Ein bisschen mehr Disco, bitte! – Mit dem Oldtimerbus durchs Mittelrheintal

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Auf Einladung der „Romantischer Rhein Tourismus“ durfte ich mit einem Oldtimerbus das Mittelrheintal erkunden. Fast zehn Stunden dauerte die Rundfahrt, bei der ich das Tal nicht nur kulinarisch entdeckte. Ich erfuhr auch, ab wie viel Beaufort man auf dem Rhein Surfen kann, wie man einen Bus kurzschließt, und dass die Rocky Horror Picture Show sich gut mit Wein verträgt.

Busfahrer Guido Kelders nimmt den Steckschlüssel, steigt aus dem 1953er Setra, läuft um den Bus herum und öffnet mit dem Werkzeug die Heckklappe auf der Fahrerseite. Er beugt sich hinein, drückt den gleichen Steckschlüssel an eine Stelle im Innenleben des Busses, aus der zwei Kabel herausragen. Es macht einmal kurz “Klick”, dann läuft er zurück, steigt wieder ein und setzt sich hinters Lenkrad. Während er den durch den Kurzschluss startbereit gewordenen Omnibus anlässt, ertönt bereits der Schlager “Marina” in der Version von 1959, gesungen von Will Brandes im Innenraum des rot-weißen Fahrzeugs. Die Mittagssonne brennt unerbittlich auf das unklimatisierte Fahrzeug, während Guido Kelders langsam auf die Fähre nach Rüdesheim rollt. Die Busgäste fächern sich mit den Speisekarten der “Kulinarisch-vinologischen Reise im Oldtimerbus durch das Welterbetal” Luft zu. Es bringt nicht wirklich was. Die Luft steht trotzdem. Nostalgie kann ganz schön anstrengend sein. “Marina, Marina, Marina…”

Diese Tour, auf der auch ich Gast sein darf, ist Teil der Initiative “Mittelrhein-Momente” und wird uns einmal durchs ganze Mittelrheintal führen. Beginnend in Bacharach, führt sie über Bingen nach Rüdesheim, von dort die rechte Rheinseite entlang mit Zwischenstopps in Kaub und Braubach. In Lahnstein geht es wieder zurück auf die linke Rheinseite, weitere Stationen sind der Bopparder Hamm, Burg Rheinfels in St. Goar, das Ziel ist Oberheimbach. Unterwegs servieren regionale Gastronomen, Winzer und Winzerinnen ihre Spezialitäten. Es fahren überwiegend ältere und noch etwas ältere Ehepaare mit. Der Trip ist offenbar ein beliebtes Weihnachtsgeschenk für den Ehepartner, wie ich im Verlauf der Fahrt erfahre. Ausnahmen sind Leute wie der Wolfsburger Andreas Beucke. Der Enddreißiger macht sage und schreibe zwei Wochen Urlaub am Mittelrhein. Von wegen, hier gibt es nur Tagesgäste.

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Das muss einer dieser „Mittelrhein-Momente“ sein, die einem die Werbung verspricht. (alle Fotos: Moritz Meyer)

Ich selber wurde von der Romantischer Rhein Tourismus eingeladen. Nicht nur die Aussicht auf gutes Essen und Wein lassen mich nicht lange zögern. Ich bekomme auch die Gelegenheit, das ganze Mittelrheintal an einem Stück zu erkunden und ein paar Kontakte zu Winzern und Gastronomen zu knüpfen. Außerdem erfahre ich so direkt, wie sich der gehobene Tourismus am Mittelrhein anfühlt. Oder anfühlen soll. Ich erlebe moderne und ansprechende Gastronomie in einer Inszenierung, die einigen Mittelrhein-Klischees nicht entkommen kann.

Gastronomie und Tourismus am Mittelrhein runterzuschreiben ist dieser Tage fast schon zu einfach geworden. Einmal ab nach Rüdesheim und schon bekommt man auf dem Präsentierteller alles, was schief läuft in der Welterbe-Region. Man kann es sich also leicht machen, wie diese Autorin der „Welt“, und von “obszöner Asbacherisierung” schreiben. Auch wir streifen den vermeintlichen Hort des “Billigtourismus” quasi um Reifenbreite, als wir in Rüdesheim von der Fähre rollen. Unser Fahrer Guido Kelders ist mir auch deshalb sofort sympathisch, weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. Auf der Fähre nähert sich ein älterer Herr mit leuchtenden Augen und Enkelchen auf dem Arm unserem Gefährt, das natürlich ein Blickfang ist. “Guck mal!”, sagt der Senior, sichtlich von Nostalgie überwältigt, zu dem verständnislos dreinblickenden Kleinkind. “Opa hat auch noch so einen alten Käfer zu Hause.” Guido Kelders verdreht die Augen, als er das durchs offene Fenster mithört. “Wer auf einmal alles noch einen alten VW-Käfer hat, ich kann es nicht mehr hören”, brummt er missmutig.

Kelders hat mehr als ein Dutzend dieser alten Busse auf seinem Betriebshof stehen. Sie in Schuss zu halten ist ein anstrengender Fulltime-Job, nicht zu vergleichen mit Opas Schrauberei im Hobby-Keller. Und da ist die Fahrerei noch nicht mitgerechnet. Nicht nur, dass es eine echte Kraftanstrengung ist, den alten Setra  – das steht übrigens für “selbstragende Karosserie”, damals ein Novum – zu manövrieren. Jedes andere Fahrzeug auf der Straße ist eine potenzielle Gefahr für den aufwändig restaurierten Bus. Dementsprechend steht Kelders unter Stress, als sich mehrere Autos, Motorräder und Fahrradfahrer gleichzeitig von dem Schiff drängeln und scheinbar keine Rücksicht mehr auf den Oldtimer nehmen, der schwerfällig über die Rampe rumpelt. Auch dass wir den Umweg über Rüdesheim machen müssen, schmeckt ihm nicht. Es ist Feiertagswochenende, rund ums Niederwalddenkmal brummt es, aber Station machen werden wir hier nicht. Wir hätten auch in Kaub übersetzen können. Die Routenplanung will es anders. Bingen, Rüdesheim, das muss sein. Da gibt es auch für uns kein Entkommen.

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Vitello Tonnato á la Mittelrhein gibt es bei Andreas Stüber in Bacharach.

Erst als wir uns Kaub nähern, weicht der Stress und so langsam setzt entspanntes Mittelrhein-Feeling ein. Auch Guido Kelders wird nun locker und scherzt munter mit Gästeführerin Linda Butz, die buchstäblich jeden Stein in der Gegend zu kennen scheint. Als wir die Sooneck passieren, kann ich ein paar Infos zum Burgenblogger-Dasein beisteuern. Nun machen wir Halt in Kaub und lassen uns von Winzer Wolfgang Hillesheim und Harald Kutsche vom “Zum Turm” verwöhnen. Es gibt “Chartreuse von Edelfischen und Hummer an Riesling-Tester-Schaum”. Das könnten viele Rüdesheim-Touristen wahrscheinlich nicht mal richtig aussprechen.

An dieser Stelle sei es denn auch mal so deutlich gesagt: Wer will, kann der vermeintlichen “Asbacherisierung” am Mittelrhein problemlos entkommen. Zwischen Speisekarten mit Jägerschnitzel und Käseigel muss man noch nicht mal lange suchen, um hervorragende regionale Küche zu finden, die auch bezahlbar ist. In Gesprächen mit den Restaurantchefs und Winzern spüre ich viel Aufbruchstimmung und Energie. Leute wie Andreas Stüber vom gleichnamigen Rheinhotel in Bacharach haben schlicht keine Lust mehr auf die alte Mär von der kulinarischen Diaspora. Lieber preist er sein leckeres “Mediterrheines Vitello Tonnato” an, für das er Frischlingsrücken sieben Stunden lang auf Niedertemparatur gart und es dann mit einer Crème von der Wisperforelle garniert. Mit der gleichen Begeisterung erzählt er mir vom Windsurfen auf dem Rhein vor Bacharach: “Ab drei bis vier Beaufort geht was!” Das klingt doch nach frischem Wind, finde ich.

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Im „Weißen Schwanen“ gelingt es mit einem Kräutergarten, die schwere Fachwerkatmosphäre aufzulockern.

Im Landgasthof “Zum Weissen Schwanen” treffe ich Restaurantchefin Karolin König-Kunz, die uns Steinbeisser mit einem gelungenen Graupenrisotto auftischt. Sie sprüht vor Unternehmergeist, als sie mir von ihren Plänen mit der Burg Sterrenberg bei Kamp-Bornhofen erzählt: “Es ist noch nicht alles spruchreif, aber es wird richtig gut”, sagt sie. Ich werde es verfolgen und mache mir gleich eine Notiz dazu. Mir wird klar: Es geht doch was am Mittelrhein. Steht sich die Region vielleicht manchmal selbst im Wege? Die schweren Balken der Fachwerkhäuser, die massigen Burgen, das Gewicht von 1000 Jahren Geschichte, die sich in der allgegenwärtigen altdeutschen Schrift manifestiert: Mir kommt es so vor, als hätte das dem Tal die Leichtigkeit genommen.

Auch bei der Oldtimer-Tour scheint mir manches zu dick aufgetragen. Nostalgie ist ein trügerisches Gefühl. Der Duden beschreibt sie als eine “vom Unbehagen an der Gegenwart ausgelöste, von unbestimmter Sehnsucht erfüllte Gestimmtheit, die sich in der Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit äußert.” Der Mittelrhein braucht nicht noch mehr Rückwärtsgewandheit. Was spricht dagegen, im Oldtimerbus statt Schlagern von einst auch mal Jan Delay laufen zu lassen. Disco No.1 statt 50er-Jahre Discomusik. Und eine WiFi-Verbindung würde diesem Gefährt, bei dem allen Instagrammern dieser Welt der Sabber laufen würde, auch gut zu Gesicht stehen. Nostalgie durchbrechen, statt in ihr zu ertrinken. Dann fahren vielleicht auch mehr Leute mit, die den Bus altersmäßig noch nicht übertreffen.

Am Schluss der Tour treffen wir Cecilia Jost im Weinberg-Schlösschen in Oberheimbach. Während sich vor allem die älteren Mitfahrerinnen Josts Dessertwein schmecken lassen, und die Runde nach dem anstrengenden zehnstündigen Ausflug in gelöste “Geschafft”-Stimmung verfällt, erzählt Cecilia mir von ihren Plänen auf dem elterlichen Weingut, das die 30-Jährige jetzt übernommen hat. “Kino im Weingut” ist einer davon. “Rocky Horror Picture Show” will sie zeigen, wer verkleidet kommt, erhält eine besondere Überraschung. Der Film ist auch schon vierzig Jahre alt. Aber irgendwie fühlt sich das nach einer coolen Idee an, von der das Mittelrheintal noch ein paar mehr gebrauchen kann. Und hier und da vielleicht etwas weniger Nostalgie.
 

7 Kommentare

  • Liebe Frau Hillesheim,
    ich glaube, ich weiß was Sie meinen. Es ist aber letztlich egal wofür die Winzer die Subventionen bekommen. Ich muss ausdrücklich sagen, dass ich es begrüße, wenn der Weinbau in der Steillage subventioniert wird, aus verschiedenen Gründen. Das wäre ein anderes, eigenes Thema.
    Ihrer Einladung komme ich natürlich gerne nach. So ganz neu ist mir die Sache aber nicht. Sie kennen ja sicherlich den Ölsberg in Oberwesel. Vor einiger Zeit bin ich da immer mit „Hennes“ am Samstag hingefahren, ich habe die Seilwinde am Traktor bedient und den „Hennes“ mit dem Pflug die Gasse hoch gezogen. ist schon einige Jährchen her.
    Anschließend sind wir noch die Gassen durchgegangen und haben mit de Hacke den Steg zwischen den Stöcken platt gemacht.
    Ich bin dabei eine Initiative zu gründen mit der Zielsetzung einen nachhaltige, wert haltigen Tourismus zu fördern. Dabei geht es mir darum alte und historische Inhalte mit den gewandelten Ansprüchen der Touristen / Verbraucher zu verbinden.
    Wie Herr Meyer schon festgestellt hat, es gibt gute Ansätze, die aber aus mehr oder weniger individuellen Ansätzen entstanden sind.
    Mit einem Gruß!

    Jens Lichtenthäler

  • Moritz Meyer says:

    Liebe Frau Hillesheim, bei dem Treffen möchte ich aber dabei sein ;)

  • Ich meine natürlich „Rückwärtsgewandtheit“. Offensichtlich sträubt sich mein Word – Prozessor gegen die Übernahme des Wortes.

  • Lieber Herr Meyer,

    Sie haben eine wichtige Wahrheit gelassen ausgesprochen: „Der Mittelrhein braucht nicht noch mehr Geschäftsgewandtheit“. Dazu käme noch die Selbstgefälligkeit und die Ideenlosigkeit. Die Winzer möchten Ihren subventionierten Wein verkaufen. Dagegen kann man nichts sagen. Nur, auf dem direkten Wege ist es schwer den Wein an Mann oder Frau zu bringen. Man sollte es über Umwege versuchen. Um die Besucher länger zu binden braucht es aktive Inhalte und Erlebnisse unter Nutzung moderner Bedürfnisse in Verbindung mit den vorhandenen kulturellen und und geschichtlichen Inhalten. In diesem Zusammenhang kann man dem Touristen auch den Wein kredenzen
    In St. Goar besteht so ein Inhalt darin, dass die Gäste in der Fußgängerzone die Füße einziehen müsse, damit die Füsse nicht unter die Räder der Einheimischen kommen, die dort schrankenlos zu jeder Zeit mit Autos und Motorrädern durch Fußgängerzone fahren.
    In Oberwesel kann man die Einstellung zu Besucher daran erkennen, dass in der Ortsmitte um das Rathaus herum, der Gehweg mit Autos alternierend zugestellt ist. Die Besucher, ältere Leute mit Gehwägelchen, dürfen dann auf die Fahrbahn ausweichen und drum herum laufen.
    Über Weihnachten habe ich einen Ausflug nach Wittenberg, Wernigerode und Quedlinburg gemacht.
    Zu meiner Überraschung, trotz schlechtem Wetter, waren alle 3 Städte touristisch gut besucht, besonders Wernigerode. Bei den anderen Städten konnte man noch die Auswirkungen der DDR – Zeit bemerken. Was besonders ins Auge fiel: in allen 3 Städten war die Innenstadt für den Verkehr gesperrt, ausgenommen Radfahrer.
    Fast alle Geschäfte, Cafes in den Innenstädten waren operabel, also fas kein Leerstand. In Wernigerode war die Innenstadt fast schon übervoll. Von Wernigerode geht die Brockenbahn ab.
    Die Fahrt auf den Brocken kostet € 38,00 hin und zurück. Alle Züge, hinauf oder hinunter, waren mehr oder weniger voll. Da musste man mit Stehplätzen vorlieb nehmen.
    Was ich damit sagen will: Es geht offensichtlich auch anderes als aktuell am Romantischen Rhein.

    Mit einem Gruß!

    • Moritz Meyer says:

      Lieber Herr Lichtenthäler, vielen Dank für ihr Feedback. Ich denke, es tut sich auch viel in die andere Richtung. Schönes Beispiel ist das Angebot von kostenlosem Internet in Oberwesel für Touristen als Freifunk. Dazu wird es auch hier im Blog bald einen Text geben. Aber sie haben Recht: Verbessern kann man immer was. Ich werde mal ein Auge auf die Innenstädte am Mittelrhein haben und schauen, was mir auffällt.

      Ich kenne die Harzregion übrigens auch ein wenig. Interessant, dass sie die hier erwähnen. Tatsächlich gibt es einige Parallelen zum Mittelrhein als Region. Viele Wanderwege, tiefe Verwurzelung in deutscher Historie, Sagen- und Legenden und ganz viel Fachwerk. Wenn ich das nächste Mal dort bin, werde ich mir auch das noch mal anschauen. Vielleicht kann man da ja mal einen Vergleich machen.

    • Silke Hillesheim says:

      Hallo Herr Lichtenthäler, zu Ihrer Information: nicht der Wein ist subventioniert,sondern die Steil-und Steilstlagen werden gefördert. Das dient der Erhaltung der Landschaft. Ich lade Sie gerne mal ein, einen Tag mit mir bei der Arbeit im Weinberg zu verbringen. Das erdet. Dabei können wir uns auch über Vermarktung unterhalten. Bitte festes Schuhwerk mitbringen und Höhenangst zu Hause lassen. Herzliche Grüße Silke Hillesheim, Weingut Hillesheim in Kaub