Ein Koblenzer Mädchen und die Liebe zum Theater

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„Normalerweise treffe ich mich nicht mit jedem, aber du klangst schon am Telefon nett“, sagt Arina Horre mir während unseres Gesprächs in der Koblenzer Schauspielschule S/KO und ich muss lächeln. Denn auch ich dachte bei unserem Telefonat, dass die Frau auf der anderen Seite des Hörers sehr sympathisch klingt.

Die gebürtige Koblenzerin Arina Horre leitet seit drei Jahren die Schauspiel-Schule S/KO. Eigentlich sei Lehre nie für sie in Frage gekommen und eigentlich wollte sie auch nie in Koblenz bleiben. „Eigentlich“, sagt sie. Seit Januar 2019 befindet sich nun ihre Schauspielschule am Kapuzinerplatz im Ortsteil Ehrenbreitstein.
„Im August 2018 haben wir mit der Einrichtung der Räumlichkeiten und den Umbaumaßnahmen begonnen.“ In dem historischen Gebäude befand sich schon vorher ein Theater.
„Hätten wir allerdings gewusst, wie viel zusätzlicher Papierkram sowie Sicherheitsbauten hinzukommen, da wir eine Schule sind, wären wir wahrscheinlich nicht hier hingezogen.“
Dabei ist der Ort genau das Richtige für die angehenden Schauspielerinnen und Schauspieler: Es ist ein Theater mit einer kleinen Bühne, im Saal haben etwa 90 Gäste Platz, im Außenbereich gibt es eine Freilichtbühne, die im Sommer bespielt werden kann. „Ich sehe hier ein irres Potenzial, ob für Kleinkunst, Schauspiel, Klangkonzerte, Lesungen. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, uns auszuprobieren und zu gestalten.“ Und für die Studierenden ist das natürlich der perfekte Nährboden, sie können sofort Bühnenerfahrung sammeln.
„Im Elfenbeinturm sitzen, um alleine vor sich hin zu üben, ist vielleicht am Anfang ganz gut“, sage ich, „aber wenn man dann nach drei Jahren feststellt, dass es da ja noch ein Publikum gibt, ist es für manch einen schon zu spät.“
„Genau – uns ist die praktische Erfahrung sehr wichtig“, sagt Arina.

In Mainz studierte Arina Theaterwissenschaften, Literatur und Komparatistik. Nach Koblenz zurückzukehren, war eigentlich nicht ihr Plan. Doch die Geburt ihrer ersten Tochter und der Kontakt zu ihrem Elternhaus ließen sie bleiben, respektive nie ganz weggehen. Sie bewegte sich eine Zeit lang an verschiedenen Bühnen: Sie machte eine Hospitanz im Theater Koblenz, in Trier war sie in der Regieassistenz tätig und arbeitete an der Städtischen Bühne Lahnstein.
„Ich war immer in der freien Theater-Szene unterwegs. Die guten Leute gehen jedoch alle. Koblenz ist eher ein Startpunkt, von dem man aus in die Welt geht. Was andererseits schade ist, aber das so ist das eben.“
In die Schauspielschule ist sie nach und nach reingewachsen. Zuerst war sie externe Lehrende, dann feste Theaterpädagogin und schließlich übernahm sie vor drei Jahren die Schulleitung.
„Lehre lag mir immer fern. Ganz ehrlich: Dass ich mal zum Unterrichten komme, hätte ich nicht gedacht.“
„Durch das Lehren lernt man selbst noch einmal eine Menge, oder?“, frage ich.
„Ja. Gerade, wenn man nicht immer den gleichen Unterricht macht, mit den Themen variiert, mit der Zeit gehen will und sich auf die individuellen Bedürfnisse der Studierende einstellen möchte.“
Die individuellen Bedürfnisse, das familiäre Miteinander und eine persönliche Betreuung stehen an der Schauspielschule S/KO im Fokus. Es gibt selten mehr als 17 Studierende an der privaten, aber staatlich anerkannten Institution.
„Bei 30 Leuten können wir uns nicht mehr auf den Einzelnen fokussieren, ihn optimal fördern“, doch das sei ihr gerade wichtig: der Fokus auf den Einzelnen. Sonst sitze man am Ende mit einer Stopp-Uhr da.

Tanz, Theater und Gesang

Die Ausbildung an der Koblenzer Schauspielschule basiert auf drei Säulen: Tanz, Theater und Gesang. Es gibt beispielsweise Stimm- und Sprechtraining, Tanzstunden, aber auch theoretische Fächer wie Theaterwissenschaften.
„Für einen Schauspieler ist es nur von Vorteil, wenn er sich auch in den einzelnen Epochen des Theaters auskennt und mitreden kann. Steigt ein Regisseur tiefer ein, ist der Schauspieler nicht unwissend, sondern kann im Optimalfall mitdiskutieren.“
Ein Kernmethode im Schauspielunterricht ist bei S/KO das „Method Acting“. Hierbei geht der Schauspieler über Entspannungs- und Erinnerungsübungen in erlebte Ereignisse zurück, kann so komplexe Gefühle durchleben und diese für den Bühnencharakter nutzen. Der Schauspieler wird in dem Moment zur dargestellten Person, verschmilzt mit ihr. Daniel Day-Lewis oder Heath Ledger werden gerne als Paradebeispiele genannt, wenn es ums „Method Acting“ geht. Sie scheinen ihre eigene Person für die Rolle aufzugeben und ganz zum dargestellten Charakter zu werden. So schuf Heath Ledger in „The Dark Knight“ einen ganz neuen Joker. Er sperrte sich vorher in ein Hotelzimmer ein, erfand das irre Lachen des Jokers neu, machte eine Vielzahl von Notizen, schrieb Tagebücher, übte neue Körperhaltungen ein, kreierte die Mikro-Bewegungen des Jokers. Den Oskar bekam er leider erst posthum für diese Rolle verliehen.

Singen und Tanzen gehört zum Schauspiel

„Vielen Bewerbern ist es nicht klar, dass sie auch singen und tanzen müssen“, sieht Arina mich an.
„Mir wurden diese Fertig- und Fähigkeiten eines Schauspielers auch erst so wirklich bewusst, als ich „La La Land“ gesehen habe. Da dachte ich: Wahnsinn – Emma Stone und Ryan Gosling sind super Sänger beziehungsweise Tänzer.“
Arina lacht: „Genau und die Mehrzahl der Stücke, die man am Anfang spielt, sind oft die in denen Gesang oder Tanz enthalten sind. Das heißt, man muss darauf vorbereitet sein.“
Zweimal im Jahr findet eine Aufnahmeprüfung statt. Zwei bis drei Bewerber werden in der Regel genommen, manchmal auch vier. „Es gibt auch einige, die abbrechen, weil das Programm einfach zu hart ist. Daher bieten wir vorab immer die Möglichkeit zum Praktikum an.“

Ein Koblenzer-Mädchen

Arina ist ein besonderer Mensch, eine Künstlerin. Das erkennt man auch an ihrem Äußeren: türkis gefärbte, lange Haare, bunte Tätowierungen, eine Latzhose und ein T-Shirt mit Katzenköpfen. Jemand, den man eher in Berlin oder Köln erwarten würde – nicht in Koblenz.
„Mir gefällt der Mix aus morbiden und märchenhaften Zeichnungen“, sagt sie, als ich mir ihre Tätowierungen ansehe. Auf ihrer rechten Hand blickt mich die Grinse-Katze aus „Alice im Wunderland“ frech an. Auf ihrem linken Bein befindet sich ein riesiger Totenkopfschädel: bunt, mexikanisch, mit Blumen verziert.
„El día de los muertos“, sage ich. Das ist der „Tag der Toten“, einer der wichtigsten mexikanischen Feiertage, man verkleidet sich, malt sich einen Totenkopfschädel ins Gesicht, steckt sich Blumen ins Haar.
In Koblenz habe sie es nicht immer einfach mit ihrem Aussehen, sagt Arina, „tätowierte Drecksau“, nannte man sie, als sie mit Inline-Skates bei Tal Total mitfuhr.
„Teilweise sind die Leute hier schon sehr spießig.“ Dabei ist es ihre Haut, ihr Äußeres. Die bunten Motive verschmelzen an manchen Stellen zu einem Gesamtkunstwerk. Wie viele Tätowierungen sie habe, das wisse sie nicht. Auch die Bedeutung verliere sich nach und nach.
„Die erste Tätowierung ist bei den meisten Menschen immer mit einer unheimlichen Bedeutung aufgeladen. Nach einer gewissen Anzahl an Tattoos geht es dann mehr um Ästhetik, einfach ums Gefallen an einem Motiv.“
An schlechten Tagen ist so eine Anfeindung natürlich verletzlich, treffe sie ins Mark, an guten Tagen stecke sie fiese Kommentare eher weg. „Mittlerweile nutze ich bei öffentlichen Auftritten auch mein auffallendes Erscheinungsbild oder übertreibe sogar noch mit einem Rehgeweih oder einer Rabenmaske. Die Presse sucht ja immer nach solchen Motiven. Und das kann ich für unsere Schule und das Haus nutzen.“

Arina ist kein Small-Talk-Typ, was in der Szene oft dazu gehöre. Ich kann sie gut verstehen, rauben solche Gespräche oft mehr Energie, als sie einem welche bringen. Aber es gehört dazu, sonst gelte man als schüchtern oder zu still.
„Vor einem Auftritt gehe ich am liebsten spazieren, kehre in mich, sammle mich, bin hinter der Bühne bei den Schauspielern. Nach einem Auftritt gehe ich dann natürlich unter die Leute. Aber das ist nicht immer das, was von einem erwartet wird.“
„Letztendlich sollte man nur das tun, was auch zu einem passt, oder? Authentisch sein.“
„Eins meiner liebsten Themen: immer authentisch sein“, sagt sie.

Neben der Schauspielschulleitung schreibt Arina – Lyrik und Prosatexte am liebsten für sich. „Theaterstücke habe ich auch schon geschrieben. Eins über Mobbing, eine Märchen-Parodie und früher Theaterkritiken. Langweilig würde mir nie werden. Ich kann jeden Moment nutzen. Manchmal frage ich mich, wie ich das überhaupt alles schaffe und dabei immer noch Ideen habe.“
„Ich habe das Gefühl, solche Prozesse verlaufen oft wie Sinus-Kurven. Alles passiert gleichzeitig und es läuft. Und nach so einem großen Arbeitsprozess kommt erstmal nichts.“
„Ja, da ist dann einfach eine Leere, man könnte es fast schon eine depressive Phase nennen.“
„Man fühlt sich wie leer gesaugt und die vermeintlich freie Zeit, auf die man sich vorher gefreut hat, wird zu Qual. Aber vielleicht braucht man genau das.“
„Ja, vielleicht“, sagt Arina, „fühlt sich nur mies an. Doch man nimmt etwas daraus mit – für seine neuen Projekte.“
„Genau.“

Sie müsse jetzt los, „Zeit ist rar. Wenn du Lust hast, komm doch mal zu einem Stück.“
„Gerne.“, sage ich und sehe ihr noch einen Moment nach.

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