„Sackgasse“, flüstert mir ein Mädchen im Entgegenkommen leise zu. Ich bedanke mich. Direkt hinter ihr mache ich kehrt. Ich versuche mein Glück an der nächsten Abzweigung. Drei von fünf Stationen sind noch offen auf meinem Zettel. Mein Wasservorrat wird allmählich knapp. Fast eine Stunde irre ich bereits umher. Soll ich das wirklich bis zum Ende durchziehen? Siegt der Ehrgeiz? Oder doch der Durst?
Ich bin mittendrin im Maislabyrinth von Mareike Heckel und Christoph Brühl. Die beiden 26-jährigen Landwirte aus Rüdesheim haben auf vier Hektar Fläche oberhalb der Stadt einen wahren Irrgarten geschaffen. Eine Premiere für die beiden. Unter der Woche gehen Heckel und Brühl ihrer Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb nach. An den Wochenenden öffnen sie ihr Maislabyrinth. Bis 16. September steht es Besuchern immer samstags und sonntags zwischen 11 und 18 Uhr offen.
An einer Weggabelung drücke ich mich an einer Familie vorbei. Die Mutter will aufgeben, nur noch raus aus dem Labyrinth. Die Kinder protestieren. Sie wollen alle Stationen im Feld finden. In der Ferne höre ich ein Kind weinen. Auch ein Zeichen des Protests? Oder will da vielleicht das Kind raus aus dem Irrgarten. Und die Eltern sind vom Ehrgeiz gepackt? Ich kann beides nachvollziehen. Tobt doch in mir der gleiche Kampf. Noch überwiegt aber der Ehrgeiz.
„Die Idee an sich ist nicht neu, im erweiterten Umkreis, zum Beispiel bei Frankfurt, gibt es auch andere Maislabyrinthe“, erklärt Mareike Heckel. Weil es aber rund um Rüdesheim noch keines gibt, dachten sich die beiden Junglandwirte: Wir probieren das einfach mal aus. „Wenn wir so was schon machen, dann wollen wir dabei auch ein bisschen Wissen zur Landwirtschaft vermitteln“, erklärt die 26-Jährige. Im Labyrinth geht das an einigen Stationen auf spielerische Art und Weise. Die Besucher müssen beispielsweise Feldfrüchte bestimmen oder eine Tierfrage beantworten. Wer alle fünf Stationen gefunden und gelöst hat – bei zweien gilt es nur, einen Stempel zu setzen – kann das auf einem Zettel notieren und diesen am Eingang in eine Box werfen. Unter allen Teilnehmern mit der richtigen Lösung werden am Ende der Saison drei Preise verlost.
„Haben Sie eine Frau gesehen, die im Gesicht ungefähr aussieht wie ich?“, fragt mich ein Mädchen im Vorbeigehen. Sie war kurz draußen auf Toilette und sucht nun ihre Mutter. Ich kann ihr leider nicht helfen, wünsche aber viel Erfolg bei der Suche. Verlieren sollte man sich im Maislabyrinth lieber nicht. Das denke ich mir auch bei so manchem Kind, das trotzig langsam hinter seinen Eltern herwackelt. Die Kleinkinder im Kinderwagen haben es da leichter.
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Ob sie dann abends mit der Drohne das Feld abfliegen, um jene zu retten, die den Ausgang nicht gefunden haben, frage ich Mareike Heckel mit einem Augenzwinkern. „Bisher hat jeder den Weg selbst herausgefunden“, sagt sie und lacht. Das Feld hat eine leichte Hangneigung, außerdem ist der angrenzende Wald meist zu erkennen. Das hilft ein wenig bei der Orientierung. Für Notfälle, falls jemand bei der Hitze beispielsweise mal einen Schwächeanfall haben sollte, gibt es im Labyrinth mehrere Punkte, an denen eine Handynummer der Landwirte abgedruckt ist. Binnen kürzester Zeit eilen sie dann zu Hilfe.
Der Boden unter mir ist rissig und trocken. Die Blätter der Maisstauden zum Teil gelb-braun verfärbt. Nicht nur ich, auch der Mais lechzt nach Wasser. Die anhaltende Hitze macht den Pflanzen zu schaffen. Über dem Feld kreisen zwei Milane. Wie Geier über der Wüste, darauf wartend, dass ich kollabiere und sie über mich herfallen können. Ich trinke den letzten Schluck aus meiner Wasserflasche.
Ein bis eineinhalb Stunden sollten Besucher für das Labyrinth schon einplanen, erklärt Heckel. Denn die fünf Stationen sind schon recht gut versteckt. „Wir hatten schon Besucher hier, die haben die Strecke im Mais mit einer GPS-Uhr aufgezeichnet. Zwischen drei und fünf Kilometer sind da zusammengekommen“, erzählt die Landwirtin. Das Labyrinth sei bewusst nicht zu einfach gestaltet, aber auch nicht unlösbar.
Ein Jugendlicher kommt mir entgegen. Schon an seinem Blick erkenne ich, dass er keine Lust mehr hat. Wenn er denn überhaupt je Lust hatte. Wahrscheinlich wurde er nur mitgeschleift. Im Vorbeigehen reißt er einige Blätter ab. Absolut unnötig, denke ich. Zumal eigens darum gebeten wird, keine Pflanzen umzutreten oder Kolben abzureißen. Kopfschüttelnd gehe ich auch an Müll vorbei, der unachtsam ins Feld geworfen wurde. Dinge, die echt nicht sein müssen. Meine Meinung.
Was passiert eigentlich mit dem Mais, wenn das Labyrinth Mitte September ausgedient hat? Lässt der sich überhaupt noch verwerten? „Klar“, sagt Heckel, „den können wir entweder als Körnermais dreschen, oder als Silomais verwerten. In dem Fall wird die ganze Pflanze gehäckselt“, erklärt die Landwirtin. Der Labyrinthmais wird gedroschen und dient als Tierfutter. Und wie siehts mit Wildschweinen aus, muss ich da im Labyrinth Bedenken haben? Schließlich fühlen sich die Tiere im Mais meist pudelwohl. „Denen ist es da drin jetzt viel zu heiß“, erklärt Heckel. Zudem sei das Feld bereits seit zwei Monaten mit einem Elektrozaun gesichert. Und den Menschengeruch sowie den Trubel im Feld mögen die Tiere ebenfalls nicht.
Ich schaue auf die Uhr. Dann auf meine leere Flasche. Und zuletzt auf meinen Zettel mit den Stationen. Station Nummer drei fehlt mir noch. Eine Stempelstation. Zwar habe ich mehrere Tipps von anderen Besuchern bekommen, wo ungefähr diese Station sein soll. Gefunden habe ich sie dennoch nicht. Ich gebe auf. Ich sehne mich nach einer kalten Apfelschorle am Ausgang. Dort zeigen mir Heckel und Brühl eine Karte vom Labyrinth. Station drei hätte ich vermutlich noch lange gesucht. Ein bisschen Glück gehört am Ende eben auch dazu.
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