Ein Resümee: el condor pasa

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Der erste Monat ist vorbei – viel zu schnell, wie ich finde. Die Tage sind weggeflogen wie Löwenzahnsamen und statt dem Blütenstiel sind einige Fragen geblieben.
„Wie ist das so, auf einer Burg zu wohnen? Hast du Angst – besonders als Frau? Fühlst du dich da oben einsam? Und woher bekommst du eigentlich Essen?“ Die ersten drei Fragen tauchten immer wieder auf, die Vierte wurde mir nur einmal gestellt, gefiel mir aber.

Um zu erklären, wie es ist, auf einer Burg zu wohnen, wäre ein Vergleich hilfreich. Dann könnte ich sagen: „Auf einer Burg zu wohnen, ist wie bei Mondschein schwimmen zu gehen.“ Das klingt romantisch und schön. Doch erstens habe ich das noch nie gemacht, also Schwimmengehen bei Mondschein, und zweitens würde der Vergleich das Einzigartige am Burgleben schmälern. Es ist nämlich unvergleichlich.

Das klingt nun ein wenig pathetisch, doch für mich ist es das. Ich genieße die Stille, trotz Übertage-Bergwerk nebenan und vorbeiratternden Güterzügen. Sauge die Stille an manchen Tagen förmlich in mich auf. Die massiven Steine des Mauerwerks wirken auf mich beruhigend. Es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht berühre, mit den Fingern über die raue, sonnengewärmte Struktur fahre oder mich irgendwo anlehne.

Dann ist da natürlich die Natur: Die Bäume um die Burg herum und der Rheinblick. Manchmal fällt es mir schwer, nicht einfach nur an der Burgmauer zu lehnen, über die Baumwipfel auf den Fluss zu blicken und mich darin zu verlieren. Das würde ich nämlich die meiste Zeit am liebsten tun.

Wie schon gesagt, es gibt keinen Vergleich.

Angst? Nein, habe ich nicht. Natürlich knarzt es manchmal seltsam, der Wind schließt laut ein Fenster und mir wird für einen Moment mulmig. Das Mauerwerk ist jedoch nicht nur in meiner Fantasie eine Festung, sondern auch in Realität, daher erlebe ich sie als sicher.

Einsam fühle ich mich auf der Burg nicht, vielleicht alleine. Gegen das Alleinsein habe ich jedoch nichts einzuwenden.
Oft schwingt in der Frage aber etwas Negatives mit. Als sei die Abwesenheit von anderen Menschen ungewöhnlich, von der Norm abweichend, irgendwie irritierend. Für mich ist das Alleinsein ein Zurückziehen der Sinne. Und da sind wir wieder bei der Stille. Es ist nicht nur die Abwesenheit von Geräuschen und Menschen, sondern auch von dem, was uns im Alltag ablenkt.

Ich mag die Kargheit und rudimentäre Einrichtung meines Burgzimmers, die Einfachheit. Zwar habe ich meinen Laptop mit dabei, kann also von der Burg per Mausklick in die Welt, doch wenn ich ihn zuklappe, bin da nur ich.

Das ist nicht immer einfach, ganz im Gegenteil: Manchmal muss man auch lernen, Stille auszuhalten. Ohne sich zu zerstreuen, einfach beobachten, was kommt. Und natürlich macht das nicht immer Spaß. Aber es bringt mich mehr zu mir selbst. Wenn es mir dann doch zu viel wird, gehe ich spazieren, fahre raus und hoffe darauf, Menschen zu begegnen.

Und da sind wir bei den Begegnungen: Eben diese Begegnungen haben die letzten vier Wochen für mich zu einer wundersamen und guten Zeit gemacht. Wenn man einen fremden Menschen anspricht, weiß man vorher nicht, wie er reagieren wird. Ganz zu schweigen davon, dass man sich selbst erst überwinden muss, ihn anzusprechen. Was wird er erzählen? Ist das Gespräch überfordernd? Ist es irritierend? Wo bewege ich mich im Raum zwischen gebetener Distanz und erlaubtem Fragen? Für mich ist es oft ein Reisen ohne Fahrplan, habe ich doch selbst keine Erwartungshaltung, möchte nur Zuhörerin sein, alles andere passiert oder eben nicht.

Die Gespräche, die ich bisher hatte, waren alle von einer Offenheit und Direktheit geprägt. Mir wurden Türen geöffnet, die ich nicht erwartet habe. Vielleicht könnte das der gesuchte Unterschied zum Leben in einer Großstadt sein: Da ist eine gegenseitige Neugierde, die Begegnungen werden auf der Basis einer besonderen Intimität zugelassen. Das Interesse am anderen Menschen ist da, am Fremden, der da kommt und den Raum betritt. Aber das ist erstmal nur meine Beobachtung, ich werde sehen, was noch kommt.

Zuletzt ist da noch der Bezug zur Heimat, zu dem ich oft gefragt werde. Ich finde das Wort „Heimat“ schwer fassbar, wie eine Hülle, die ich befüllen soll, bin ich mir aber unsicher, mit welchem Inhalt.

Vielleicht hilft diese Erinnerung weiter:

Als ich 15 oder 16 Jahre alt gewesen bin, war eine der ersten CDs von meinen Eltern, die als Dauerleihgabe in meinem Regal verschwand, Simon & Garfunkels „The Concert In Central Park“ von 1982. Ich hörte das Album rauf und runter, quasi in Endlosschleife. In der Musik lag irgendwas verborgen, was mich zu verstehen schien, etwas Tiefes und Großes. Ich lag damals oft mit meinen Freunden auf einer Wiese und die Welt gehörte uns.

Mit Musik erlebt man die tiefsten Flashbacks – Rückblenden, wie ich finde. Als ich „el condor pasa“ in der letzten Wochen hörte, das nicht auf dem Album ist – jedoch den typischen Simon & Garfunkel-Sound besitzt, hatte ich dieses tiefe Gefühl von „zu Hause sein“ und das trockene Gras von damals pikste in meinen Rücken.

Ach ja und Essen, respektive Lebensmittel, kaufe ich natürlich im Supermarkt.

„el condor pasa – Simon & Garfunkel

I’d rather be a sparrow than a snail
Yes I would, if I could, I surely would
I’d rather be a hammer than a nail
Yes I would, if I only could, I surely would

Away, I’d rather sail away
Like a swan that’s here and gone
A man gets tied up to the ground
He gives the world its saddest sound
Its saddest sound

I’d rather be a forest than a street
Yes I would, if I could, I surely would
I’d rather feel the earth beneath my feet
Yes I would, if I only could, I surely would“

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