Was wäre eine Burgenbloggerin, wenn sie nicht einmal eine andere Burg besuchen würde? Zu Besuch bei Katrin Gerwinat in der Burg Reichenstein.
Rote Christbaumkugeln baumeln am Tannenbaum vor dem Eingangsbereich und Lichterketten leuchten warm. Die Burg Reichenstein sieht aus wie ein Märchenschloss. Der riesige Adventskranz über dem ausladenden Kamin scheint das Bild nur abzurunden. Das Feuer brennt zwar noch nicht, aber das Gefühl von Geborgenheit und Gemütlichkeit ist sofort da. Ein wenig fühle ich mich wie in einem Walt Disney Film.
Man führt mich durch die sogenannte Remise. Doch das, was früher mal als Schuppen (Remise) bezeichnet wurde, ist heute ein feiner Saal mit Zahna-Fliesen und großen Fenstern. Die Aussicht über den Rhein und auf den gegenüberliegenden Taunus ist wunderbar. Ich habe Glück: Die Morgensonne schimmert grell und das Rheinwasser glitzert heute wie ein silberner Fluss.
Katrin Gerwinat ist eine warme und herzliche Person. Sie befindet sich gerade in Elternzeit, was sie jedoch nicht daran hindert, auf der Burg Reichenstein zu sein und mit mir zu sprechen.
Vertrauen und Mut
Die 33-jährige Hotelbetriebswirtin und ihr Mann Till wohnen in Trechtingshausen. Ihr Wohnhaus ist nur paar Minuten von der Burg entfernt. Das sei aber ganz gut so, sagt Katrin, auch wenn die Strecke bis zur Burg kurz ist, braucht sie die räumliche Distanz zum Arbeitsplatz. „Sonst kann man nie wirklich abschalten.“
Seit Januar 2015 betreiben die beiden die Burg. Jeder hat seine Rolle: Till Gerwinat als Küchenchef, Katrin Gerwinat eben als Hotelbetriebswirtin. Lambert Lensing-Wolff, der Geschäftsführer des Dortmunder Medienhaus Lensing, ist der Gesellschafter der Burg.
Er gab ihnen vor fast fünf Jahren den Burgschlüssel und sein Vertrauen.
„Wir hatten ja nichts zu verlieren. Zwei Tage später bekamen wir die Zusage“, kommentiert Katrin den schönen Moment, als sie von ihrer beruflichen Möglichkeit erfuhren. „Natürlich wundert man sich, dass man ausgerechnet als ein so junges Paar diese Chance bekommt.“ Für Lensing-Wolff sei bei seiner Entscheidung aber vor allem eins wichtig gewesen: die Vertrauensbasis. Und die habe eben bei Katrin und Till gestimmt. Obwohl die beiden zu diesem Zeitpunkt „Greenhorns“ waren, wie Katrin sagt.
Lensing-Wolff arbeite eng mit den beiden zusammen, eher im Hintergrund, kümmere sich beispielsweise um die Bauverfahren auf dem Gelände. „Wir sind dafür da, die Bude mit Leben zu füllen“, lächelt Katrin mich an.
Till kommt ursprünglich aus Siegen, Katrin aus Mönchengladbach. Ihr Start im Mittelrheintal war zunächst nicht einfach, holprig, „ein Anfang voller Schwierigkeiten“, wie Katrin sagt. In Trechtingshausen habe man sie sofort herzlich empfangen, Probleme haben ihnen hingegen das nahezu ausgestorbene Tal im Winter sowie die hiesige Infrastruktur bereitet.
„In Trechtingshausen hält nur die Mittelrheinbahn. Wenn die ausfällt, passiert nicht viel. Busse fahren selten. Einen Bäcker oder Metzger gibt es leider auch nicht vor Ort. Daran mussten wir uns erst einmal gewöhnen.“ Auch die Lokalitäten wie Restaurants und Kneipen seien im Winter oft zu, was die Kontaktaufnahme zu anderen Hoteliers oder Winzern erschwerte.
„Man braucht ein gewisses Maß an Naivität, wenn man eine Burg betreiben will“, lacht Katrin, „würde man über alle möglichen Konsequenzen und Probleme nachdenken, würde man das nicht tun.“
„Ja, aber so ist es doch generell – wenn man etwas Neues wagen will. Man darf nicht über alle möglichen Wenns nachdenken“, sage ich.
„Ja, sonst kann man auch gleich im Bett bleiben“, lacht sie.
„Eben.“
An einem Karfreitag im April 2015 ging es dann schließlich los. „Wir hatten eine Drei-Mann-Küche, sieben Mitarbeiter inklusive Till und mir.“
Gerade befinden die beiden sich in ihrer fünften Saison, mittlerweile gibt es 17 Festangestellte, 30 Mitarbeiter mit allen Aushilfen.
„Außerdem haben wir vier Burgen-Babys“, lächelt Katrin, „drei Mitarbeiterinnen und ich haben in den letzten Jahren Kinder bekommen.“
Die Burg Reichenstein ist eine tolle Event-Location, zwischen Krimi Dinner und „Krüger Rockt“ einem musikalischen Walking Act finden jede Menge Veranstaltungen statt, um die sich Katrin Gerwinat hauptsächlich kümmert.
Zu den Highlights zählen aber mit Sicherheit die 30 bis 40 Hochzeiten im Jahr. „Im Sommer findet jedes Wochenende eine Trauung statt. Meist am Freitag und am Samstag. Mittlerweile gehen aus den ersten Burgen-Ehen auch schon die ersten Burgen-Babys hervor, die dann in der Burgkappelle getauft werden.“
Für die Trauungen und die Taufe gibt es eine private Kapelle, die nach dem Heiligen St. Sebastian benannt wurde. Dieser ist Schutzpatron der Familie Puricelli, einer ehemaligen Industriefamilie aus Rheinböllen und Besitzern der Rheinböllerhütte. Nikolaus Kirsch-Puricelli prägte maßgeblich das heutige Aussehen der Burg. Lambert Lensing-Wolff führt die Tradition als Ur-Enkel der Kirsch-Puricellis quasi fort.
Am Mittelrhein zuhause
Katrin Gerwinat fühle sich am Mittelrheintal wohler als in ihrer alten Heimat. Natürlich sei Mönchengladbach immer ihr Zuhause, aber wenn sie den Blick auf den Rhein habe, sei das einfach unbeschreiblich.
„Gerne fahre ich in Rheinböllen von der Autobahn ab und dann Richtung Oberwesel oder Bacharach zum Rhein runter. Der Blickt ist einfach traumhaft. Die Symbiose aus Wasser, Wein und Rhein – wo gibt’s das schon? Ich mag diese wilde Landschaft hier.“
„Ja, das ist schon einmalig.“
„Außerdem habe ich das Gefühl, dass man die Jahreszeiten hier ganz anders erlebt, intensiver wahrnimmt.“
Besonders gefalle ihr sowie den Gästen der glühende Taunus in den Abendstunden. „Unsere Gäste sitzen dann beinahe andächtig auf der Terrasse und sehen der Sonne beim Untergehen zu. Das ganze Rheintal ist rot gefärbt.“
„Das ist mit Sicherheit ein wunderbarer Moment“, sage ich.
Katrin Gerwinat erkundigt sich auch gerne nach dem Mondzyklus, ob gerade Vollmond ist. „Da gibt es ein Gemälde von Christian Eduard Böttcher „Sommernacht am Rhein“ aus dem Jahr 1862. Das ist der pure Ausdruck der Rheinromantik.“ Auf dem Werk ist der Ausblick von Bacharach aus über den Rhein zusehen. Der Rhein öffnet sich Richtung Bingen ein wenig, wirkt weiter und der Mondschein liegt sanft auf dem Fluss.
Synergie-Effekte
Katrin und Till Gerwinat geben 70 Prozent ihres Marketing-Budgets für digitale Werbung aus. Das heißt, sie fahren Kampagnen auf Facebook, Instagram oder Google und optimieren ihre Erreichbarkeit über Suchmaschinen. Eine ständige Aktualisierung der Webseite ist ein Muss. Die Zeit bleibt eben nicht stehen und Webseiten sehen schnell veraltet aus.
Ihr Publikum sei sehr heterogen, ob jung oder alt, es komme aus ganz Deutschland.
Was mit Sicherheit auch an ihren Ideen und den Veranstaltungen liegt.
„In der Hauptsaison Einnahmen zu machen, ist kein Problem. Aber in der Nebensaison ein Plus zu erwirtschaften, ist nicht leicht.“
Trotzdem gelingt es den beiden. Warum? Sie setzen aufs Netzwerken und Synergie-Effekte. Sie arbeiten mit verschiedenen Winzern zusammen und hatten vor kurzem ein Gaming-Event in der Burg, der ihnen einen 500 Mbit/s VDSL Anschluss mit in die Burg brachte.
Vielleicht ist es genau das Richtige, denke ich, wenn man zwei jungen Menschen eine Chance und sein Vertrauen gibt. Alte Bahnen aufgebrochen, aber auch genutzt. Neues kann entstehen, ohne Altes abzulehnen.
„Unseren Gästen versuche ich, jede Burg am Mittelrheintal ans Herz zu legen. Ich sage: Fahrt raus uns seht euch das Rheintal an. Denn jede Burg hat ihren Charme und von überall sieht der Rhein anders aus.“
Katrin Gerwinat muss dann los, ihr Mini-Mann Emil müsse zum Arzt.
„Schauen Sie sich gerne noch um.“ Und das mache ich dann auch.
Ich spaziere über das Burggelände, sehe mir das Museum an, den Speisesaal mit Ahnengalerie, die Zugbrücke und das Falltor sowie das feudale Treppenhaus, in dem viele Geweihe hängen. Manche könnten von Fabelwesen sein. Eine alte Uhr steht im Flur, sie könnte aus einem Londoner Bahnhof sein. Und dann ist da noch einmal dieses Märchen-Gefühl, irgendwie ganz schön.
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