Bingen swingt, Bingen mosert

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Ich habe keine Ahnung von Jazz. Was ich mit Jazz verbinde, sind Lisa Simpson und Zahnfleischbluter Murphy aus der Kultserie „Die Simpsons“. Von Dixieland hab‘ ich auch schon mal gehört. Und dann ist da noch dieses klischeebehaftete Bild von einer verrauchten Kellerbar, irgendwo in einer Seitenstraße von New York. Im blauen Dunst, vom Eingang aus kaum zu erkennen, spielt ein Jazz-Trio vor drei Gästen, die versprengt im Raum verteilt an verschiedenen kleinen runden Tischen sitzen. Und da hört’s dann auch schon fast auf. Wurde ich in der Vergangenheit in ein Gespräch verwickelt, wo Jazz plötzlich Thema war, habe ich stets mit einem Augenzwinkern beteuert, dass ich mir dieses Genre fürs Alter aufspare. Schließlich gilt es ja dann auch noch neue Musik zu entdecken. Und irgendwie habe ich damit natürlich suggeriert, dass Jazzhören etwas für ältere Menschen ist. Zeit, die Klischees abzustreifen. Mittendrin bei „Bingen swingt“.

Wer Jazz liebt, würde ihn vermutlich nicht unbedingt in Bingen suchen. Doch genau dort hat er eine feste Heimat. Bingen swingt bereits seit 23 Jahren. „Internationales Jazzfestival“ – klingt zunächst dick aufgetragen für eine Kleinstadt. Bei genauerem Hinsehen – oder besser gesagt Hinhören – erkennt aber sogar der Laie, dass es hier hochkarätig zugeht. Echo-Jazz-Preisträger spielen neben studierten Musikern der Hochschule Mainz. Drei Tage lang, auf acht Bühnen. Da sind die Binger sicher mächtig stolz. Sollte man meinen…

Der gemeine Binger aber mosert gerne, berichten jene, die schon immer hier leben. Da hat Bingen schon ein Jazzfestival mit Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus, dann ist es einigen zu voll oder zu laut auf den Straßen. Und das drei Tage lang. Schlimm! Unvorstellbar, was die Einwohner von Kastellaun oder Adenau über sich ergehen lassen müssen, denen die Festivals Nature One und Rock am Ring jedes Jahr tausende Menschen in die Stadt schwemmen. Nein, Moment mal. Die freuen sich, weil es dem Einzelhandel und der Gastronomie Rekordsummen in die Kassen spült. Sie begrüßen die Festivalbesucher mit Bratwurst und Bier an Straßenständen. Das würde sicher auch Jazz-Fans schmecken.

Ein satirischer Beitrag von Frank Klöckner in der Facebookgruppe „Was ist passiert?! Bingen und Umgebung“ zeigt die Problematik auf:

Nach fortlaufender Kritik prüft die Tourist-Info in Bingen nun ihr Veranstaltungskonzept. Bisher war das Ziel, ein vielfältiges Angebot an Veranstaltungen zu bieten. Es sollten verschiedene Zielgruppen angesprochen werden, so dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Leider geht dieses Konzept nicht auf.

„Viele beschweren sich über die Lautstärke, egal ob bei Bingen swingt, Winzerfest, Recharge im Park, oder das Festival auf dem Rochusberg. Auch die Einschränkungen bei einzelnen Veranstaltungen werden nicht hingenommen.“ Hinzu komme, dass viele es als Krach bezeichnen, oder es Eintritt kostet.

„Wir stecken viel Zeit und Geld in die Planung und Werbung. Vieles können wir gar nicht kostenlos anbieten. Auch entsprechendes Personal muss bezahlt werden, angefangen von den Mitarbeitern die sich mit Zeitung und Co. abstimmen, Dienstleister, Künstler, Security – niemand will umsonst arbeiten. Ohne ehrenamtliche Helfer wäre es noch teurer.“

Daher prüfe man folgende, neue Konzepte:

Stricken im Park

Flüstern in der Fußgängerzone

Stillsitzen auf dem Rochusberg

Hierfür fallen dann weder hohe Kosten an, noch kann man sich beschweren, dass es laut ist, oder einfach nur Krach, und man kann uneingeschränkt überall hingehen ohne in seinen Freiheiten begrenzt zu werden.

Man hoffe, dass man dann für die Zukunft keine Kritik oder Beschwerden mehr bekommt, und trotzdem noch viele Menschen in die Stadt kommen.

„Das ist nicht Bingen, das ist deutsch!“, „Gemeckert wird immer, egal worüber“, „Seid froh, dass was gemacht wird“, lauten nur einige der fast 50 Kommentare unter dem Beitrag.

Doch zurück zum Festival. Eine angenehme Atmosphäre liegt in den Straßen von Bingen. Von meckernden Menschen keine Spur. Einheimische treffen auf Gäste von außerhalb, im Restaurant oder vor den Bühnen. Sogar Gäste aus dem Ausland sollen da sein. Das Objekt der Begierde aller ist ein kleiner runder Button mit dem diesjährigen Logo des Festivals. Früher diente er mal als Eintrittskarte, heute nur noch der Zierde. Wie militärische Orden werden sie von manchen zur Schau getragen. Festgesteckt an Hut, Krawatte oder Umhängetasche. Zeig mir deine Buttons und ich sage dir, wie jazzverrückt du bist.

Zugegeben, von den 34 Bands, die bei „Bingen swingt“ auf der Bühne standen, kannte ich zuvor nur eine: Die Jazzrausch Bigband aus München. Eine 15-köpfige Truppe, die Techno und House mit Trompete, Saxophon und Tuba ein neues Gesicht gibt. Weil sie im vorigen Jahr Besucher und Festivalleitung mehr als überzeugten, hat man sie kurzerhand wieder eingeladen. Geht man nun danach, müssten Nina Attal, Kinga Glyk oder die Jazzkantine im nächsten Jahr ebenfalls wieder auf Binger Bühnen spielen. Denn sie brachten die Menge zum beben, rockten so richtig die Hütte. So schreibt man das doch, oder? Ich sag‘s ja, ich habe keine Ahnung von Jazz.

P.S. Für das leibliche Wohl war bestens gesorgt.

Und hier die Fotos zum Durchklicken:

6 Kommentare

  • Rudi says:

    Schöner Bericht und tolle Fotos. DANKE! Ich wollte immer mal hin, für nächstes Jahr sollte ich es wirklich einplanen!

  • Frank Klöckner says:

    Es wäre aber schon nett gewesen, meinen satirischen Beitrag auch namentlich zu erwähnen, bzw. Bescheid zu geben, dass er veröffentlicht wird.

    Trotzdem danke :)

    • Christoph Bröder says:

      Hey! Sorry, absolut richtig! Das ist mir durchgegangen. Name und Link sind nun hinzugefügt ;-)

  • David Hoffmann says:

    Wirklich schlimm das Gemecker. Zudem habe ich wenig Binger gesehen. Den Bingern ist es wahrscheinlich lieber, wenn gar nix los ist. Saufen am City Center ist total angesagt.
    Gruß David Hoffmann

    • Sandra Heinrichs says:

      Wie nett das du mich als Bingerin direkt mal als saufende titulierst die gerne vor dem neuen Center abhängt.
      Unglaublich ! ????
      Ich denke doch das die Meinungsfreiheit für Feder Mann und jede Frau gilt!?
      Und meine persönliche Meinung und wohl auch die der meisten Bürger in Bingen (denn warum waren so wenig Binger anwesend?) ist das die „Musik“ für mich absolut nicht ansprechend ist und das ich mich furchtbar unwohl fühle wenn ich so ausgegrenzt werde (ich kann zum Beispiel ab eine bestimmte Uhrzeit nicht mehr zur Eisdiele meiner Wahl um dort wie gewohnt meinen Kaffee zu trinken) und möchte ich zur Arbeit die halt um centrum ist werde ich absolut unverschämt vom Einlasspersonal behandelt!

  • Nicole Meisinger says:

    Ich schlage vor, für dass letzte Konzert bei Bingen swingt am Rhein-Nahe-Eck nur noch Euro 5.- Eintritt an der Kasse zu nehmen. Ich finde es völlig übertrieben , dafür noch eine Tageskarte zu verlangen. Nach dem Radfahren „Tal toTal“ auf der B9 wollen ganz viele Leute einfach nur noch ein wenig Musik geniessen und ein kühles Getränk zu sich nehmen. Da sollte man/frau sich nicht so anstellen! Die meisten Radfahrer blieben dann vor der Kasse stehen oder fuhren weiter, um ihr Geld woanders hinzutragen…