Es ist das erste Mal, dass ich einen Schieferstollen betrete. Der Stollen ist mit einem massiven Eisentor versiegelt. Nicht grundlos befindet sich das Tor am Eingang des Stollens: Zu viele Menschen kamen in den Stollen, um Artefakte aus der Zeit des Bergbaus zu plündern und gefährdeten damit eine ganz besondere Fauna.
Auf dem Pfad der Bergmänner
Ein Mäusebussard schreit über uns am Himmel. Es ist ein milder Dezembertag. Wir laufen auf einem Pfad entlang, den schon die Bergmänner vor hunderten Jahren gingen. Die Natur um uns herum ist trotz ihrer winterlichen Kargheit faszinierender als jeder Freizeitpark: Verwachsene Bäume stehen wie verwunschene Wesen am Wegrand. Große Schwammpilze wachsen aus dem braunen Laub heraus und das Vogelnest eines Rotkehlchens liegt versteckt zwischen zwei Schieferplatten. Unterhalb von uns sammelt sich eine Flut von weiterem Schiefer auf einer Abraumhalde und schimmert in verschiedenen Grautönen. Wir – das sind Rolf Klenk, Wolfgang Schmidt und ich.
Ein aufgebrochenes Stahltor liegt mehrere Meter neben dem Stolleneingang.
„Vermutlich haben die Plünderer das Tor mit einem Flaschenzug oder ähnlichem aus dem Stollen gerissen“, sagt Rolf, während er das neu eingebaute Eisentor öffnet.
„Zum einen gefährden die Leute ihr Leben, wenn sie ahnungslos in einem Stollen rumlaufen. Andererseits stören sie die Fledermäuse im Winterschlaf, gehen unachtsam mit dem sich im Stollen befindenden Lebensraum um.“ Unachtsamkeit bedeutet Müll wie leere Plastikverpackungen oder alte Batterien zu hinterlassen, aber auch mit einer Fackel in den Stollen zu gehen, die die schlafenden Tiere in Panik versetzt, ihnen im schlimmsten Fall Brandverletzungen zufügt.
Untertage
Im Stollen ist die Luft feucht, kalt hingegen ist es nicht. Die Temperatur sei im Bergwerk konstant, so Wolfgang, liege zwischen acht und zehn Grad, das ist vor allem wichtig für die Tiere beim Überwintern.
Nach wenigen Metern sind wir völlig in die Dunkelheit des Bergwerks gehüllt. Ohne Taschenlampe würde ich nicht einmal meine eigene Hand erkennen und auch nicht die scharfen Schieferecken, die sich immer mal wieder an der Decke befinden.
„Immer zuerst auf den Boden sehen, dann weiterlaufen“, sagt Rolf, der vor mir entlang geht und mit seiner Taschenlampe auf die Unebenheiten, die Löcher im Weg und die schlammigen Pfützen leuchtet. Rolf Klenk kümmert sich seit fast 30 Jahren um die Fledermausarten in unserer Region. Er gehört zu einer Reihe von ehrenamtlichen Helfern, die die Tiere beobachten, Zählungen vornehmen und sich um den Artbestand kümmern.
Wir werden uns an dem Vormittag über drei Stunden Untertage befinden – das weiß ich vorher nicht. Und auch nicht, wie viele Gänge sich im rechtsrheinischen Taunus befinden.
„Dieser Teil des mittelrheinischen Gebirges ist wie ein Schweizer Käse“, sagt Wolfgang Schmidt.
Dem Sonnenlicht zu entschwinden und durch die Gänge verschiedener Stollen zu gehen, mache manchen Menschen große Angst, kommentiert Rolf. Ich kann diese Angst verstehen, schnell kann man die Orientierung verlieren: es ist stockdunkel, der Weg ist uneben, die Abbiegungen ähneln sich, die Tunnel werden enger, irgendwann scheint alles gleich zu sein, der Ausgang unauffindbar.
Doch in mir wächst eine Faszination für das, was ich Untertage entdecke: An manchen Stellen wachsen Stalaktiten von der Decke, noch fein, milchig, beinahe wie Eiszapfen und genauso schnell brechen sie. Manchmal glitzert es an der Schieferwand, das sei Mangan, kommentiert Rolf. Immer wieder tauchen helle Quarzit-Stellen auf. Man findet Teile, die vermutlich von Plünderern rausgebrochen wurden.
In einer Pfütze entdecken wir die Larven eines Feuersalamanders. Die Larven sind kleine Miniaturfeuersalamander, man erkennt schon deutlich ihr schwarz-gelbes Muster. „Jedes Muster ist einmalig“, sagt Wolfgang, „ihr Muster verändert sich im Laufe ihres Lebens nicht mehr. Es ist so einzigartig wie unser Fingerabdruck.“ Feuersalamander seien lebend gebärend, fährt Wolfgang fort, die jungen Tiere atmen über die Kiemen. Wenn man genau hinsieht, kann man die schnellen Atemzüge unter Wasser erkennen.
In dem ehemaligen Schieferbergwerk befinden sich noch viele Artefakte aus der Zeit des Bergbaus: Das Schienensystem, über das die tonnenschweren Loren geschoben wurden, versinkt mal mehr mal weniger im Schlamm. Wir entdecken ein Brett, die Zahlen von eins bis sieben mühevoll in das Holz eingearbeitet, darunter befinden sich Kleideraufhänger. Alte Eisenrohre laufen an den Wänden entlang, ihre Rostschicht erinnert an die raue Borkenschicht eines Baumstamms.
Myotis Myotis
An diesem besonderen Vormittag sehe ich sechs verschiedene Fledermausarten. Noch nie zuvor bin ich diesem besonderen Wesen so nah gewesen, konnte ihren Herzschlag sehen, ihre kleinen Füße beobachten, mit denen sich am Schiefer festhalten, ihre Ohren und ihre Nase bewundern.
„Na erkennst du, welche Fledermaus das ist?“, fragt mich Rolf Klenk, als wir zum zweiten Mal auf eine braune Fledermaus stoßen, die nicht größer ist als zehn Zentimeter.
„Eine Bartfledermaus?!“, sage ich mehr fragend als überzeugt.
„Genau“, bestätigt Rolf meine Vermutung. Sie erinnert mich an einen kleinen Maulwurf, der Zuflucht in den Felsspalten sucht. So sei sie eben auch ein typischer Spaltenüberwinterer, sagt Rolf. Diese sei noch sehr jung, der typische Bart mit seinen langen Haaren noch nicht vorhanden.
Der Bartfledermaus ähnlich ist Wasserfledermaus, die wir auch noch auf unserer Stollenwanderung antreffen. Ihre Füße sind in Relation zu ihrem Körper sehr groß.
„Du kannst dir das Verhältnis Körper und Füße so vorstellen, wie du mit diesen Gummistiefeln aussiehst“, sagt Wolfgang lachend. Ich trage an dem Vormittag Gummistiefel, die drei Größen über meiner eigentlichen Schuhgröße liegen, da ich keine eigenen besitze.
Eine andere Art, die mich an diesem Vormittag sehr begeistert, ist das Braune Langohr. Die Fledermausart hängt in einer schmalen Felsspalte. Mit ihren Armen hat sie die Ohren eingeklappt. Ihre Ohren sind fast so groß wie ihr Körper. Zu erkennen ist die Art an ihrem riesigen Tragus – dem Ohrdeckel, der beinahe so groß ist wie das Ohr anderer Arten.
Manche Fledermäuse hängen einzeln am Stolleneingang. Man muss achtsam in den Stollen gehen, nicht sofort entdeckt man sie. Vor allem aber auch achtsam sein, denn mit seinem Helm berührt man schnell eins der Tiere und macht es dadurch wach. Ab und zu hängen sie in Pärchen oder zu dritt zusammen, ganz dicht aneinander gedrängt, zu einem Felsknäuel verschmolzen.
„Im Januar und Februar finden wir dann richtige Cluster von 20 bis 30 Tieren“, sagt Rolf Klenk.
In den Clustern wärmen sie sich gegenseitig. Ihr Stoffwechsel ist dann heruntergefahren. Ihr Herz, das normalerweise bis zu 880 Mal in der Minute schlägt, reduziert seinen Herzschlag auf einen Schlag pro Minute. Die nötigen Fettreserven sammeln sie in den Monaten vor dem Winterschlaf an. So steigert beispielsweise die Wasserfledermaus ihr Gewicht von etwa sieben Gramm auf zwölf bis 13 Gramm.
Auch die Paarungszeit findet vor dem Winterschlaf statt. Im September und Anfang Oktober treffen sich die Fledermäuse in sogenannten Balzquartieren. Die Weibchen fliegen dann mit den Spermazellen, die in einer Samentasche gespeichert werden, in die Winterquartiere. Erst im Frühjahr kommt es zu einer Eizellen-Befruchtung. Irgendwie sonderbar, irgendwie toll, was sich die Natur ausgedacht hat, denke ich.
Fledermäuse seien hochsoziale Tiere, die einander helfen, erzählt Rolf Klenk. So wurde er auch schon mal gerufen, als sich einige Tiere in einer Blumenvase befanden und nicht mehr herauskamen.
„Ein Tier stürzte hinein, rief um Hilfe und irgendwann befanden sich mehrere Fledermäuse in der Vase. Sie lassen sich nicht im Stich. Das Problem ist nur, dass sich gleich mehrere Tiere in Gefahr bringen.“ In diesem Fall sei außer Goldstaub am Fell nicht viel passiert. Der Goldstaub befand sich am Boden der Vase. „Die sahen ganz putzig aus mit ihren goldenen Ohren“, so Rolf.
Die Große Hufeisenfledermaus
Eine besondere Art, die Rolf 2017 im Kreis Lahn entdeckte, ist die Große Hufeisenfledermaus. Die Nase dieser Art hat die Form eines Hufeisens. Im Gegensatz zu den meisten anderen Arten stößt sie die Ultraschall-Wellen zum Orten aus der Nase aus. Anderen Arten orten Hindernisse über einen geöffneten Mund. So kann die Hufeisenfledermaus ihre Beute im Mund behalten und gleichzeitig fliegen, während anderen Arten ihre Beute sofort verzehren müssen, da ihnen sonst der Ultraschall zur Ortung fehlt. Eine weitere Besonderheit bei der Hufeisenfledermaus sei ihre Art zu schlafen, erklärt Rolf: „Sie hüllt sich komplett in ihre Flügel ein.“ Sofort muss ich an das Klisché-Bild eines Vampirs denken.
1887 wurde diese Art das letzte Mal bei uns gesichtet. „Und nun über 120 Jahre später wieder, das ist schon etwas ganz Besonderes.“
Fördertürme und Schiefer
Der Berg arbeitet, das bedeutet, es stürzen auch immer wieder Teile des Stollens ein. Über mehrere Ebenen läuft der Stollen, viele Gänge sind zugeschüttet, zum Teil eingestürzt. In den Wänden sieht man in regelmäßigen Abständen halbrunde Bohrlöcher: Hier wurde gesprengt. Kaum vorstellbar, tagein tagaus in der Dunkelheit zu verbringen. Was heute ein Biotop für einige Tierarten ist, war bis in die 1970er Jahre der Arbeitsplatz für viele Männer aus dem Mittelrheintal. Es gab kaum andere Arbeit, außer man verließ die Heimat.
„Der Schiefer ist von einer besonders hohen Qualität“, sagt Klenk. Bis nach Amerika wurde dieser exportiert. Ehe wir das Sonnenlicht wiedersehen, laufen wir noch durch verschiedene Teile des Bergwerks: Ich sehe Räume mit riesenhohen Decken, einen Schacht, der über 30 Meter zurück ans Tageslicht führt, große Schieferhaufen, immer mal wieder Quarzit-Brocken, die aus der Wand geschlagen wurden.
Die Welt Untertage fasziniert mich, schließlich waren auch meine beiden Großväter im Ruhrgebiet Bergmänner. Die Fördertürme der Zechen gehörten schon seit Kindertagen zur Familiengeschichte wie Kohle verschmierte Gesichter auf Fotos und das typische „Glück auf!“ an der Wohnzimmerwand. Sich nun in den Stollen am Mittelrheintal umzuschauen war sehr bewegend für mich und ein tolles Ereignis in meiner Zeit als Burgenbloggerin.
Auf die Nennung des Bergwerkes verzichte ich bewusst, da die besondere Fauna weiterhin geschützt werden soll, dazu auch Bundesnaturschutzgesetz / Betretungsverbot Absatz 44. Unbefugte haben in den Bergwerken nichts verloren. Sie gefährden dadurch möglicherweise nicht nur ihr eigenes Lebens, sondern auch das der Fledermäuse.
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