann etliche Passagen daraus zitieren. Eine hat es ihm ganz besonders angetan, nämlich die, in der der Held aus einem Gefecht mit dem Leben davonkommt, weil das Pulver feucht ist und der Schuss verpufft.

Eigentlich ist Höfer Schriftenmacher von Beruf. Dann hat das Landesmuseum Rheinland-Pfalz jemanden gesucht, der sich mit historischen Waffen auskennt. Höfer kennt sich aus. Er ist seit 30 Jahren im historischen Schützenverein und war Panzergrenadier bei der Bundeswehr. Wenn er heute nicht mit dem Granatgewehr von Burgen schießt, steht er in seiner Büchsenmacherwerkstadt auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz.

Höfer weiß aber um die Wirkung, die Waffen auch auf Menschen haben, die besser keine führen sollten. Die Spinner schicke er gleich wieder weg. „Bei uns findet man keine Deutschtümelei“, sagt er. Traditionspflege ja, aber nicht um jeden Preis. Die Menschen am Rhein seien geprägt durch einen tief verwurzelten Liberalismus. „Wir können gar nicht anders“, sagt Höfer und lacht. „Rheinländer sind von Haus aus nicht obrigkeitshörig.“ Und verweist auf die Fassenacht und Carl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“. „So ist das hier: total lebensbejahend. Mit allem Drum und Dran, mit Suff und Tanz und Freude. Die Menschen am Rhein sind offen, aber fallen dir auch nicht gleich um den Hals.“

Der liberale Traditionalist Höfer will Geschichte weitertragen. „Wenn nur eines der vielen Tausend Kinder, denen ich meine Geschichten erzählt habe, später einmal sagt, diese Tradition, diese Überlieferung erhalte ich. Dann habe ich alles richtiggemacht“, sagt er stolz mit zusammengekniffenen Augen. „Und wenn nur ein altes Haus stehen bleibt.“

2 Kommentare

  • Karin Satzinger says:

    Karin Gitta
    ich bin hinter der Festung geboren und kenne die Geschichte und der Weg von den Fritsch Kaserne zur Festung ist der Weg meiner Kindheit und vor der Festung gab es ein Cafe mit dem Namen Cafe Wester…. die alte Festung verändert aber ich höre noch heute meinen Vater wen er mit seiner Kompanie im Gleichschritt zur Festung lief…
    es grüßt Karin Gitta

  • Maria Schmelzeisen says:

    Eine prima Geschichte,ehrlich gesagt hab ich sie noch nie gehoert,aber sie gefaellt mir.Eigentlich muesste ich sie ja kennen bin immers am schoenen Rhein geboren.
    Es gruesst Maria Schmelzeisen

    12.mai.2017