Von Lügengeschichten via Hang-Out, schweren Beinen und einer neuen Krafttankstelle

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Es ist Mittwoch abend, acht Uhr zwanzig. Ich klappe den Laptop zu und lege „Janoschs wahre Lügengeschichten“ beiseite, aus denen ich den Kindern eben noch via Hang-Out vorgelesen habe. Ich öffne das Fenster und blicke nach draußen aufs Rheintal, die Ausläufer des Soonwalds, die die Burg umschließen, den Steinbruch, der es aussehen lässt, als wäre an der Stelle die Polsterung eines gigantischen, grünen Sofas aufgerissen. In den Steilwänden sehe ich weit entfernt ein paar Tiere kraxeln. Ich kann nicht erkennen, um was es sich handelt und denke, dass ich dringend ein Fernglas brauche. Plötzlich fällt mir ein, dass ich die nahe Umgebung der Sooneck noch gar nicht erkundet habe. Die Abendluft ist mild, für mindestens eine Stunde wird es noch hell sein, schätze ich. Ich packe ein Wegbier in meinen Rucksack, ziehe die Wanderschuhe an und bin raus.

Ich will hoch zum Siebenburgenblick, der zur Zeit nur ein Fünfburgenblick ist. Das hat mir Herr Collerius, der Burgverwalter der Sooneck, erklärt. Um die Jahreszeit verdecken die Bäume die Sicht auf zwei der Burgen. Ich atme die kühle Waldluft ein und mache mich an den Aufstieg. In diesen Tagen machen sich ein paar besonders fitte Wanderer unter der Leitung von Welterbe-Gästeführer Wolfgang Blum auf den Weg zu einer 24-Stunden-Wanderung am Mittelrhein. An die muss ich denken, als ich schon nach wenigen Minuten zu schwitzen beginne. Puh, ich war auch schon mal fitter. Wie lange ich wohl so eine Wanderung durchhalten würde? So kühl ist die Waldluft gar nicht, stelle ich fest, und ziehe meine Fleece-Jacke aus.

Nach wenigen Minuten komme ich an eine Abzweigung. Ein Schild weist den Weg zum Martinspfad. Ich verlasse den breiten Serpentinenweg und folge dem schmalen Pfad auf seinen Windungen zwischen den Bäumen, ohne genau zu wissen, wohin er mich führen wird. Irgendwo unterhalb von mir knackt es. Ein Reh springt mit weiten Sprüngen den Hang hinab und verschwindet im Unterholz. Dann passiere ich ein Geröllfeld. Die dicken Wackersteine sind von einem dicken Pelz aus Moos bedeckt, sie sehen aus, wie die Trolle aus dem Film „Die Eiskönigin“, der bei uns zu Hause auf heavy Rotation läuft. Die Natur zieht mich mehr und mehr in ihren Bann. Überall sind Geräusche, alles ist voller Leben. An einer Wegbiegung öffnet sich plötzlich der Wald und gibt den Blick aufs Rheintal frei.

Siebenburgen
Ein Ausblick, der euphorisch machen kann.

Ich gehe bis an die Kante einer Felsnase, die ins Tal ragt. Die Sooneck liegt direkt unter mir, von hier oben sieht sie plötzlich klein aus. Der Wind weht kräftig an dieser Stelle und bläst mir die anfängliche Schwerfälligkeit endgültig aus den Knochen. Ich fühle mich lebendig, euphorisch, unbesiegbar. Ich blicke nach oben und sehe einen Aussichtsturm über mir aus den Baumwipfeln ragen. Die letzten paar hundert Meter dorthin habe ich schnell geschafft und ehe ich es mich versehe, kann ich ganz Mittelerde Mittelrhein überblicken. Im Westen, hinterm Horizont des Hunsrücks verschwindet die Sonne hinter ein paar Windrädern. Die Dämmerung ergreift Besitz von der Landschaft. Wie viele Burgen genau man von hier oben sehen kann, kann ich nicht mehr erkennen. Ist aber jetzt, in diesem Moment, egal. Ich hole das mitgebrachte Bier aus meinem Rucksack und genieße einfach.

Zwei Wochen Burgenblogger liegen jetzt hinter mir. Von meiner persönlichen 24-Stunden-Wanderung habe ich gerade mal die erste Etappe  geschafft. Die schwersten Stücke kommen mit Sicherheit noch. Janoschs Lügengeschichten haben wir bald durch. Es liegen noch viele Vorlesestunden via Hang-Out vor mir. Aber wenn die Beine mal schwer werden sollten, weiß ich jetzt, wo ich Kraft tanken kann. Die nächste Etappe kann kommen.

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