Der Festival-Krimi von Wollmerschied

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Angespannt sitzen die Besucher zu Hause vor ihren Smartphones. Immer wieder aktualisieren sie die Website des Festivals. Losfahren und hoffen, dass sich das Blatt noch wendet? Oder abwarten, bis eine endgültige Entscheidung gefallen ist? Die Autos sind zum Teil bereits gepackt, es kann jederzeit losgehen. Einige sind schon auf dem Weg nach Wollmerschied. Andere entscheiden sich, alternativ ein anderes Festival zu besuchen. Die Ungewissheit nagt an allen Beteiligten. Veranstaltern, Helfern, Künstlern, Besuchern.

Was geschehen war

Der Mittwoch vor dem Tropen Tango Festival. Die Stadt Lorch sagt die Veranstaltung, zu der bis zu 3.500 Menschen erwartet werden, wegen erhöhter Waldbrandgefahr kurzfristig ab. Die Besucher werden aufgerufen, ihre Anreise abzubrechen und dem Festivalgelände fernzubleiben. Damit scheint die Sache für viele klar. Das war‘s für die neunte Ausgabe des Tropen Tango Festivals. Klar? Von wegen! Für Veranstalterin Rike Kochem und ihr Team steht fest: Wir kämpfen bis zum Schluss! Sie reichen einen Antrag gegen die Verbotsverfügung der Stadt Lorch beim Verwaltungsgericht in Wiesbaden ein. Ein Hoffnungsschimmer? Nein! Abgelehnt. „Ich war überrascht vom ersten Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden. Das hat mich schon getroffen. Denn die Begründung der Stadt Lorch, das Festival abzusagen, war absolut dünn“, wird Kochem später erzählen.

Kein Grund jedoch aufzugeben. Während die Stadt Lorch in den sozialen Medien mit Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts die Besucher noch einmal ausdrücklich auffordert, nicht anzureisen, geht das Festivalteam um Rike Kochem in die nächste Instanz. Mit einem aktualisierten Sicherheits- und Brandschutzkonzept wenden sie sich an den Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Ein Hoffnungsschimmer? Ja! Um Punkt 15 Uhr am Freitag kommt die Nachricht aus Kassel: Das Festival darf stattfinden. Ein Veranstaltungsverbot wäre rechtswidrig, da keine konkrete, sondern nur eine abstrakte Waldbrandgefahr von dem Festival ausgehe. Die Nachricht macht im Internet schnell die Runde, überall in Deutschland brechen erleichterte Besucher gen Wollmerschied auf.

Kein Festival wie jedes andere

Was ist es, das ein Musikfestival zu etwas Besonderem macht, es von der Masse der vielen anderen Festivals abhebt? Ist es die Location oder die Künstler auf den Bühnen? Sind es die Menschen, die es besuchen? Oder doch die Menschen, die es veranstalten? Welche Rolle spielen das Wetter, der eigene Gemütszustand und die Freunde, die einen begleiten? Der Tropen Tango hat all diese Zutaten in einen Kessel geworfen, gut verrührt und bei Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke schmackhaft aufgekocht.

Hier läuft alles ein bisschen anders, als der gemeine Festivalbesucher es womöglich von anderen Veranstaltungen gewohnt ist. Massenweise Werbebanner für Sponsoren oder andere Festivals sucht man in Wollmerschied vergebens. Auch dominieren hier nicht die üblichen Fast-Food-Festival-Buden. Stattdessen gibt es japanische Suppen, Hanfbrot mit verschiedenen Füllungen oder Steaks vom Landschwein aus der Region. Trinkwasser gibt es gratis aus der Leitung statt überteuert am Getränkestand. Ähnlich wie das weitaus größere Fusion-Festival, das jährlich in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bei Fans geschätzt wird, versteht sich der Tropen Tango als antikommerzielles Festival, bei dem auch politische Botschaften ihren Platz haben. Spaß haben ja, aber dabei muss ja nicht gleich vergessen werden, dass nicht alles in der Welt rundläuft. Kunstinstallationen und Workshops finden deshalb Platz neben Tanz und Ekstase.

Es sind die vielen kleinen Details, die erst einmal gefunden werden wollen, die die Besucher immer wieder zum Anhalten und Lächeln bewegen. Die Tauschstation beispielsweise, bei der man einen Gegenstand abgeben kann und dafür einen neuen erhält. Oder die kleine Holzfigur, die leicht versteckt in den Büschen vor sich hin tänzelt. Nicht zu übersehen ist hingegen die große Moai-Statue am Eingang, die ein bisschen Osterinsel-Flair in den Taunus bringt. Das Festivalgelände als großer Spielplatz, nicht nur für Kinder, der vor allem in der Nacht wegen der vielen Lichtinstallationen seinen Zauber entfaltet.

Eine Portion Subkultur bitte

Musikalisch legt sich der Tropen Tango nicht fest. Warum sollte er auch? Wo am Vortag auf der Zeltbühne noch The Blunders aus England rotzige Rock-Riffs aus ihren Gitarrensaiten herausschlugen, prustet am nächsten Tag der deutsche Beatboxer Clemens Clefx druckvoll Bässe ins Mikrofon. Auf der Hauptbühne verführen Smokey Joe & The Kid aus Bordeaux mit ihrem Mix aus Rap, Trip Hop, Soul und Swing zum Mitgrooven, während die Trommel-Rhythmen von Gato Preto, deren Mitglieder in Mosambik, Portugal und Ghana beheimatet sind, die meisten Besucher schnell die Schuhe ausziehen lässt, um barfuß im Staub zu tanzen.

„In den ersten Jahren haben wir meist Bands aus der Region eingeladen, vor allem jene, die wir selbst unbedingt mal live sehen wollten. Über die Jahre hat sich aber ein richtiges Booking entwickelt“, erzählt Rike Kochem. Und dennoch: Um heute wirklich viele Bands im Programm des Tropen Tango Festivals kennen zu können, muss man musikalisch wohl schon recht szenig unterwegs sein. Subkultur eben. Alles andere kann man ja auch auf den unzähligen anderen Musikfestivals bekommen.

Wie es weitergehen kann

Zwar hat sich die Stadt Lorch im Internet nach der Entscheidung aus Kassel entschuldigt, für Rike Kochem ist das Thema dennoch nicht gegessen. Sie will die Stadt auf Schadensersatz verklagen. Schließlich wurden einige potenzielle Besucher von der anfänglichen Absage abgeschreckt. Auch die Auftritte mancher Künstler entfielen. Zudem sind für das Team erhebliche Mehrkosten angefallen. Beispielsweise mussten zwei Tanklöschfahrzeuge aus Nordrhein-Westfalen angemietet werden, die mit Besatzung 26.000 Euro kosteten. „Die Überlegung, das Festival künftig woanders zu machen, steht auch schon im Raum. Zum einen wegen der aktuellen Vorfälle, zum anderen wegen des Platzes“, erklärt Kochem.

Das Tropen Tango Festival ist ein Mehrgenerationenprojekt. Kochems Kinder sind alle mit involviert. Ihre Enkelkinder tollen umher. Außerdem umfasst das Team mit allen Helfern mehr als hundert Freiwillige. So was wirft man nicht einfach weg. Auch dann nicht, wenn einen die Stadt Lorch schikaniert, wie Kochem sagt. Schade wäre ein Wegzug des Festivals wohl vor allem für die Gemeinde Wollmerschied, die laut Kochem mehrheitlich hinter dem Festival steht. „Vergangenheit ist Vergangenheit“, sagt Kochem. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen.

Hier die Fotos zum Durchklicken:

2 Kommentare

  • Rachel GudRuna Grökel says:

    Lorch hat sich mit dieser Entscheidung nich grad mit Ruhm bekleckert, aber weder die Veranstalter, die unverdrossen weiter aufbauten, noch die Besucher, die – egal, woher – das Risiko auf sich nahmen, zu einem abgesagten Festival zu fahren, ließen sich von dieser unsinnigen Entscheidung abschrecken.
    Anfangs war die Stimmung noch etwas gedämpft und abwartend, aber als dann am Freitagnachmittag die erlösende Botschaft aus Kassel kam: Wir haben gewonnen! lagen sich die Menschen in den Armen, Jubel schallte über den Festplatz und hier und da liefen die Freudentränen.

    Zum Glück war der ganze Landkreis uns wohl gesonnen; Geisenheim bot z.B. an, seine Einsatzkräfte zu schicken (die Lorcher Feuerwehr feierte wohl an diesem Tag ihr eigenes Fest) was von Lorch abgelehnt wurde :( , und die Wollmerschieder Feuerwehr verschaffte uns am Sonntag noch eine willkommene Abkühlung aus vollen Rohren.
    Das war auch das Einzige, was zu löschen war, denn die Veranstalter hatten alles nur Mögliche getan und weder Mühe noch Kosten gescheut, um den Tropen-Tango so sicher wie möglich zu machen und sämtliche Auflagen zu erfüllen. (DANKE!! <3)
    Auch die Gäste trugen ihr Teil dazu bei, "brenzlige Situationen" zu vermeiden.
    Es war schön wie immer – noch schöner vielleicht sogar, weil wir es uns gemeinsam erkämpft haben, weil Aufgegeben keine Option war, weil wir alle dieses Festival wollten!

    Ich hoffe noch auf viele bunte und fröhliche Tropen-Tangos!

  • Jürgen Edelmayer says:

    Was hat die Verantwortlichen nur geritten, ein Festival, zu dem rund 3.500 Besucher erwartet werden, zwei Tage vor dem Start absagen zu wollen? Angesichts der seit vielen Wochen herrschenden Trockenheit reicht der Hinweis auf eine Waldbrandgefahr als Begründung nicht aus.Da hätte es im Vorfeld reichlich Gelegenheit zu Vorschlägen für verbesserte Sicherheitskonzepte gegeben.Jetzt droht der Wegzug eines beliebten Festivals aus der Region und eine Schadensersatzklage kommt möglicherweise auch noch hinzu.