Mein Bericht über die Bahnlärm-Demonstration in Koblenz hat für viel Gesprächsstoff gesorgt. Auf Facebook und hier im Blog wurde rege darüber diskutiert, ob der Protest gegen den Bahnlärm eine Zukunft hat. Sogar telefonisch haben sich Betroffene bei mir gemeldet. Wenige Tage nach der Veranstaltung habe ich mich nochmal in Boppard mit Willi Pusch und Wolfgang Schneider getroffen, den beiden Vorsitzenden der BI gegen Bahnlärm. Wir haben darüber gesprochen, ob das Thema junge Menschen überhaupt noch erreicht. Und warum es gut ist, Kontakt zu Politikern zu halten.
Es wird nicht leicht, einen Nachfolger für Willi Pusch zu finden. Man muss hohe Sachkenntnis haben, detailversessen sein und sich akribisch in komplexe Strukturen einarbeiten. Man kann nicht sagen, dass die Leute Schlange stehen für den Vorsitz des Rechnungsprüfungsausschusses von Kamp-Bornhofen. Aber Willi Pusch hat genug. Der 64-Jährige will dieses Amt, dass er derzeit noch ausübt, in neue Hände legen. “Jetzt müssen auch mal die Jungen ran”, sagt er zu Beginn unseres Gesprächs in Boppard. Ein Satz, den er später noch mal in anderem Zusammenhang wiederholen wird.
Willi Pusch will seine Energie nun ganz auf den Bahnlärm konzentrieren. Niemand am Mittelrhein lebt den Widerstand gegen den zunehmenden Bahnverkehr am Mittelrhein so wie Willi Pusch. Seit mehr als 20 Jahren führt er die “Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn”. Vor wenigen Tagen habe ich ihn und den Zweiten Vorsitzenden der BI, Wolfgang Schneider, in Boppard getroffen. Nachdem ich über die Demo in Koblenz berichtet hatte, wollten sie sich noch mal mit mir unterhalten.
Wolfgang Schneider holt erstmal ein paar Fotos von der Bahnlärm-Demo in Koblenz raus. “Ich bin nicht damit einverstanden, dass sie geschrieben haben, es seien nur die Alten da gewesen”, sagt er. Und zugegeben, auf den Bildern sieht man auch ein paar jüngere Gesichter. Dass die Anti-Bahnlärm-Bewegung insgesamt ein Nachwuchsproblem hat, wollen aber weder Schneider noch Pusch leugnen.
Nach meinem Beitrag über die Demo in Koblenz entwickelte sich eine rege Diskussion auf den unterschiedlichen Plattformen. Viele Kommentarschreiber teilen meine Ansicht, dass ein Großteil der Leute resigniert hat. Aber es gab auch Kritik an den Bürgerinitiativen selbst. Das sagen Willi Pusch und Wolfgang Schneider zu den wesentlichen Punkten.
1. Die Bürgerinitiativen stehen den Politikern zu nahe. Anstatt ihnen auf die Füße zu treten, fallen sie seit 20 Jahren auf die immer gleichen Versprechungen rein.
Willi Pusch ist ein Netzwerker. Keiner, der sich an Gleise ankettet. Er denkt stets in großen Zusammenhängen, kann erklären, warum CETA und TTIP Auswirkungen auf den Bahnlärm am Mittelrhein haben werden. Globalisierung, Klimawandel, Mittelrhein. Shanghai, Genua, Sankt Goarshausen. Das sind Linien, die er im Gespräch aufzeichnet. Sein Credo: “Wir brauchen die Politiker. Die wirklich relevanten Dinge werden in Berlin und Brüssel entschieden. Darum müssen wir die Kanzlerin und den Verkehrsminister erreichen. Das schaffen wir nur, indem wir Politiker auf unserer Seite haben. Dass es eine Gruppe von 140 Abgeordneten in Berlin gibt, die sich mit unserem Thema beschäftigen, ist ein Erfolg unserer Arbeit.”
2. Ein paar Plakate hochhalten ist ja ganz nett. Aber die Bürgerinitiativen schaffen es nicht, Druck auf die Bahn zu machen. Dafür müsste man mehr machen. Zum Beispiel: Gleise blockieren.
Wolfgang Schneider hat seine eigene Meinung zu einer Eskalation des Protests. Er ist selbst Polizist gewesen und hat so manche Demonstration auf der Seite des Staats erlebt. Nicht alle verliefen friedlich. Kein Wunder, dass er mit derartigen Aktionen ein großes Problem hat. Dazu kommt: “Ich bin 77 Jahre alt. Viele unserer Mitstreiter sind auch in höherem Alter. Solche Proteste sind für uns einfach nicht zumutbar. Und auch nicht in unserem Interesse.” Und: Eine Gleisblockade hat es schon gegeben, vor einigen Jahren in Rüdesheim. Viel bewegt hat die aber auch nicht.
3. Die Vorstellungen der Bahngegner sind illusorisch. Die geforderte Alternativtrasse durch den Westerwald rechnet sich gar nicht, sagen Kritiker.
Willi Pusch und Wolfgang Schneider sind, wenig überraschend, anderer Meinung. Wieder denkt Pusch in ganz großen Dimensionen. Die Bahntechnologie am Mittelrhein ist hoffnungslos veraltet, muss häufig gewartet werden. Allein das Festhalten daran verursacht seiner Ansicht nach unnötige Mehrkosten. Er träumt von Zukunfstechnologien wie Magnetschwebebahnen in Deutschland. Doch auch heute schon kostet jeder Tag, an dem nichts gegen Lärm gemacht wird, Geld: “Die Folgekosten des Bahnlärms sind immens. Es wird immer nur verglichen, was kostet diese Strecke, was kostet jene Strecke. Außen vor bleiben Faktoren wie die Gesundheitskosten, die durch die Lärmbelastung entstehen. Oder der hohe Werteverlust der Immobilien. Das gehört aber alles in so eine Rechnung mit rein. Und dann fällt auch das Ergebnis anders aus.”
4. Die Bürgerinitiativen mobilisieren nicht (mehr). Das Interesse der Menschen am Thema ist erlahmt.
Hier stimmen Pusch und Schneider in Teilen zu. Es sei richtig, dass es immer schwerer wird, die Menschen mit dem Thema zu bewegen und so wirkungsvollen Protest zu organisieren. In Sachen Online-Mobilisierung fehlt es an Know-How bei den altgedienten Protestlern. Hier fällt wieder der Satz vom Anfang unseres Gespräch: “Da müssen auch mal die Jungen ran”, sagt Willi Pusch. Interessant ist noch ein weiterer Punkt, den Pusch erwähnt: Historisch haben viele Menschen eine positive Beziehung zur Bahn, die einst Arbeitsplätze für Schienenwärter, Gleisläufer und andere geschaffen hat. Auch deswegen würden sich viele schwer damit tun, gegen die Bahn zu protestieren.
Aus dem Gespräch mit Willi Pusch und Wolfgang Schneider wird deutlich: Die Bahnlärm-Gegner stehen vor einem Generationenwechsel. Die Frage ist nur, ob es eine nachfolgende Generation überhaupt gibt. Die, die den Protest jetzt anführen, kommen in die Jahre. Natürlich können sie auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken. Zahlreiche Lärmschutzmaßnahmen sind in Kraft und werden vorangetrieben, zum Beispiel die Umrüstung auf leise Bremssysteme. Aber der ganz große Wurf ist ihnen nicht gelungen. Und momentan sieht es so aus, als würde das große Ziel, den Bahnverkehr im Tal insgesamt zu reduzieren, verfehlt werden; trotz aller Bemühungen.
Ein Patentrezept, wie man der Bewegung frische Kräfte zuführen kann, suchen die Lärmgegner noch. Schwer genug wird es in jedem Fall. Aber vielleicht ist es auch Zeit für eine Neuorientierung. Derzeit geht es immer unter dem Motto “Gegen Bahnlärm”. Die, die den Lärm spüren, leiden immens. Doch es gibt genauso viele, die vom Lärm wenig bis gar nichts mitbekommen. Und sich dementsprechend nicht für das Thema interessieren. Diese Leute müssen anders motiviert werden. Folgt man der Argumentation von Willi Pusch und seinen Mitstreitern, geht es um mehr, als ein paar rumpelnde Züge. Ganz anders klingt es darum, wenn Willi Pusch sagt: “Es geht um die Heimat junger Menschen.” Vielleicht hat er hier, ohne es zu ahnen, schon den ersten Schritt getan, ein neues Leitmotiv für seine Initiative zu finden. Sei nicht “gegen Lärm.” Sondern: “Für deine Heimat.”
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