„Ich wurde wie ein Porno behandelt“

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Friedrich G. Paff: „Ich bin ja noch für Zauber. Aber auch für höchste Rationalität.“ Foto: Timo Stein
Friedrich G. Paff: „Ich bin ja noch für Zauber. Aber auch für höchste Rationalität.“ Fotos: Timo Stein

Er ist ein Mann des Wortes. Der Dichter Friedrich G. Paff hält dir Erinnerung an die Toten lebendig. Ein Porträt.

Am Anfang war bekanntlich das Wort. Beim Dichter Friedrich G. Paff war es der Schnaps. Das Wort kam später. Denn das Erste, womit Paff auf der Welt in Kontakt kam, war Trester: eine Art rheinland-pfälzischer Grappa, der aus Pressrückständen der Weintraube gebrannt wird. Vielleicht sei er deswegen Dichter geworden, sagt er heute und lacht.

Der üppige Busen der Mutter wurde vor dem ersten Stillen großzügig mit dem Weinschnaps desinfiziert. Der kleine Friedrich schlief friedlich ein. Das war am 15. Juli 1950 im ersten Stock eines heute fast 150 Jahre alten Fachwerkhauses in Bacharach. Eine Hausgeburt.

Heute sitzt Paff hellwach in seinem Geburtszimmer. Der Blick aus dem Fenster zeigt das Tor zum alten Posthof, Touristen stolpern über Kopfsteinpflaster, ein Tattoostudio eröffnet in Kürze im Erdgeschoss. Der nussige Geruch einer Zigarre liegt anregend im Raum. Allerlei Bücher, Bilder, Ausschnitte liegen auf und vor altem Möbel. Ein lebendiges Mosaik der Erinnerungen. Die lausige Ordnung hat da keinen Platz. Raum und auch Zeit müssen sich bei Paff gedulden. Das Wort hat Priorität. „Ich habe nicht die Souveränität, über meine Zeit zu verfügen“, sagt der 66-Jährige.

Der Bacharacher Paff lebt heute mit seiner Frau die meiste Zeit im 150 Kilometer entfernten Marburg. In sein Geburtshaus nach Bacharach kommt er regelmäßig, um nach dem Rechten zu sehen. Wenn er keine Gedichte schreibt, gibt er Deutschkurse für Ausländer in Gießen. Seit nun fast 40 Jahren macht er das. Gute fünf Jahre sogar in der dortigen Jugendvollzugsanstalt. Das sei vielleicht die schönste Arbeit gewesen, schwärmt er. Paff mag das Unperfekte. „Ich liebe die Fehler am meisten“, sagt er und erzählt von einem Gefängnisschüler, der „er istete“ statt „er war“ schrieb. In solchen Momenten wird Paff lebendig. Dann greift er sich in den grauweißen Bart, der Oberkörper gerät in Bewegung, die spitzen Eckzähne blitzen und in die dunklen Augen rückt etwas unaufgeregt Kindliches.

Mit den Insassen kam er prima aus, mit der Anstalt weniger. Paff mag die Menschen, die Institutionen bleiben ihm Rätsel.

Paff interessieren vor allem die Außenseiter, vielleicht, weil er selbst auch immer Außenseiter war. Aus gutem Grund. In seinem Lyrikband „Die Hexe von Bacharach“ fragt er: „Bacharach, wo sind deine Juden?“ Und: „Bacharach, jahrhundertelang Ort jüdischer Kultur auch, schützte seine Juden nicht. Es verlor dabei sich selbst.“

Das war 1983. Paff macht in der Dichtung aus den verführerischen Rufen der Loreley einen Schrei der Schuld.

Nicht wenigen galt er deswegen als Nestbeschmutzer. Im Gottesdienst nennt er die Namen der Ermordeten – und wird nicht müde, zu erinnern. „Ich wurde wie eine Porno behandelt“, sagt Paff und blickt auf diese schwierige Zeit zurück.

Heute ist das anders. Heute findet man seine Gedichte auf Tafeln in Bacharach.

Paff wollte nie das gute Gewissen sein. Kein Ankläger. Er wollte nie missionieren, nie Mahner sein. Er wollte und will das Schweigen fühlbar machen. Ohne Zeigefinger.

Paff will erinnern. Auch an seinen Onkel. Der wurde von den Nazis ermordet. Wenn er heute von ihm spricht, spricht er vom „Vergasten“. So wollte er es auch auf den Gedenkstein schreiben lassen, der als sogenannter Stolperstein für seinen Onkel gesetzt wurde. Das durfte er nicht. Den Stein gibt es trotzdem. Letztlich war Paff die namentliche Nennung wichtiger.

Heute ist Paff eher unglücklich über die Art des Erinnerns, der Bewältigung. Auch das hat natürlich mit Sprache zu tun. Wie alles in seinem Leben. Paff stört die Art und Weise, wie Sprache oftmals mit Schmerz umgeht. Es reiche nicht, nur das gute Gewissen zu pflastern. Oftmals gehe es heute um das Verwalten von Schuld. Von oben. Durch Institutionen. Paff aber will keine Erinnerungsbürokratie. „Als Dichter spreche ich zu den Toten. Die Geschichte der Opfer geht weiter. Die Widersprüche zu benennen, das ist entscheidend“, sagt Paff.

Der Wortverdichter Paff konnte als Kind lange nicht sprechen. In der Schule wurde er gehänselt, verstoßen. Über das Lesen hat er dann sprechen gelernt. Mit der Dorffibel der Tante.

Das Wort ließ den späteren Vater von Zwillingen dann nicht mehr los. Noch heute erinnert er sich an ganz bestimmte Worte seines Deutschlehrers. Der sagte ihm, er müsse sich, wenn alle im Boot auf einer Seite hockten, auf die andere Seite setzen, weil das Boot sonst untergehe. Daran hält er sich. Ein Leben lang. Und da sitzt er nun. Und kann nicht anders.

Und steht sich damit natürlich auch ein bisschen selbst im Weg. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, aber nie in Großverlagen vertrieben. Er bekam zu hören, dass er sein Manuskript umarbeiten und ein bisschen gefälliger schreiben müsse, näher am Zeitgeist. Paff schüttelt dann nur den Kopf: „Das Gesagte muss auch noch in 20 Jahren Gültigkeit haben.“ Er sei nicht marktgerecht und wolle das auch gar nicht sein. Mit Professoren, Verlagen, mit dem ganzen Literaturbetrieb hatte er immer seine Schwierigkeiten. „Die, die genau wissen, was Lyrik ist, mit denen kann ich nichts anfangen. Wenn ich wüsste, was ich schreibe, würde ich es sein lassen“, sagt er.

Paff hat in Marburg lange einen Autorenkreis geleitet. Dort sind ihm dann die Schriftsteller der anderen Seite des Bootes begegnet. Mit jenen, die sofort bereit waren, alles zu ändern, ihr Schreiben anzupassen, konnte er nichts anfangen. „In Russland gibt es Zensur, hier gibt’s Preisgeld“, sagt er und lacht. „Der Erfolg macht Literatur kaputt. Der Misserfolg aber auch.“

Paff will kein Heimatdichter sein, kein Lokalpoet. „Gar nichts bin ich. Vom Rhein träume ich“, sagte er. Und trotzdem ist er seinem Zuhause sehr verbunden. Die Vermarktung von Rhein und Rheinromantik sei hier nicht authentisch. Weltkulturerbe könne nicht verordnet werden. Das Mittelrheintal bade oft nur in seinen spezifischen Problemen. „Es ist nicht eine Frage von Brücke und Bahnlärm allein. Es ist eine Frage von Identität und sozialer Verträglichkeit. Der Konsum und das Hamsterrad des Glücks ersetzen das nicht. Wenn Ikea die Antwort ist, dann haben wir verloren“, sagt Paff.

Antworten hat auch er nicht. Und darum geht es ihm auch nicht. Sondern um die Spannung. Ein Gedicht hat diese Spannung. Worte können sie erzeugen. Und die Menschen müssten wieder lernen, diese Spannung auszuhalten. Sie müssen wieder lernen, sich zu unterscheiden, unterschiedliche Perspektiven zuzulassen und sich nicht im Gleichklang zu Tode amüsieren. „Man kann nicht frei sprechen, wenn man nicht den Mut hat, das Unperfekte zu sagen. Das ist Kultur. Mut zum eigenen Urteil“, sagt Paff und wirkt dann doch wieder wie der, der er eigentlich gar nicht sein will. Der Mahner. Einer wider Willen. Immer zwischen den Stühlen. Und noch lange nicht bereit, auch nur für eine Sekunde irgendwo Platz zu nehmen. Warum sollte er auch?

Leseproben von Friedrich G. Paff gibt es hier.

Friedrich G. Paff: Die Hexe von Bacharach: Helen M. Brinkhaus Verlag, 1983.

Friedrich G. Paff: Da wo die Sprache beginnt, Hornburg, Hagenberg, 1983.

3 Kommentare

  • yola says:

    Fragen! Antworten? Wenn zwei geniale NeoRomantiker sich finden, rufen sie:
    Nehmt euch Zeit, hört zu und denkt nach…

    Dankeschöööööön Timo Stein und Friedrich Paff :-)) yola*
    nota: Das zweite Bild könnte anders und besser sein.
    *bin eine (leider) in Raum und Zeit verlorene „Rheintochter“…

    • Timo Stein says:

      Bitteschööööön! Ich bin ja schon allerhand Etikettierung gewohnt. Von neomarxistisch bis neoliberal war alles dabei. Neoromantiker allerdings ist mir neu. Irgendjemand kommentierte einmal, ich sei so eine Art Kafka für Mickey-Mouse-Leser. Ich weiß, er meinte es anders, aber es ist mir bisher das schönste Kompliment. Grüße!

  • O vielen Dank Herr Timo Stein. Etwas ängstlich war ich schon, was wird dabei herauskommen ? In russischen Zeitungen war ich Kapitän der weißen Schiffe. Und hier in dem Interview, vielleicht ist der auf dem Sofa ich. Kann ja gut sein. Also Kompliment, die wichtigen Impulse, Winke sind alle da. Es freut mich, wie Sie die Begegnung und das Gespräch wiedergegeben. Wie Sie auszuwählen, zu beobachten und zu schreiben vermögen. Und da ist der Rhein ja für mich lebendig, wenn er Begegnung wird.

    Für mich war das Gespräch auch eine Findung. Man kann sein Leben nicht erzählen. Zu viele Welten darin und doch und wunderbar immer nur ein Atem.
    In allem. Wie kann man am Rhein alt werden ? Und so entstand heute morgen im Zug darüber ein Gedicht. Eine Phantasie, die mir gefiel.

    Und ja meine homepage, da müßte ich mehr ran, facebook ersetzt sie auf Dauer nicht. So sind meine Texte kaum erhältlich oder in Anthologien, unter dem Namen Andreas Thorn gab es mal Loreley 2002 oder „Das Haus der Romantik“ .