Ips Typographus, Trophäen und Trockenheit

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Es ist ein warmer Septembernachmittag, als ich mich mit Timo Hans treffe. Wir sind verabredet, um uns das Forstrevier Damscheid/Oberwesel anzusehen. Für dieses ist der 39-jährige Förster seit 2010 zuständig – ein Revier mit fast 1400 Hektar Fläche.

Wir fahren durch den spät sommerlichen Wald. Der Wind ist kühl, die Luft klar. Eigentlich sieht der Wald, durch den wir fahren, ganz gut aus, denke ich: viele grüne Bäume, darunter ein paar, die schon ihr Blätterkleid herbstlich färben, passend zur Jahreszeit, eben wie man es sich in einem Wald vorstellt. Aber eben nur eigentlich – denn bei genauerem Hinsehen erkennt man immer wieder Stellen, denen es gar nicht gut geht.

Hans zeigt mir Bäume, die schon eine deutliche Herbstfärbung haben. Ungewöhnlich sei das und nichts Typisches für diese Jahreszeit, bei einzelnen Buchen habe es schon im August einen kompletten Laubverlust gegeben, sagt Hans.

Die rötliche Verfärbung der Fichten beispielsweise ist ein deutliches Zeichen für den Borkenkäfer-Befall. Ips typographus klingt wie eine Walter-Moers-Figur, ist aber der wissenschaftliche Name des Buchdruckers respektive des großen achtzähnigen Fichtenborkenkäfers, der gerade in vielen Gebieten Deutschlands die Fichtenbestände zerfrisst.

Normalerweise kann die Fichte die Käfer durch Harzbildung abwehren. Doch durch die langanhaltende Trockenheit haben die Bäume kein Wasser mehr und können somit kein oder kaum Harz bilden. Der Innenholzkörper trocknet in sich zusammen, der Außenkörper, die Rinde, bleibt fest. Hans macht ein Stück Rinde ab, in der deutlich die Löcher und Fressspuren des Borkenkäfers zu erkennen sind.
„Die Rinde löst sich sonst nicht so leicht“, sagt er, „das liegt daran, dass das Holz schon ausgetrocknet ist.“

Unter Idealbedingungen erzeugt ein Borkenkäfer-Pärchen in der „Rammelkammer“, so die fachliche Bezeichnung des Paarungsortes, in einem Jahr etwa 300.000 Nachkommen. „Es ist der zweite Sommer mit einer viel zu langen Trockenzeit. Die Bäume hier leiden unter Trockenstress, der wiederum den Borkenkäfer-Befall begünstigt, die Bäume können sich nicht mehr gegen den Befall schützen“, sagt Hans.

Es ist nicht nur die rötliche Verfärbung der Fichtennadeln, die auf einen Befall hindeutet. Auch am Stamm befinden sich „Bohrmehl“-Haufen, die ein wenig an Kaffeepulver erinnern und den Ips typographus verraten.

„Die einzige Möglichkeit, um die Bestände vor einer Ausbreitung zu schützen, ist, den Baum zu fällen“, sagt der Förster und fährt fort: „Mit Gift im Wald zu arbeiten, wäre nur der nächste Teufelskreislauf.“
Die Monokultur der Fichten ist natürlich ebenso für die starke Ausbreitung des Käfers verantwortlich. Borkenkäfer haben eine Lieblingsspeise und das sind eben Fichten. Finden die Borkenkäfer innerhalb kurzer Zeit keinen neuen Wirt, sterben sie. Ein Fichtenwald ist daher für sie das reinste Schlaraffenland, Laubmischwälder hingegen schützen vor einer Ausbreitung.

Gerne schiebe man dabei die Schuld auf die Forstwirtschaft, so Hans. Aber wie bei vielen Dingen sind auch hier die Ursachen im Zusammenhang zu sehen, haben viele Gründe. Die idyllischen Wälder in Deutschland sind nicht natürlich gewachsen, sondern wurden im 19. Jahrhundert wieder aufgeforstet. Zu Zeiten Napoleons war Deutschland weitgehend entwaldet. Denn bis dahin war Holz der gängige Brennstoff und diente als Baumaterial. Fichte wächst schnell und unkompliziert, also hat man Fichten gepflanzt. Ähnliches passierte nach dem ersten und zweiten Weltkrieg: Reparationszahlungen wurden geliefert, ein Land sollte wieder aufgebaut werden. Man brauchte Holz, das schnell verbaut werden konnte. „Es sind Fehler aus der Not entstanden. Heute weiß man es besser“, sagt Hans.

Das heutige Modewort „nachhaltig“ kommt aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts. Es bedeutet ursprünglich, nicht mehr Holz einzuschlagen als nachwachsen kann, so dass der Wald erhalten bleibt.

„Viele Baumarten haben aufgrund der klimatischen Veränderungen keine Zukunft“, so Hans. Die Naturverjüngung sei das Beste für den Wald. Als Naturverjüngung wird in der Forstwirtschaft ein durch angeflogene oder aufgeschlagene Saat entstehender Nachwuchs-Waldbestand verstanden. Im Gegensatz dazu steht die forstliche Kultur, die den Nachwuchs-Bestand durch künstliche Saat oder Pflanzung generiert.
Die Samen bei der Naturverjüngung werden vom Wind, Vögeln, Eichhörnchen, Wildschweinen verteilt. Die klimastabilsten Waldbestände entstehen so aus natürlicher Selektion.

„Eigentlich doch ein Geschenk, was uns die Natur gibt“, sage ich zu Hans. Er lächelt müde: „Ja, schon. Doch so einfach haben es die neuen Sämlinge nicht.“ Das Hauptproblem für das Gedeihen einer Naturverjüngung sind in Deutschland die oft überhöhten Reh-, Dam- und Rotwildbestände. Die Tiere fressen die jungen Pflanzen ab. Aus diesem Grund sind Wildschutzzäune nötig, die die Rehe daran hindern. Sogenannte Weisergatter werden eingerichtet, um das Naturverjüngungspotential einer Fläche zu zeigen.

Hans zeigt mir zwei Flächen: Beide Flächen haben dieselben Licht- und Wasserbedingungen. Die eine Fläche ist mit einem Weisergatter abgezäunt, die andere nicht. In der umzäunten Fläche wächst ein wunderbares Beispiel der Naturverjüngung, hervorragend an das sich verändernde Klima angepasst. Weichlaubhölzer wie Weiden, Pappeln, Erlen gedeihen ganz ohne forstliche Kultur. „Überall, wo Licht auf den Boden kommt, wächst Wald“, sagt Hans.
Auf der anderen, nicht umzäunten Fläche hingegen wächst nichts. Nun gut, nicht ganz: Das, was dort wächst, ist kaum höher als zehn Zentimeter und wird auch nicht höher wachsen.
Woran das liegt, möchte ich wissen. „An dem Wild, das alles abfrisst“, erklärt Hans mir. Die Wildbestände seien zu hoch. Auf einer Fläche von 100 Hektar sollten sich normalerweise acht Rehe befinden, oft sind es aber zwischen 20 und 30 Tiere.

„Wir können auch nicht den halben Wald einzäunen“, fügt er an. Das sei zum einen mit erheblichen Kosten verbunden. „Für die anderen Tiere im Wald sind die Drahtzäune schädlich, können lebensbedrohlich sein“, erklärt er.

Wir fahren ein Stück weiter, immer mal wieder hält er an, zeigt mir sterbende Bäume. Unserem Wald geht es nicht gut. Von der Ferne sieht man viel grün, doch der Schein trügt. Sieht man genauer hin, entdeckt man brachliegende Flächen, Fichten mit Borkenkäfer-Befall, sterbende Buchen, austrocknende Lärchen.

Hans hält vor einem jungen Waldstück, etwa 35 Jahre seien die Bäume alt: Eichen, Linden, Ulmen, Hainbuchen, ein Mischwald. Wir gehen durch das knisternde Laub und ich sehe immer wieder Bäume, die mit einem Draht geschützt sind.
„Das Rotwild frisst die Rinden ab und zerstört so die nächste Waldgeneration“, kommentiert Hans. Ich muss mich nur umsehen und sehe die verbissenen Bäume. Die Rinde ist ein Schutz vor Pilzbefall, das haben wir schon in der Grundschule gelernt, ansonsten stirbt der Baum.
So ein Drahtschutz koste pro Bau etwa zehn Euro, pro Hektar kommen da mehrere tausend Euro zusammen, um den Wald zu schützen.

Wenn ein Wildschaden respektive Feldschaden in der Landwirtschaft entsteht, beispielsweise Wildschweine sich an der Kartoffelernte eines Landwirtes vergehen, muss der jeweilige Jagdpächter den entstandenen finanziellen Schaden beim Landwirt entrichten. Im Wald hingegen passiert nichts. Letztlich zahlt die jeweilige Gemeinde dafür.
Die Jäger, die das Reh-, Dam- und Rotwild begrenzen, werden nicht staatlich eingesetzt, sondern können in ihrem gepachteten Gebiet relativ frei agieren. Warum sie das Wild nicht ausreichend schießen, möchte ich von Hans wissen.
„Das liegt an der Trophäen-Jagd.“
„Also der Idee bei einem erhöhten Wildbestand möglichst viele Rehböcke und Hirsche mit einem großen Geweih zu haben und diese dann zu schießen?“, frage ich.
„Genau“, bestätigt Hans.

Ich finde die Vorstellung absurd, Wildbestände nicht zu regulieren für einen möglichen Zehnender an der Wand, weiß aber auch, dass sich nicht alle Jagdpächter so verhalten. Letztlich liegt es aber in der Verantwortung der Jäger, das Wild und somit einen Wildschaden zu begrenzen.

Hans jedenfalls liegt der Wald am Herzen, es gibt keinen Baum, den er in den letzten neun Jahren nicht in der Hand gehabt hat. Die Bäume sind ein wenig wie seine Familie, denke ich.
„Wir müssen in die Zukunft schauen: Die Rolle, die der Wald für uns spielt, ändert sich.“ Der Wald leiste für uns Naturschutz, Klimaschutz, Wasserschutz, Erosionsschutz. Er ist mehr als eine Einnahmequelle.

Am Ende zeigt Timo Hans mir noch einen besonderen Baum: den Taxus baccata, die gemeine Eibe. Eine Baumart, die vor dem Mittelalter noch überall in unserer Waldgesellschaft zu finden war, dann fast komplett verschwand. Der Grund: die Waffenindustrie. Die Eibe ist hochgiftig, ihr Holz hat eine außergewöhnliche Härte und Zähigkeit. Genau das richtige Material für den englischen Langbogen, der biegsam sein muss. Mittlerweile kommt die Eibe aber wieder zurück, doch nur durch forstliche Kultur.

Wir verlassen den Wald und ich muss noch einmal an das Wort „eigentlich“ denken. Kurt Tucholsky schrieb 1928: „eigentlich“ ist überhaupt kein Wort. Das ist eine Lebensauffassung.“ Die Leute Leben ihr Leben und gehen einer Aufgabe nach, aber „eigentlich“ sind sie ganz anders. Sie kommen nur nicht dazu, „bis sie eines Tages einsehen, dass dieses Provisorium alles war […] Und es ist ein schöner und gefährlicher deutscher Traum, die Realität zu ignorieren, und im Wunschland zu leben, wo es nichts kostet und wo alles glatt und hemmungsfrei zugeht. So fliehen sie – und bleiben auf derselben Stelle.“

Es gibt Dinge, die haben keine Zeit für ein „eigentlich“, wie Klimaschutz und Naturschutz.

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