Es ist kalt, diesig und grau draußen, als mich Silvia Dechent in Oberwesel auf einem Parkplatz anspricht. Sie hatte das Burgenblogger-Auto gesehen und ich war gerade auf dem Weg zu eben diesem, als wir uns begegnen.
„Sind Sie die Burgenbloggerin?“
„Ja.“
„Sind Sie viele?“, fragt sie mich.
„Wie meinen Sie das?“, sehe ich sie etwas verwundert an.
„Also wird das Projekt nur von Ihnen betrieben? Das heißt schreiben, zeichnen, recherchieren Sie alles? Oder von mehreren?“
„Nein, im Moment bin ich ganz alleine. Aber ich habe vier Vorgänger.“
„Das wusste ich gar nicht.“
„Ähm – ja.“
„Hätten Sie nicht mal Lust bei mir vorbei zu kommen? Ich habe einen wunderbaren Garten und ein altes Haus, das viele Geschichten zu erzählen hat.“
„Gerne.“
Vier Tage später stehe ich vor Silvias Fachwerkhaus in Bacharach. Von draußen hört man schon die Renovierungsarbeiten, die gerade im Erdgeschoss stattfinden. Die Haustüre ist angelehnt und der Baustaub sammelt sich auf dem Boden.
„Ich komme“, ruft Silvia von oben, während ich langsam in den Eingangsbereich eintrete. Der Fußboden ist noch im Originalzustand, besitzt diese typische, historische Fliesenmusterung, die auf mich irgendwie orientalisch, aber auch irgendwie mediterran wirkt.
„Der Kaffee ist für die Jungs da drin“, sie deutet auf eine Tür, aus der der Baustaub zu kommen scheint, „damit die mir nicht verdursten“, sagt Silvia und verschwindet kurz in dem Raum.
„Rauchst du?“, fragt sie mich, als sie wieder in den Flur kommt.
„Nein.“
„Mhm, ich muss mal raus, eine rauchen.“
„Ich komme aber gerne mit, ich muss ja nicht rauchen.“
Während Silvia eine Zigarette raucht, erzählt sie mir, dass es das Haus eigentlich gar nicht mehr geben würde, hätte es man es tatsächlich im Zuge der 1830 geplanten Stadtsanierung abgerissen. Nun stehe es aber doch noch, was gut sei, es brauche jedoch jede Menge Zuwendung.
„Um so ein Fachwerkhaus zu renovieren, reicht ein Leben nicht und für das Geld könntest du dir fast drei Häuser bauen.“
„Das hat wohl andere Beweggründe“, sehe ich sie an und sie lächelt:
„Das macht man nur aus Liebe und Leidenschaft.“
Silvia Dechent lebt seit über 35 Jahren in Bacharach, ursprünglich kommt die ehemalige Rettungssanitäterin aus Waldalgesheim. Sie sei eine der ersten Frauen in der Bacharacher Feuerwehr gewesen, erzählt sie mir. Zu Beginn habe man sie erstmal argwöhnisch beäugt, als Frau nur unter Männern, das sei eben neu gewesen. Nun hatte sie ihr 35. Jubiläum und man wolle sie gar nicht mehr gehen lassen.
„Komm, jetzt zeige ich dir mal den Keller des Hauses. Die Grundmauern sind über 350 Jahre alt.“ Silvia öffnet die Kellertür und sieht mich fürsorglich an: „Halt dich am Geländer fest, bevor du mir die Treppe runterfällst.“
Wir gehen über die jahrhundertalte Schiefertreppe nach unten. Die Decken sind hier niedrig, vielleicht 1,80 Meter hoch, nicht mehr. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle, berührt mein Kopf fast die Decke. Die Mauern sind aus altem Schiefer, in einer Ecke befindet sich ein ehemaliger Brunnen.
„Das Loch ist jetzt zu, aber bei Hochwasser wird es genau an der Stelle feucht und irgendwann tritt Wasser heraus.“
Der Boden im Keller ist uneben und aus Lehm, ganz anders als man es aus seinem Standard-Zuhause kennt. In einem anderen Abschnitt stehen Regale mit Einweckgläsern, alle befüllt, alle mit Daten versehen, ein wenig wie in einem Tante-Emma-Laden.
„Das ist mein Garten“, sagt Silvia stolz, „also aus meinem Garten geerntet und eingekocht. Dieses Jahr hatte ich über 45 Kilogramm Johannisbeeren. Aber den Garten zeige ich dir nachher noch. Jetzt lass uns erstmal hoch gehen.“
Über die alte Schiefertreppe gehen wir zurück ins Erdgeschoss, danach geht es in den ersten Stock. Auch hier ist alles uneben und schief. Balken schauen aus der Decke heraus, die ich an manchen Stellen mit der Hand berühren kann. Man kann das Tragwerk des Hauses sehen, was den Bau irgendwie verständlicher macht.
„Das Badezimmer mussten wir über 45 Zentimeter anheben, damit die Badewanne gerade steht“, sieht mich Silvia an, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
„Hast du Angst vor Hund oder Katze?“
„Nein“, antworte ich und eine Minute später begrüßt mich ihr Mops Hexe, Kater und Katze kommen später hinzu.
„Das Schlimmste an der ganzen Sanierung ist das Denkmalamt. Es gibt viele Vorschriften, finanzielle Unterstützung gibt es allerdings nicht, beziehungsweise kaum. Die Vorschriften beziehen sich allerdings nur auf das Äußere des Hauses.“
Bevor wir uns in ihre Küche setzen, zeigt Silvia mir noch den Dachboden des Hauses. Hier befinden sich einige der ältesten Balken. Sie fährt mit ihrer Hand über die Schiefermauer und holt einige Lehmkrümel heraus. „Um die Wände richtig zu sanieren, musst du in mehreren Schichten Lehm auffüllen.“ Sie blickt sich nachdenklich um, „anders geht es nicht.“ Das Haus atme, Feuchtigkeit sei gut für die Lehmschichten und bei falschen Restaurierungsarbeiten könne großer Schaden entstehen. Irgendwie komme ich mir so vor, als würde ich in einem lebendigen Gemäuer stehen, denke ich. Und mir gefällt die Vorstellung: Ein Haus, das lebt.
„Was das Haus für Geschichten erzählen würde, wenn es könnte.“
„Ja, schade, dass Wände nicht sprechen können.“
„Beim Aufräumen haben wir einen alten Kinderschuh aus Leder gefunden. Der ist bestimmt ein paar Hundert Jahre alt.“
Als Silvia mir den Schuh in der Küche zeigt, muss ich daran denken, was ich in den Wohnungen, in denen ich gewohnt habe, von meinen Vormietern gefunden habe: In der Regel waren es nicht mehr als ein paar unliebsame Kartons mit Dingen, die man eben aussortiert hat und mehr oder weniger vergaß mitzunehmen. Der Schuh des Kindes hingegen ist ein Stück Geschichte.
„Kaffee?“, fragt sie mich, während ich an ihrem schiefen Küchentisch sitze und auf den Schuh blicke.
„Gerne.“
„Das Denkmalamt hätte gerne, dass ich das Haus in einem Pastellton streiche“, sagt Silvia.
„Also soll es einen Puppenstuben-Charakter bekommen?“, grinse ich sie an.
„Genau, aber das mache ich nicht.“
„Das kann ich verstehen.“
Auf dem Dachboden habe sie auch alte Fotos gefunden, die auf Glas belichtet wurden. Später sehen wir uns diese noch an. Auf manchen Bildern hat der Rhein eine meterdicke Eisschicht, die er so nie wieder haben wird. Die portraitierten Menschen stehen aufgereiht nebeneinander oder in inszeniert geselliger Runde. Das sind keine Schnappschüsse, denke ich. Damals war Fotografieren noch etwas Besonderes.
Und dann brechen wir auf in Silvias Garten, in den „Grünzeug-Zuchtbetrieb“, wie ihn Wolfram, Silvias Ehemann, liebevoll nennt. Ihr Garten gehöre zur GartenRoute Hunsrück Mittelrhein e. V., kommentiert Silvia, während wir durch das Tor gehen. Die Fläche liegt direkt am Rhein. Hier sind mehrere Gärten, mal mehr, mal weniger geordnet, einen englischen Rasen hat hier niemand. Alles wirkt ein wenig wild, aber irgendwie schön: Da stehen Steinköpfe, aus denen im Sommer Pflanzen, respektive Haare herauswachsen, ein Bauwagen, kleine Skulpturen und Kunstwerke, große Walnussbäume und die Ponde Rosa, ein Gartenschuppen, der an einen Saloon aus einem Western erinnert.
Silvia organisiert im Sommer oft Gartenführungen und Workshops. Immer an verschiedene Themen geknüpft, „damit die Leute auch etwas mitnehmen“, wie sie sagt.
„Bei einer Tour waren wir knapp 200 Leute.“ Es ging dabei um natürliche Pflanzenschutzmittel, Knoblauch sei beispielsweise eins. Natürlich liege ihr Bio-Garten total im Trend, „aber ich mache das schon seit der Geburt meines Sohnes und der ist jetzt über 30 Jahre alt. Für mich ist das also nichts Neues“, sagt sie lachend. „Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf den Einheitsbrei, den es im Supermarkt gibt.“ Von den über hundert Apfelarten, bekomme man in der Regel nur fünf oder sechs zu kaufen, bei dem anderen Obst sei das nicht anders.
Ihr Garten sei außerdem ihr Rettungsanker, wie sie mir später erzählt. „Ohne ihn hätte ich all die Jahre als Rettungssanitäterin nicht überlebt. Hier konnte ich all den Kummer und Schmerz loswerden.“ Ob Heimweh nach den Grünflächen in Waldalgesheim, ob erlebtes Leid oder gar der Tod in ihrem Berufsalltag, bei allem hat der Garten ihr Trost gespendet, ihr zugehört, war da.
Die Liebe zu ihrem Garten ist nur schwer zu übersehen. Jede Pflanze hat ihren Platz. Bunte Gießkannen sammeln sich an verschiedenen Orten, Windspiele drehen sich und ein Gartenschläferpaar ist in ihr Gartenhaus eingezogen. „Die beiden haben mich richtig irritiert angesehen, als ich ihren Schlafplatz entdeckt habe“, sagt Silvia lachend.
Mindestens einmal am Tag versucht sie, runter zum Rhein zu gehen, die Vögel zu füttern, zu ihrer persönlichen „Flugshow“ zu kommen, wie sie sagt. In ihrem Gartenhaus bereitet sie das Vogelfutter selbst zu. Kurz darauf landet schon ein Rotkehlchen neben uns. Es sitz da und beobachtet uns, als wären wir die Gäste in seinem Garten – irgendwie ganz schön und vielleicht ist es ja auch so, denke ich.
Wir laufen noch eine Weile weiter durch Silvias Garten: Da stehen alte Badewannen voll mit Kräutern wie Thymian oder Salbei. Es gibt Aprikosenbäume, Weinbergpfirsiche, Kirschen, Äpfel und Quitten. Ein ehemaliger Fensterrahmen aus ihrem Haus hängt an einer Steinwand und Efeu rankt daran hoch. Ein kleiner Bachlauf durchquert die Wiese, der die Frösche Egon und Lothar beherbergt, sowie die die Kröte Kühlwalda. Ein wenig wie im Märchen, denke ich,
Im Sommer treffe sie sich gerne hier mit ihrer „Kunterbunt-Gruppe“, eine Gruppe von Künstlerinnen, sagt Silvia. Dann sitzen sie auch mal bis tief in die Nacht am Rhein, machen Musik, grillen, sind einfach beisammen. „Alles ganz ungezwungen, wer kommt, der kommt.“
Bevor wir ihren Garten wieder verlassen, deutet sie auf einen Tisch mit Gräsern:
„Das sind Zimmer-Pflanzen, willst du eine?“
„Gerne.“
„Dann nimm sie mit. Und im Sommer musst du wiederkommen.“
„Danke, ja, das werde ich.“
Silvia umarmt mich noch zum Abschied und ich bin froh darüber, dass wir uns über das Burgenblogger-Auto gefunden haben.
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