„Schreib nicht zu viel“, sagt Klaus lachend, während er neben mir auf der Treppe zum Innenhof der Burg Sooneck sitzt.
„Nein, keine Sorge. Nur das Nötigste“, erwidere ich und blicke über die Rosen hinweg in die Kraterlandschaft des Steinbruchs. Es ist ein Mittwochnachmittag im August und vor uns liegen die zehn wärmsten Tage des Jahres.
Klaus Collerius ist seit dem 15. Februar 2003 der Burgverwalter der Sooneck und für mich ihr Herzstück. Manchmal habe ich das Gefühl, Klaus kennt zu jedem Winkel eine Geschichte.
Ohne Coronavirus hätten wir uns wahrscheinlich nicht wiedergesehen. Jetzt darf ich ja ein zweites Mal für eine Weile auf der Burg sein. Seit die besonderen Hygienevorschriften gelten, ist die Burg geschlossen. Zu klein das Gelände, zu komplex das System, welches man einführen müsste, um den Verordnungen gerecht zu werden.
Für mich war es gut, konnte ich so die Burg noch einmal erleben – diesmal ungestört vom Tourismus, um dann wirklich Abschied zu nehmen.
„Der Kühlschrank wusste, dass du wiederkommst“, grinst Klaus.
„Ja, der hat meine alten Sachen eisern aufbewahrt“ und wir beide müssen lachen.
Als Klaus eingestellt wurde, versteckte er am darauffolgenden Dienstag eine Ein-Cent-Münze im Mauerwerk der Turmspitze des Bergfrieds.
„Warum?“, möchte ich wissen.
„Vielleicht, weil sie mir Glück bringen sollte“, Klaus hält kurz inne, „zwei Feuerwehrkameraden sind kurz vorher verstorben. Und irgendwie dachte ich, das bisschen Glück könne nicht schaden.“
„Das ist schön.“
„Aber schreib ja nicht, wo die Münze steckt“, sagt er lachend.
„Nein, auf keinen Fall.“
Als ich Ende vergangenen Jahres den Schlüssel der Sooneck zurückgab, durfte ich auf die Turmspitze des Bergfrieds – dem höchsten Punkt der Burg. Da erzählte mir Klaus das erste Mal von der Münze und den beiden Feuerwehrkameraden. Und zeigte mir den Ort, an dem die Münze im Mauerwerk platziert ist, die sich bisher keinen Zentimeter bewegt hat.
Die Feuerwehr in Niederheimbach und die gute Kameradschaft sind wichtige Bestandteile von Klaus‘ Leben. Sein Vater sowie sein Bruder waren bei der freiwilligen Feuerwehr und seit seinem 13. Lebensjahr ist er festes Mitglied. Klaus ist heute Hauptlöschmeister und wir sprechen oft über deren Einsätze, über die guten Erlebnisse, aber auch über die bewegenden, traurigen Momente, „die eben auch dazu gehören“, wie er sagt. Es gebe auch die Möglichkeit, mit einem Seelsorger über das Erlebte zu sprechen. „Denn nicht immer geht das spurlos an einem vorbei.“
Die Feuerwehr in Niederheimbach ist eine gemischte Einheit. Frauen und Männer gehören zum Team, fahren gemeinsam zu den Einsätzen und helfen da, wo Hilfe gebraucht wird.
„Als die erste Frau dazu kam, hat der ein oder andere etwas überrascht geguckt“, sagt Klaus schulterzuckend, „aber das war schnell vorbei und so ist es eine Bereicherung.“
Klaus ist ein wahrer Niederheimbacher. Im Jahr 1962 wurde er geboren, wuchs in dem überschaubaren Ort am Rhein auf und lebt nun in einem Haus, durch dessen Fenstern er jeden Tag die Farben des Flusses sehen kann. Einzige Ausnahme war seine Zeit bei der Bundeswehr.
„Und wo warst du da?“
„In Birkenfeld, bei der Luftwaffe.“
„Und hattest du danach nicht Lust, mal woanders hinzugehen?“
„Da sind wir beim Thema ,Heimat‘“, sieht er mich an, „meine Wurzeln sind in Niederheimbach. Das kommt durch die Feuerwehr, die Gemeinschaft, die wir hier leben. Hier ist mein Zuhause.“ Dann sieht Klaus zum Südturm rüber und ich habe den Eindruck, so wirklich hat er sich die Frage nach dem Woanders nie gestellt. Wozu auch? Wenn es genau da richtig ist, wo man eben ist. Warum soll man dann woanders suchen? Und sich vielleicht verlieren.
Und für die Stelle als Burgverwalter war sein Wohnort Niederheimbach natürlich auch gut gelegen.
„Normalerweise lebten die Verwalter immer auf der Burg“, sagt Klaus, „ich musste das nicht, da mein Haus ja quasi um die Ecke steht.“
Wir schauen über den Wald, der schon an vielen Stellen gelb verfärbt ist. Die Wiesenstücke, die zwischen den Hängen liegen, haben auch schon ihre grüne Farbe verloren und es scheint als hätten wir schon Mitte September.
„Sieht schon nach Herbst aus“, sage ich.
„Trockenstress“, kommentiert Klaus, „und wenn es nun zehn Tage über 30 Grad warm ist, möchte ich nicht wissen, wie der Wald danach aussieht.“
Manche Baumkronen sind schon kahl, trockene Äste ohne Blätter schauen hervor. Das dritte Jahr in Folge, denke ich.
Wahrscheinlich wird es für Klaus der letzte Sommer als Verwalter sein. „Schon eigenartig, wie die Zeit verfliegt.“ Die Burg Sooneck soll verpachtet werden, Klaus würde in beratender Funktion tätig sein, jedoch nicht mehr als Verwalter arbeiten. Sein Arbeitsort wäre dann woanders.
Friedrich Wilhelm IV. ließ um 1840 die Burg als Jagddomizil für sich und seine drei Brüder bauen. Leider starb er 1861 ein Jahr nach der Fertigstellung. Erlebt hat er die Burg Sooneck nicht.
„Wie fühlt sich der Abschied in naher Ferne für dich an?“
„Ach, ich stehe dem entspannt gegenüber. Was soll ich auch sonst tun?“
„Naja, ich könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere kurz vor der Rente unzufrieden wäre, an einem neuen Ort anzufangen.“
Klaus sieht das nicht so. Im Gegenteil, es sei eine Herausforderung und noch einmal etwas anderes.
„Ich bin einfach gespannt.“ Er arbeite zudem gerne im Team. „Auf der Burg Sooneck arbeitet man auch oft alleine. Das ist auch in Ordnung. Doch Arbeit in Gemeinschaft macht mir mehr Freude.“
„Herr Collerius“, sage ich, „ich muss mich bedanken für die guten Gespräche zwischen Rosengarten und Burgmauern“
„Frau Knevels, gerne!“
„Und für die stetige Erweiterung meines Wissens in Bezug auf Rosengarten, Fischzucht und Umgebung.“
„Vergiss den Whisky nicht!“
„Den Whisky?“, sehe ich ihn fragend an.
„Na, ich habe dir erklärt, dass es nicht nur Rauchigen gibt“, antwortet er und ruft damit meine minder begeisterte Erinnerung an ein rauchiges Whisky-Tasting hervor, „sondern auch blumigen.“
„Stimmt, den muss ich ja noch probieren.“
„Gut, dass du da warst“, sagt er, „die Tage hier oben ganz alleine können lang werden.“
„Ja, denke ich.“ Einsam wahrscheinlich. Dann zeigt er auf einen der Schornsteine des Südturms, die wegen ihrer Dächer über den Kopfabdeckungen wie Vogelhäuser aussehen:
„Schau mal, wie viele Hornissen…“
„… in dem Vogelnest wohnen“, beende ich den Satz und Klaus lacht.
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