Bernie ist Balsam für die Seele. Ich bin erschöpft, müde, kaputt von den letzten Tagen. Es gibt Momente, in denen ist einem alles zu viel. So einen Moment habe ich, als ich vor Bernies Bluesbar stehe.
Neben dem Treppenaufgang zur Terrasse der Bluesbar wird gerade ein riesiger Topf Gulasch gekocht. Der Geruch der schmorenden Zwiebeln steigt die Treppe hoch und mischt sich unter den Zigarettenqualm zweier Biker, die auf der Terrasse sitzen.
Kurz darauf spüre ich Bernies feste Umarmung und meine Anspannung verschwindet in eben dieser. Ganz wider der mittelrheinischen Weinseligkeit trinke ich erstmal ein Bier, heute ist jetzt und irgendwie alles egal, denke ich.
Bernie könnte eine Figur aus einem Roman von Rocko Schamoni sein – der Typ, der schon viele Leben gehabt hat: ein bisschen Sozialarbeit hat er mal studiert, als IT-Supporter gearbeitet, ist 20 Jahre lang verheiratet gewesen, war drogenabhängig, hat in Wiesbaden, Berlin und München gelebt, besaß den ersten Comicbuchladen in Mainz, hat als Suchttherapeut anderen geholfen und ist nun der Besitzer der Bluesbar. Ein bisschen zu gut, ein bisschen zu eigen für diese Welt.
„Wer nichts wird, wird Wirt“, sagt er lachend zu mir und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt. Seine langen grauen Haare hat er zu einem Zopf zusammengebunden und seine grünen Augen sehen mich sanft an.
Ich lasse Bernie einfach erzählen, höre zu, schwimme in seinen Worten mit.
Bernie ist Individualist. Angepasstheit liege ihm nicht, sagt er. In der Bundeswehr habe er mal einem Vorgesetzten eine verpasst, da ihm der Befehlston zuwider war. Zur Strafe musste er dann in die Zelle.
Motorrad fahren in der Kolonne habe ihm aus dem Grund auch nie gefallen:
„Wegen der langen Haare denken alle sofort, ich gehöre zu einem Motorrad-Club. Aber ich verstehe das Prinzip dahinter nicht: Den ganzen Tag einfach rumfahren und sich immer nach der Gruppe richten, wo soll da der Spaß sein?“ Überhaupt sei das Rumfahren auch nichts für die Umwelt.
Seine Bluesbar befindet sich am Fuße der Loreley, aus St. Goarshausen kommend Richtung Kaub. Während Bernie erzählt, wärmt mir die untergehende Sonne den Rücken und zwei Frachter umschiffen die Loreley – heute Abend lässt sie keinen Schiffer sterben. Das Haus, in dem Bernie arbeitet und lebt, hatte zuvor dem Künstler IVO gehört. Das Gesicht mit dem Hut, welches auf der Hauswand zu erkennen ist, ist von dem kroatischen Künstler, ebenso die Deckenarbeiten im Innern und einige Zeichnungen im Flur. Seine Werke erinnern mich an eine Mischung aus Art Déco und Memphis Design.
„Wie, du kennst nicht Gov’t Mule?“, blickt Bernie mich entsetzt an.
„Nein“, sage ich ein wenig schuldbewusst und zucke mit den Schultern.
„Dann komm mal mit.“
Auf der Fensterbank liegt ein zerfledderter EMP-Katalog, Thomann-Kisten stehen herum und an der Wand hängt ein Poster von Keith Haring.
Ich würde behaupten, meine Musikkenntnisse sind nicht die Schlechtesten, bei Blues bin ich allerdings relativ planlos. Natürlich kenne ich JJ Cale, Robert Johnson und B B King. War mal im Musical „Blues Brothers“ in Hamburg, aber da hört mein Wissen auch schon auf.
Bernie startet mit mir eine Expedition durch seine Plattenkiste. Drei seiner Lieblingsstücke möchte ich mit ihm hören, aber wie das bei jedem Kenner und Liebhaber ist, spätestens nach dem vermeintlich zweiten Liebling fallen ihm zwanzig weitere Nummern ein, die mindestens genauso gut sind.
Und das Gleiche passiert nun auch bei Bernie: Er legt eine CD nach der anderen auf. Währenddessen sitze ich in einem der Ledersessel und schaue durch das große Panoramafenster auf den Rhein, der sich mit jedem Song weiter orange-rötlich verfärbt.
„Musik muss dynamisch sein – wie das Leben“, sagt Bernie und spielt in der Luft den Part des Schlagzeugs mit: „Hör dir den Übergang an, jetzt kommt ein ruhiger Teil. Erwartet man gar nicht, oder?“
„Ja, wie das Leben“, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Du hast’s verstanden!“
An diesem Abend bekomme ich mein persönliches Blues-Rock-Set vorgespielt. Zwischendrin bewegt er seinen korpulenten Körper zur Musik und zieht dabei eine Udo-Lindenberg-Schnute. Bernie muss man einfach mögen.
Später sprechen wir sprechen über Begegnungen.
„Es gibt Menschen, die sind nett, sympathisch. Und solche, zu denen baust du direkt im ersten Moment eine Verbindung auf – die gehen ins Herz“, sagt Bernie.
„Ja, genau. Es geht dabei nicht mal um Oberflächlichkeit, sondern um ein authentisches Gefühl“, füge ich hinzu: „Ist ja bei Beziehungen genauso. Viele haben Angst vor Enttäuschung und verschließen sich lieber. Aber Verletzung und Schmerz gehören dazu. Sonst ist das Leben wie auf der „Mute“-Taste.“
Er lacht: „Du sagst es.“
„Aus Verletztheit kann man auch etwas lernen“, schaue ich über die Theke.
Bernie kann aber auch wütend werden. Vor allem, wenn es um politische Versäumnisse, die lang ersehnte Brücke zwischen Koblenz und Mainz oder den LBM (Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz) geht. Der LBM sei vor Kurzem dagewesen, erzählt er mir.
Im nächsten Jahr soll die Straße von St. Goarshausen in Richtung Kaub neu asphaltiert werden. Zum Teil müsse es eine Vollsperrung geben, sagt Bernie, für seine Bar würde es das Aus bedeuten.
„Wie sollen die Leute dann hierhin kommen?“, sagt er wütend.
„Eine Brücke wird’s bis dahin nicht geben“, gebe ich zurück, „falls es die jemals geben wird.“ In dem Moment fährt ein Amphibienauto durch den Rhein.
„Am besten, die Leute besorgen sich solche Autos“, sage ich und wir müssen beide lachen, aber ein Stück Bitterkeit liegt auch darin.
Als ich nach Hause gehe, ist meine Plattenkiste um ein großes Stück gewachsen und mein Comicwissen auch – von denen besitzt Bernie nämlich auch noch eine große Sammlung.
Für jeden Moment des Lebens gibt es den richtigen Soundtrack, meiner ist für heute: DeWolff – Tragedy? Not Today (!)
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