Wir sind Tante Emma – Wie die Bürger von Osterspai ihren Dorfladen reaktiviert haben

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Einkauf im Dorfladen in Osterspai. Morgens gibt es sogar frische Brötchen.

In vielen Orten am Mittelrhein haben die letzten Bäcker oder Metzger schon lange zugemacht. Es fehlt an Einkaufsmöglichkeiten im Dorf. Statt auf einen Investor zu warten, haben die Bewohner von Osterspai selbst das Heft in die Hand genommen. Eine Genossenschaft betreibt einen kleinen Laden mit Café, der sich zu einem richtigen Treff im Dorf entwickelt hat. Jetzt steht dem Krämerladen der Härtetest bevor.

Den Liter Milch kaufe ich bei Birgit Maaß für 1,19 Euro. Klar, beim Aldi kriege ich ihn für Hälfte. Aber dafür kann ich beim Aldi keinen netten Schwatz an der Kasse halten. Also: Ich natürlich schon. Aber das fände der durchschnittliche Discounter-Kunde, der an der Kasse hinter mir steht, wahrscheinlich nicht so toll. Anders im Dorfladen von Osterspai: Hier ist das Teil des Geschäftsmodells. “Die soziale Funktion ist ganz wichtig”, sagt Birgit Maaß. Gerade ältere Osterspaier Bürger, die teilweise alleine zu Hause leben, kommen gerne einfach nur so vorbei, setzen sich in den Eingangsbereich oder auf die Terrasse auf einen Kaffee und “klönen”.

Im Gespräch mit Gerhard Böhm (Mitte), Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Genossenschaft, und Stefan Maaß, Vorstandsmitglied.
Im Gespräch mit Gerhard Böhm (Mitte), Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Genossenschaft, und Stefan Maaß, Vorstandsmitglied.

So ist eigentlich immer was los im neuen Dorftreff an der Hauptstraße. Neben dem Laden findet man in der alten Filiale der Volksbank jetzt auch die Tourist-Info. Das zieht vor allem Wanderer als zusätzliche Kundschaft an. Auch die nutzen gerne die Gelegenheit, sich mit Kaffee und Kuchen zu stärken, bevor es wieder auf den Rheinsteig geht. Diese Belebung des Ortskerns ist für Gerhard Böhm einer der entscheidenden Punkte beim neuen Dorftreff in Osterspai. Böhm ist Bürgermeister von Osterspai und Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft, die den Laden führt. Heißt: Er wacht über die Arbeit des dreiköpfigen Vorstands, der den Betrieb des Ladens organisiert. “Aufsichtsrat, Vorstand, das klingt alles so riesengroß”, sagt Böhm und muss lachen. Aber so sind Genossenschaften nun mal organisiert.

Das Osterspaier Modell ist laut Böhm einzigartig am Mittelrhein. Es gibt keinen klassischen Ladeninhaber oder eine Supermarktkette als Investor. Stattdessen haben die Osterspaier den Betrieb selbst in die Hand genommen. Mit einem Mindestanteil von 200 Euro sind inzwischen 80 Bürger der im November 2015 gegründeten Genossenschaft beigetreten und haben für ein Grundkapital von 35.000 Euro gesorgt, der Großteil von ihnen Einheimische. Damit, und mit den Umsätzen aus dem laufenden Betrieb, wird der Laden nun finanziert. Bis jetzt geht diese Gleichung auf, in den ersten Monaten waren die Umsätze doppelt so hoch wie kalkuliert, sagt Stefan Maaß, Mitglied des Vorstands der Genossenschaft.

Ein Hauch von Tante Emma.
Ein Hauch von Tante Emma.

Seine Frau gehört zu dem guten Dutzend Helferinnen, die ehrenamtlich hinter der Kasse stehen. Dass der Laden “von Osterspaiern für Osterspaier” ist, ist laut Böhm einer der Erfolgsfaktoren, denn: “Dadurch gibt es keinen Neid.” Wer auf dem Dorf lebt, wird es kennen: Heißt es einmal, “Bei DEM kaufen wir nix!”, ist ein Laden gescheitert. In Osterspai ist das Gegenteil der Fall. Die Menschen kommen gerne in “ihr” Geschäft, das die Aura des guten, alten Tante-Emma-Ladens verströmt. Aber nicht nur deswegen sind die Einwohner dem Gebäude nostalgisch verbunden: Viele Jahre war hier die Grundschule des Ortes. Nach der Schließung kaufte die Volksbank das Haus und unterhielt im Untergeschoss eine Filiale. Das obere Stockwerk mit den alten Klassenräumen blieb ungenutzt. Dann ging auch die Bank wieder.

“Unsere Dorfstraße war quasi entvölkert”, sagt Gerhard Böhm. Nicht nur die Bank war weg, auch Metzger und Bäcker gab es nicht mehr. Ein Schicksal, das Osterspai mit vielen kleinen Orten am Mittelrhein teilte. Zugute kam Osterspai, dass der Ort vom Land Rheinland-Pfalz im Jahr 2014 als förderungswürdige Schwerpunktgemeinde ausgemacht wurde. Die dadurch frei gewordenen Zuschüsse machten es der Genossenschaft möglich, das alte Schul- und Bankgebäude aufzukaufen und zu renovieren. Nachdem im vergangenen Jahr die Idee mit der Genossenschaft geboren war, ging alles ganz schnell. Schon wenige Monate später, am 1. Juni in diesem Jahr, eröffnete der neu gestaltete Dorftreff. Im jahrelang ungenutzten Obergeschoss wird noch renoviert. Dort entstehen zur Zeit zwei Wohnungen. Wenn die Bauarbeiten fertig sind, können diese vermietet werden.

Der Sommer lief gut im Dorfladen, doch das ist nur die halbe Miete. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob das Geschäft in den am Mittelrhein kargen Wintermonaten stabil bleibt. Böhm und Maaß sind optimistisch. Zunächst mal verspricht der vielbesuchte Martinimarkt am 6. November ein Plus in der Kasse. Und dann kommt schon das Weihnachtsgeschäft. Sollte alles gut laufen, könnten im kommenden Jahr 400 Euro-Kräfte angestellt werden, hoffen die Macher. “Ehrenamt ist wichtig, aber man kann nicht alles damit stemmen”, sagt Gerhard Böhm.

Der erste Eindruck vom Osterspaier Dorfladen ist also vielversprechend. Hier hat ein Ort eine kreative Lösung gefunden, gleich mehrere Probleme auf einmal zu lösen. Es gibt wieder eine Einkaufsgelegenheit, Touristen und Einwohner haben einen Anlaufpunkt im Ort und Bürger beteiligen sich am Gemeindeleben. Ob der Genossenschaftsdorfladen eine Erfolgsgeschichte wird, lässt sich noch nicht sagen. Der Start ist jedenfalls geglückt. Wer demnächst im Norden des Tals rechtsrheinisch unterwegs ist und noch einen Liter Milch braucht, kann den Leuten dort ja mal einen Besuch abstatten.

Der Dorfladen hat Montags bis Freitag 7:00 bis 12:00 Uhr und 14:30 bis 17:30 Uhr und Samstags 7:00 bis 12:00 Uhr geöffnet.
Die Tourist-Information ist Montags und Samstag 9:00 bis 12:00 Uhr und Dienstag bis Freitag 14:30 bis 17:30 Uhr offen. Beides findet man in der Hauptstraße 41.

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