Mit neun Bar gegen Bahnlärm

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Espressomaschine vor historischem Hintergrund
Widerstand! Wütende Espressomaschine vor historischem Hintergrund. Foto: Timo Stein

Ach, das bisschen Bahnlärm. Regt euch nicht so auf, dachte ich. Und dann kam Bacharach.

Zeit für ein Geständnis: Bevor ich auf die Burg zog, wusste ich relativ wenig übers Mittelrheintal. Ich hatte den gängigen Dreiklang im Ohr: Loreley, überladene Rheinromantik und, natürlich, die Bahnlärmproblematik.

Na klar, dachte ich, viel Verkehr macht viel Lärm. Und die vielbefahrene Rheinstraße war nun einmal Transitstrecke. Immer schon. Kann doch so schlimm nicht sein.

Von hier oben, von der Burg aus, wenn sich die Dunkelheit über das Tal legt und das letzte bisschen Licht verschluckt, wirken die Züge wie fluoreszierende Tausendfüßer, die sich tausendfüßig durch die Landschaft schieben.

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch vor ein paar Wochen in Koblenz. Ich buchte die vorletzte Zugverbindung zurück nach Berlin. Der Zug von Koblenz nach Frankfurt benötigte gute drei (!) Stunden. Meinen Anschlusszug in Frankfurt konnte ich vergessen. Von wegen Bahnlärm, dachte ich. Die Züge stehen doch eh die ganze Zeit.

Ich schaute schon eine ganze Weile aus dem Fenster des stehenden Zuges zur Loreley hinüber, dachte, vielleicht war das ja eine Art Sightseeing-Zug. Genügend Zeit für Fotos blieb allemal. Und verwackelt wurde auch nichts. Dann erkundigte ich mich beim Schaffner nach einer Möglichkeit, irgendwie noch nach Berlin zu kommen. Der freundliche Herr hatte eine Vollglatze, erinnerte vom Phänotyp an den lustigen Portier aus „Ein Schloss am Wörthersee“ und sprach eine Mundart, die mir den Schweiß auf die Stirn trieb.

Das sei doch bekannt mit der Baustelle, dozierte er und ließ die riesigen Augenbrauen Fahrstuhl fahren. Stünde doch alles im Internet. Ach so, dachte ich selbstkritisch, dann war das also mein Fehler. Ich wollte mich für meine unerhörte Frage gerade entschuldigen und versöhnend nach der gemeinsamen Drehzeit mit Roy Black fragen, als ich den Fehler bemerkte. Moment. Meine Schuld?

Ich guckte auf meinen Fahrschein. Da stand „Koblenz – Berlin“.
„Aber“, setzte ich vorsichtig an, „wenn die doch wissen, dass man den Anschluss in Frankfurt gar nicht bekommen kann, wieso verkaufen die dann Fahrkarten über Frankfurt hinaus?“

„Ja, ich kanns net ännere“, seufzte der Portierschaffner und ließ die Brauen ins Erdgeschoss fahren.

Es war noch schlimmer als ich dachte. Die Ohnmacht war also längst in den innersten Zirkel der Bahn vorgedrungen.

Mein ganz persönliches Schüttelerlebnis hatte ich dann kürzlich in Bacharach. Ich spazierte gedankenverloren auf der alten Stadtmauer. Stellte mir vor, wie die Touristen hier oben im Sommer bei Kaffee und Kuchen den Blick auf den Rhein genießen, da – rums – gewitterte ein Güterzug vorbei. Ich musste an Arkadis denken und die Schwierigkeiten, die er damit hatte, sich an die Güterzüge zu gewöhnen: Mitten durch den Kopf, hatte er gesagt. Doch dieser Güterzug fuhr nicht nur durch den Kopf. Er fuhr auf dem Weg dorthin durch Leber, Niere und heizte dreimal über die Gallenblase.

Jetzt verstand ich, warum so viele Zuschriften die Verkehrsproblematik und den Lärm zum Inhalt haben. Ein Leser schrieb, dass der Verkehr vor 150 Jahren dem Rheintal einen Aufschwung gebracht habe. Das habe sich mittlerweile aber umgekehrt. Der Verkehr habe überhandgenommen und das Tal kaputtgemacht.

Mein jüngstes Mittelrheintalzugerlebnis hatte ich am Wochenende. Ich lief durch Trechtingshausen, vorbei an staubigen Häuserfassaden, an putzabfallenden Verkleidungen, an Hotels, die einer Zeitmaschine entsprungen schienen. In einer Glasvitrine hing Heino. Der war mal da. Und Oli P. grüßte auf einem Veranstaltungsplakat an einer Straßenlaterne. Er würde die 90er bringen. Immerhin, dachte ich. Ich lief zum Bahnhof, der auch schon seine besten Jahre gesehen hatte und gönnte mir eine Fahrkarte zurück nach Niederheimbach.

Dann passierte nichts. Ich saß und schaute. Vor allem den Zügen hinterher. Die hielten gar nicht, sondern fuhren vorbei. Beim Blick in die Glasvitrine, in der die gelben Abfahrtszeitenpläne hingen, hatte ich den Fehler bemerkt. Es gab nämlich zwei Abfahrtszeitenpläne: einen regulären und einen Baustellenfahrplan. Wobei auf dem regulären Fahrplan ein kleines blaues Zettelchen mit der Aufschrift klebte: „Ungültig, es gilt der Baustellenfahrplan.“ Der Baustellenfahrplan war also längst zur Regel geworden. Die Baustelle war quasi eingeplant. Sie war Teil des Konzepts!

(Kleiner Tipp am Rande: Fahrpläne, die gar keine Gültigkeit haben, liebe Bahn, bitte einfach abhängen und aus der Vitrine nehmen.)

Mein Zug war also noch weit weg. Mein Fahrschein sollte ungelöst bleiben. Ich ging zu Fuß. Am Rhein entlang. Auf meinem Marsch nach Niederheimbach dachte ich an die vielen Zuschriften zum Lärm. Und daran, dass ich dieses Problem nicht lösen werde. Und dann kam mir ein schmutziger Gedanke. Manchmal hilft es, wenn man der einen Absurdität mit einer anderen begegnet. Ich sollte ein Video von meiner gurgelnden Espressomaschine machen. Als Zeichen des Widerstands gegen den Lärm. Im Laufe der Zeit würden andere auf den Espressogurgelzug aufspringen. Und das Netz wäre voll mit Espressomaschinen, die gegen den Bahnlärm würgen.

Und dann schaute ich mit einem ziemlich dämlichen Grinsen auf den Fluss zu meiner Rechten. Der Rhein lag da. Die Sonne verpixelte die Wasseroberfläche. Reiher breiteten am Ufer ihre Flügel aus. Kinder machten Bremsspuren mit ihren Fahrrädern. Mit einer regulär fahrenden Bahn wäre ich jetzt nicht hier. War das vielleicht Teil des Plans? Ja, im Grunde musste ich der Bahn sogar dankbar sein.

7 Kommentare

  • Maria Schmelzeisen says:

    Maria sais:
    16,mai2017
    Ja ,das romantische Rheintal, es ist nicht mehr all zu viel davon uebrig.Aber vergessen tut man die schoenen Dinge nicht und das ist gut so ,man wird nun mal aelter und dann hat man angenehme Gedanken noetig.Kann hier auch nicht gut schlafen opwohl alles still ist ,bin nun mal schwerhoerig, grinz.Wird es mir zu still fange ich an zu singen: Warum ist es am Rhein so schoen u.s.w.,sollen meine Nachbarn auch nicht schoen finden mitten in der Nacht, zumal ich ziemlich falsch singe.
    In all den Jahren sind die Menschen auch veraendert,der eine will mehr haben als der andere so gehts weiter,daran liegt es .Frage mich ab wer heute noch zufrieden ist?
    Gruesse alle herzlich ,bleibt gesund wenns eben geht.
    Maria.

  • Marion says:

    Ich fänd es fairer, wenn Du nicht nur in Deinem Schlusssatz der Bahn Dankbarkeit zollst und die Dinge mal realistisch siehst und Dich nicht in den Sog der „Bahnlärm“-Gegner reinziehen ließest, denn ohne die Bahn wärst Du nicht nur an Deinem Reiseziel, sondern ohne die Bahn wären alle die Güter, die Du konsumierst auf der Straße. O. k. dann hättest Du ein anderes Thema, über das Du Dich aufregen könntest, aber Du hast doch im o. g. Teil Deines Artikels auch die Schuld bei Dir gesucht. Die Schuld müssen wir alle bei uns suchen. Wir sind eine Wegwerf-Gesellschaft und konsumieren was das Zeug hält und wir werden mehr, weil wir uns stärker vermehren als früher und wir alle wollen essen, möglichst jede Saison neue Kleidung, den angesagtesten Nippes etc.
    Und ich bin sicher, wenn Du am Ende Deiner Burgenblogger-Zeit bist und am Bahnhof den Fahrplan für Deine Rückreise suchst, der aber abgehängt wurde, weil noch wenige Tage der Baustellenfahrplan gilt, wirst Du Dich genauso aufregen.
    Bitte vertu Deine wertvolle und geschenkte Zeit nicht mit Schwarzmalerei, das hat unsere Heimat nicht verdient. Schreib über die positiven Dinge des Rheintals und wenn Du Kritik übst, sei fair und konstruktiv und jammer bitte nicht unnötig, das ist überflüssig und unprofessionell.
    Ich wohne übrigens *direkt* an der rechtsrheinischen Bahnstrecke. Mich störts nicht. Für mich ist es kein Lärm, weil ich eine gelassene und realistische Einstellung dazu habe. Als Bahnkunde und als Konsument!

    • Maria Schmelzeisen says:

      Maria says:
      10.mai 2017
      Ach ja Marion durch die Bahn ist damals einiges besser geworden aber jetzt was so die Bahn alles haben will ,zumal in und bei Oberwesel, gefaellt mir nicht.Dort hatten wir genug Geschaefte, Metzger, Baecker und so gehts weiter, Wirtschaften nicht vergessen.Kirchen sind genug da doch viele aeltere Leute koennen nicht dort hin, sie muessen schon zu Hause beten, aber satt wird man nicht davon, dus muessen sie den Juengeren laestig fallen,denen die noch dort wohnen.
      So kann man weiter erzaehlen doch das hilft nichts. Der Schienenverkehr hier in Holland ist auch nicht so gut. Fuer aeltere Leute wird noch weniger getan, Altenheime sind hier schon einige Jahre geschlossen und so geht weiter
      Gucke nicht nach meinen Fehlern, wohne hier immers schon seit 1960 hier.Seit meine Mutter nicht mehr lebt bin ich nicht mehr in meiner Heimat gewesen.

    • Marion says:

      Maria, das hat doch nichts mit der Bahn zu tun. Die Geschäfte gehen kaputt, weil jeder die Geiz-ist-Geil-Mentalität lebt und im Internet bestellt oder zum Discounter fährt. Die Wirtschaften gehen auch dort kaputt, wo keine Bahnlinie ist, weil die Männer nicht mehr zum Frühschoppen gehen und weil man generell weniger mit der Familie aus essen geht. Die Metzger gehen kaputt, weil es sich so gehört, weil man nicht das Fleisch von anderen Lebewesen essen sollte. Was hat das mit den Altersheimen zum tun? Ist die Bahn jetzt wirklich schon an allem Schuld? Das verstehe ich nicht, das kommt mir vor wie das Jammern von jemandem, der unzufrieden ist und partout einen Schuldigen sucht. Fakt ist: Es geht uns gut, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir sind krankenversichert, wir hungern nicht, wir leben in einer friedlichen Zivilisation und wir können unsere Meinung frei äußern. Da sollte man einfach mal demütig und bescheiden sein.
      Nach Deinen Fehlern gucke ich aber wirklich nicht, ich mag den niederländischen „Singsang“, Ihr sprecht so schön und ich hör da gerne zu! Holland ist toll, Ihr habt das Meer! Liebe Grüße an Dich, Maria!

    • Heike says:

      Ich finde den Beitrag einfach nur klasse…Denn er trifft genau den Kern…Ich bin in Rheindiebach aufgewachsen und kenne den Bahn Lärm ziemlich gut..Und stimmt, geschlafen habe ich früher mit offenem Fenster, aber heute 30 Jahre später hat der Lärm eine andere Qualität…Es sind einfach mehr geworden… Und noch immer liebe ich mein Zuhause… Und deswegen habe ich den Beitrag hier auch mit einem Schuss Ironie gelesen und schallend gelacht…einfach weil ich mir vorgestellt habe wie der Burgenblogger aus Berlin sich wohl fühlt in unserem schönen RheinTal….Und Berlin hat bestimmt nicht weniger Verkehrsprobleme….Aber die Vorstellung vom ruhigen romantischen Rhein Tal lebt noch…Das ist doch wunderschön..Auch wenn manch einer dann eines besseren belehrt wird…

  • Jürgen says:

    Es wäre eventuell leichter zu ertragen, wenn man nicht wüsste, dass es noch schlimmer kommen wird.
    Es hat macht eben wenig Sinn, viel Geld für Flüsterbremsen (woher haben die nur den Namen?) auszugeben, wenn unsere Nachbarländer den Schienenverkehr „aufrüsten“. Als diese Pläne (der Gotthard-Basistunnel) 1989/90 bekannt wurden, wurde auch gerade die ICE Strecke Frankfurt Köln geplant. Hier hätte man relativ preisgünstig noch 2 Güterverkehr Gleise parallel bauen können. Aber nun ist es vorbei und die Bürgerinitiativen knicken seit Jahren viel zu schnell vor den „Verspreche(r)n“ der Politiker ein. Denn eine Planung, z.B. nahe der A61 ist noch nirgendwo zu erkennen. Da entwickelt man lieber „Krücken“ wie Tunnel im Rheintal.
    Diese altbekannte Salamitaktik der Politik ist der Ruin für eines der schönsten Täter Europas. Leider.

  • Maria Schmelzeisen says:

    Ach was ist das schoen, der Bahnlaerm besteht schon oh so lange, alleine das er frueher etwas romantischer war.Statt Autobahn war dort eine Kastanienallee wo sich die frischverliebten getroffen haben.Kam dann ein Zug vorbei,so ne Dampfmaschine,dann sassen alle recht auf ihren Baenken.Wir wohnten ziemlich nahe am Rhein, wenn dann die Dampflokomaschiene mit Anhang vorbei kam und dann noch ne Raederboot die viel krach machte , schuette unser ganzes Haus,aber geschlafen haben wir trotzdem alle gut.Auf der Hauptstrasse die mitten durch Oberwesl fuehrt hatten wir noch nicht viele Autos,Packete und so wurden mit Pferd und Wagen zu den Leuten gebracht.So das wars fuer Heute.
    Maria Schmelzeisen 8.5.2017