Wenn’s nachts im Wingert leuchtet

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Plötzlich geht alles ganz schnell. Daniela nimmt aus dem Augenwinkel etwas wahr. Etwas Großes. Axel springt sofort von seinem Stuhl auf. Unser Gespräch endet abrupt. Er sieht sich um. Dann ein schneller Dialog mit seiner Tochter. Sie rennt los in Richtung Auto. Er beobachtet, was da gerade im Anflug ist. Eigentlich wollten wir längst aufgebrochen sein. Die Kälte der Nacht zieht uns bereits in Mark und Bein. Jetzt aber zeigt sich, dass sich das Warten gelohnt hat. Was sich da gerade im Gras versteckt, ist für Axel eine kleine Sensation.

Gemeinsam mit Dr. Axel Schmidt und seiner Tochter Daniela schlage ich mir an einem Freitag die Nacht um die Ohren. Andere gehen in den Club oder in die Kneipe. Wir haben uns zum Lichtfang in der Dörscheider Heide verabredet. Axel ist Referent für Biotop- und Artenschutz bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord. Sein Spezialgebiet sind Falter. Vor allem die Nachtaktiven haben es ihm angetan. Heterocera werden sie in der Wissenschaft genannt. Um die in dieser Nacht anzulocken, hat Axel eine selbstgebaute Lichtfalle dabei. An einem Fotostativ befestigt er drei Speziallampen, darüber wirft er ein Moskitonetz. Der Strom für die Lampen kommt von einem benzinbetriebenen, kleinen Aggregat, das auf dem Rheinsteig vor sich hin brummt. Dann heißt es warten.

Das Naturschutzgebiet Dörscheider Heide ist etwas Besonderes. Hier herrscht ein Mikroklima, das zahlreichen Tier- und Pflanzenarten ähnliche Lebensbedingungen wie im Mittelmeerraum bietet. Möglich macht das die enorme Sonnenrückstrahlung der Schieferböden und die von Mensch und Tier offengehaltene Kulturlandschaft. Die Heide mit ihren rund 630 Hektar ist damit Lebensraum für 700 Tag- und Nachtfalter. Davon stehen mehr als 130 auf der Roten Liste des Bundes für gefährdete Arten. Zum Vergleich: 1120 Falter leben insgesamt in ganz Rheinland-Pfalz. Die Artenvielfalt ist damit einmalig in Deutschland und nur am Kaiserstuhl in ähnlicher Weise anzutreffen.

Kleine Köcherfliegen werden zuerst vom grellen Licht der Lampen angelockt. Dann folgen auch bereits die ersten kleinen Falter. Die Gammaeule beispielsweise. Oder die Schwarze C-Eule. Und schließlich auch etwas dickere Brummer, wie die Hausmutter. Sobald sie sich ruhig aufs Netz gesetzt haben, fängt Axel sie mit einem einfachen Marmeladenglas ein. Der Boden des Glases ist mit ausgehärtetem Gips bedeckt. Der dient als Träger für den Essigäther, mit dem die Falter betäubt werden. So können wir die Insekten in aller Ruhe betrachten und fotografieren.

Axel Schmidt ist in Hahnstätten aufgewachsen. Schon als Kind war er oft in der Dörscheider Heide unterwegs. Auch heute noch ist der 59-Jährige hier häufig anzutreffen. Um Exkursionen zu leiten, für Pressetermine, oder so wie in dieser Nacht, um einfach mal zu schauen, was derzeit so alles im Steilhang umherschwirrt. In diesem Jahr lohnt sich das besonders, aufgrund der extremen Hitze ist 2018 das beste Falterjahr seit 2003. Das fiel sogar mir als Laie auf, bei meinen zahlreichen Wanderungen im Mittelrheintal und durch die Heide. Hier habe ich Arten gesehen, die mir zuvor noch nie begegnet sind.

Wirklich viele Falter lassen sich in dieser Nacht aber nicht blicken. Das liegt am Umbruch vom Sommer zum Herbst, erklärt Axel. Einige Wochen zuvor seien hier mehrere Tausend Falter um die Lichtfalle geflattert. So dicht wie wir mit unseren Stühlen nun davorsitzen, das wäre da gar nicht möglich gewesen. Ich denke an Alfred Hitchcocks „Die Vögel“, nur eben mit Nachtfaltern. Sah sicher beeindruckend aus. Böse drum, nicht in einer Wolke aus Faltern zu stehen, bin ich trotzdem nicht. Bei aller Liebe zur Natur.

Zwar führt der Rheinsteig direkt durch das Naturschutzgebiet, für die Artenvielfalt ist das aber kein Problem. „Wenn mal ein Wanderer auf einen Falter treten sollte, davon ist noch keine Art ausgestorben“, sagt Axel. Sein Leitspruch lautet: Tu Gutes und rede darüber. Es sei gut, wenn ein Naturschutzgebiet bekannt und erlebbar wäre. Nur dann dringt es auch in die Wahrnehmung der Menschen und kann besser geschützt werden. Und nicht nur das. Auch Pflege ist notwendig. Mitunter mit schwerem Gerät werden in diesem Jahr rund 6 Hektar Heidefläche wieder freigestellt. Heißt: Bäume und Büsche werden entfernt. Die übrigen 50 Hektar, die in den vergangenen Jahren bereits freigestellt wurden, werden durch Schaf- und Ziegenbeweidung offengehalten. Nur so kann die große Artenvielfalt hier erhalten werden.

Daniela kommt den schmalen Wanderpfad vom Auto zurückgelaufen. In ihrer Hand hält sie einen Köcher. Axel nimmt ihn entgegen und geht auf die Jagd. Etwas unterhalb der Lichtfalle sitzt das Objekt der Begierde im Gras: ein Blaues Ordensband. Mit einer Flügelspannweite von bis zu zehn Zentimetern eine der größten Arten der Gattung der Ordensbänder. Nach einigen Versuchen flattert der große Falter schließlich in Axels Köcher. „Wow, diese Art habe ich hier noch nie gesehen“, sagt der Biologe begeistert.

Axel nimmt ihn deshalb mit nach Hause. Der Falter wird Teil seiner wissenschaftlichen Sammlung werden, die tausende Falter aus ganz Europa enthält. Gemeinsam mit einigen Kollegen hat er sogar mal zwei neue Arten aus Griechenland beschrieben. Die tragen nun ihre Namen. In Europa sei es mittlerweile aber nahezu unmöglich noch neue Arten zu finden. Schade eigentlich, denke ich. „Christopherus Burgenbloggia“, ein neuer Nachtschwärmer im Mittelrheintal. Das hätte mir gefallen können.

 

Und hier sind die Fotos zum Durchklicken. Im Sommer war ich schon einmal alleine in der Dörscheider Heide unterwegs, da habe ich zahlreiche Tagfalter und andere Insekten fotografiert. Hinzu kommen einige Fotos von unserem gemeinsamen Lichtfang sowie einige Fotos von Faltern, die mir Axel Schmidt zur Verfügung gestellt hat.

 

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