Meterhohe Büsche und Bäume. Spitze Dornen, die sich mühelos durch die Kleidung bohren. Riesige Schieferbrocken. Extreme Steigung. Und dann auch noch alte Drähte, die zur Stolperfalle werden. Thomas und Martin Philipps, zwei Jungwinzer aus St. Goar, lassen sich davon nicht beeindrucken. Und abschrecken schon gar nicht. Die Brüder haben es sich zur Aufgabe gemacht, Weinberge, die zum Teil jahrzehntelang brach lagen, wieder zu rekultivieren. Der Erhalt der Kulturlandschaft im Mittelrheintal ist für die beiden eine Herzensangelegenheit. Aber auch ein Knochenjob, der explosive Funde zum Vorschein bringen kann.
Thomas (36) und Martin (31) betreiben gemeinsam das Weingut Philipps-Mühle im Gründelbachtal in St. Goar. Bis 2015 war die Mühle des Vaters der Hauptbetrieb, Weinbau stand nicht im Fokus. Anfangs gehörten daher nur 0,3 Hektar Weinbergfläche zum Familienbetrieb. Die Brüder haben erkannt, welches Potenzial direkt vor der eigenen Haustür schlummert. 2005 haben sie angefangen, erste Flächen zu rekultivieren. „Als wir gemerkt haben, welche Qualitäten wir aus den Lagen herausholen können, kam eins zum anderen“, erklärt Thomas. Die beiden erlangen Bekanntheit, erschließen Absatzmärkte, eröffnen eine Vinothek gegenüber der Loreley und rekultivieren weitere Flächen. So läuft es bis heute. Das positive Feedback spornt die Brüder an, immer mehr Brachflächen freizulegen. Bei sechs Hektar stehen sie jetzt. Bis zu zwölf Hektar sollen es in den kommenden Jahren werden.
Mit wie viel Schweiß und Muskelkater das verbunden ist, lässt sich nur erahnen, als die beiden zwei Flächen gegenüber der Burg Rheinfels im Vergleich zeigen. Die eine haben sie erst vor einigen Monaten freigelegt. Die andere, nur rund 100 Meter weiter, ist gar nicht mehr als Weinberg erkennbar. Die hat sich die Natur zurückerobert. „Wir reden hier von Flächen, die zwischen 30 und 45 Jahren brach liegen. Da kommen wir nur Reihe für Reihe voran, denn unter den Büschen und Bäumen verbirgt sich oft noch die alte Drahtanlage des ehemaligen Weinbergs“, erklärt Martin. Draht ist allerdings harmlos im Vergleich zu dem, was die beiden einmal in einer Brachfläche fanden. Eine Sprengladung, die vermutlich vor Jahrzehnten bei Felssprengarbeiten nicht detoniert ist. Der Kampfmittelräumdienst rückte an und sprengte die Ladung. Thomas zeigt ein Video auf seinem Smartphone, das eine heftige Explosion im Hang zeigt.
Im Gründelbachtal lagen fast alle Flächen brach, als die beiden mit der Rekultivierung begannen. Viele Flächen standen zum Verkauf oder wurden versteigert. „Die Besitzer finden es gut, was wir machen. Deswegen überlassen sie uns die Flächen zu moderaten Preisen“, erklärt Thomas. Im Zuge der Niedrigzinspolitik haben die Brüder in den vergangenen Jahren aber auch erlebt, dass Spekulanten auftauchen, die solche Flächen kaufen wollen. Die Einheimischen gaben ihnen jedoch den Vorzug.
Die beiden bemühen sich, geschlossene Flächen zu erwerben, sodass sich ihr Anbaugebiet nicht zerstückelt über die ganze Region verteilt. In St. Goar mussten sie alles neu anpflanzen, denn am Mittelrhein ist es schwierig, bestockte Rebflächen zu pachten. In Nieder- und Oberheimbach haben die Jungwinzer hingegen zwei Hektar gepachtet und mit den dortigen Winzern Bewirtschaftungsverträge abgeschlossen.
Miteinander statt gegeneinander
Mit Weinbau haben die Brüder zunächst nichts am Hut. Thomas kommt eigentlich aus der Gastronomie. Erst nach seiner Ausbildung zum Hotelfachmann hat er Önologie an der Hochschule in Geisenheim studiert. Jener Universität, die fast alle Jungwinzer besucht haben, die man heute in der Region so trifft. Auch Martin, der sich zunächst vorstellen konnte, Müller zu werden, hat nach seiner Winzerlehre dort studiert. Dadurch sind die Brüder gut vernetzt mit anderen Winzern, nicht nur am Mittelrhein, sondern auch in anderen Weinbauregionen wie Mosel und Nahe. „Da hat sich in den vergangenen zehn Jahren auch eine andere Generation entwickelt. Nur für sich denken, bloß nicht mit anderen Kollegen reden und austauschen, das ist vorbei“, sagt Thomas. Das bringe eine Region am Ende auch nicht weiter. Die Winzergeneration, die jetzt im Mittelrheintal nachrückt, rede miteinander. „Die paar Flaschen Wein, die wir hier im kleinen Anbaugebiet Mittelrhein produzieren, sollten nicht schwierig zu verkaufen sein. Da kann es eigentlich kein Gegeneinander, sondern nur ein Miteinander geben“, sagt Martin.
Vor allem bei Veranstaltungen tauschen sich die Brüder mit anderen Winzern aus. Da kann es schon mal vorkommen, dass jeder Winzer den Kofferraum voll hat mit Wein, um untereinander Flaschen zu tauschen. „Wenn wir beide privat Wein trinken, dann eher den von Kollegen, als den eigenen. Den eigenen Wein kennen wir ja, davon sind wir auch überzeugt“, sagt Thomas. „Mit anderen, neuen Weinen können wir unseren Horizont erweitern“, ergänzt Martin.
Die Brüder setzen im eigenen Weingut vor allem auf Riesling. 80 Prozent ihrer Fläche macht diese Rebsorte aus. 15 Prozent ist Müller-Thurgau, hinzu kommt etwas Weißburgunder. Und den Müller-Thurgau verkaufen sie auch als solchen. Nicht als Rivaner, wie die Sorte aus Rechts- und Marketinggründen häufig ebenfalls genannt wird. „Den Quatsch machen wir nicht mit“, kommentiert Thomas. Nachkommende Weintrinkergenerationen würden das Negativimage vom süßen Billigwein, als der Müller-Thurgau verrufen war, sowieso nicht mehr kennen. Weintrinker heute seien hingegen zunehmend auf der Suche nach Alternativen zum Riesling.
Überhaupt gehen die Brüder ihren eigenen Weg. Machen das, was sie für richtig halten. Entgegen manchen Trends, die mitunter den Weinbau bestimmen. Der Einsatz von Vollerntemaschinen ist für die beiden zum Beispiel kein Thema, wenn auch diese Technik sogar in der Steillage auf dem Vormarsch ist. „Wir sind überzeugt, dass wir mit der Hand selektiver arbeiten können als mit der Maschine“, sagt Thomas. Das wirke sich am Ende auch auf die Qualität aus. Auch wollen die beiden irgendwann ohne den Einsatz von Herbiziden im Weinberg auskommen. Stattdessen wollen sie mit gezielter Aussaat bestimmter niedrig wachsender Pflanzen um die Rebstöcke herum die Ausbreitung von hochwachsendem Unkraut verhindern. Das bietet auch Lebensraum für Nützlinge. Sogar der Schritt zum Bio-Betrieb ist für die Brüder denkbar. Naturnah arbeiten sie schon heute, verzichten auf Insektizide und Kunstdünger.
Bis es so weit ist, werden Thomas und Martin wohl noch einige verwilderte Weinberge freilegen. Und vielleicht ziehen ja weitere Jungwinzer in der Region nach. „Außenstehende sehen ja, dass das, was wir machen, funktioniert. Dann denken sie sich vielleicht, dass es auch bei ihnen funktionieren kann“, sagt Thomas. Die Philipps-Brüder als Vorbild? Warum nicht? Was die beiden in den vergangenen Jahren bewegt haben, schafft Selbstvertrauen. Nicht nur bei ihnen selbst, sondern auch bei anderen Winzern. Brachflächen gibt es im Mittelrheintal schließlich noch zur Genüge. Jetzt braucht es mutige Winzer wie Thomas und Martin, die diese Flächen wieder bewirtschaften.
Drei Fragen an Thomas und Martin Philipps
Was ist typisch fürs Mittelrheintal?
Thomas: Die einzigartige Kulturlandschaft, bestehend aus Natur, Burgen und Weinbau.
Martin: Es gibt aber auch noch sehr, sehr viel Potenzial nach oben. Vor allem was die Vermarktung der Region betrifft.
Thomas: Es braucht hier manchmal so was wie einen Tritt, damit manches schneller geht oder überhaupt erst gemacht wird. Sich immer nur hinsetzen und jammern, wie schön und toll doch alles früher war, bringt einen nicht weiter. Man muss Schritte wagen und dabei möglichweise auch mal in einen sauren Apfel beißen.
Martin: Extrem gesprochen, kann man sogar den Welterbe-Titel hinterfragen, ob das eine so gute Sache war. Denn manche Entwicklung wird dadurch mitunter auch verhindert, manche Idee blockiert. Entwicklungstechnisch ist das ein bisschen schade, wenn gerade im Hinblick auf die kommende Bundesgartenschau Investoren abgeschreckt werden.
Was ist typisch St. Goar?
Martin: Natürlich die Burg Rheinfels, die jedem ein Begriff ist. Typisch sind auch die jährlich stattfindenden Feste wie Hansenfest, Schützenfest oder Rhein in Flammen. Wobei man hier sagen muss, dass diese Traditionen zum Teil auch langsam überholt sind.
Was könnte hier im Tal besser laufen?
Thomas: Mehr Zusammenarbeit. Und dass die Bewohner sich hier mehr als Mittelrheintaler fühlen. Nicht nur im Auge haben, was vor der eigenen Haustür passiert, sondern auch mal das Ganze sehen. Man muss akzeptieren, dass das hier eine touristische Region ist. Und dass die Schritte, die hier getan werden, darauf fokussiert sind. Positiv nach vorne schauen, Ideen mitentwickeln, sich einbringen.
Martin: Wir haben hier am Mittelrhein so ein bisschen die Mentalität, über alles zu meckern. Wenn man dann vorschlägt: „Ja, dann mach doch mit“, kommt eher eine Absage. Wir beide haben da eine positive Grundeinstellung, sonst würden wir den ganzen Wahnsinn, den wir hier betreiben, ja gar nicht machen. Wir hören oft: „Mensch, seid ihr bekloppt“.
Und hier die Fotos zum Durchklicken:
Ein Kommentar
Guten Morgen! Muss sagen was der Thomas und Martin da treiben gefaellt mir.Weiss aus Erfahrung das es eine Knochenarbeit ist,aber sie sorgen dafuer das wieder „Leben ins Rheintal kommt „, das ist wirklich noetig.Weiss sehr gut das Menschen lieber jammern als tun,Thomas und Martin werden auch weiterhin ,vorlaeufig wenigstens hoeren“Mensch, ihr seid bekloppt „.
Wuensche den Beiden viel Gueck und hoffe das andere sich ein Vorbild an ihnen nehmen und auch beginnen.Das Rheintal koennte wieder das werden was es einmal war.
Meine Mutter sagte immer: „Sonder Fleiss kein Preiss „.