„Bitte nennen Sie mich auf keinen Fall Puppenmama“, sagt Eleonore ernst.
„Das finde ich schrecklich und beschreibt keinesfalls das, was ich tue, oder wer ich bin.“ Puppenmama klinge nach Vermenschlichung von Puppen. Und Puppen zu vermenschlichen, findet Eleonore grauenvoll. Zugegeben, ich auch.
„Doktorin?“ Ja, vielleicht, aber müsse man dem überhaupt einen Namen, eine Kategorie geben? Sie sieht mich schulterzuckend an. Nun ja, eigentlich nicht – Menschen neigen eben dazu, Dinge einzuordnen und zu benennen. Schubladen für den Alltag zu bauen, das macht das Leben einfacher, besser aber nicht unbedingt. Also lass ich es.
Seit 30 Jahren mache sie das nun schon: Puppen reparieren. Angefangen habe sie mit ihrer eigenen Puppe und nach und nach sind immer mehr hinzugekommen. Der Beruf hat sie quasi gefunden, nicht umgekehrt. Das ist schön, denke ich, kann man sich doch im Suchen nach der richtigen Profession auch leicht verlieren.
Über 3.000 Puppen, Bären und Spielzeug aus den verschiedenen Epochen hat Eleonore in ihrem Puppenmuseum in der St. Goarer Sonnengasse mühevoll archiviert und dokumentiert. Neben dieser besonderen Sammlung repariert und restauriert sie Puppen.
Ihre Arbeit zu beschreiben, sei schwierig, jeder Fall sei anders. Natürlich könne man sagen: Rumpf bauen, Gliedmaßen dran setzen, Kleidchen anziehen und fertig. Aber das sei es nicht, das werde ihrer Tätigkeit nicht gerecht. Jede Puppe bedürfe einer besonderen Behandlung, habe ihre eigene Geschichte, sei individuell wie der Mensch, der sie bringe.
Eleonore erinnert sich beispielsweise an das Kind, dessen Puppe schnell geflickt werden musste, denn ohne Puppe konnte das Kind nicht einschlafen. Oder an den älteren Menschen, der eine Puppe aus Kindheitstagen, vielleicht sogar aus der Kriegszeit, restauriert haben wollte. Letztlich ginge es darum, den Einzelnen glücklich zu machen, dem Menschen zu begegnen und ihm was mitzugeben. Das sei ihre Arbeit.
Die Konsumkultur habe sich verändert, sagt Eleonore. Früher habe man eine Puppe bekommen, im nächsten Jahr das passende Kleid, dann irgendwann ein Puppenhaus. Heute stünden die Kinderzimmer voll mit zu vielen Dingen, man verliere die Orientierung und den besonderen Bezug.
Hinter der Kasse ist sie die leise Beobachterin und wundert sich über das ziellose Kaufen mancher Eltern. Viele hören gar nicht hin, was ihre Kinder möchten. Manchmal kaufen die Eltern sich ihre eigenen Wünsche.
Sie berichtet mir von einem Mädchen, das ein Geschirrtuch für ihre Puppe haben wollte. Das stieß jedoch auf Missfallen der Mutter. Denn die verstand nicht, was ein Kind mit einem einfachen Geschirrtuch will, gibt es doch so viele andere, vermeintlich bessere Sachen zu kaufen.
„Das Mädchen hatte sich bewusst das Tuch ausgesucht“, so Eleonore. Man müsse die Kinder nur beobachten, dann sehe man, wann die Augen anfangen zu glitzern.
Sie erinnert sich auch an einen Jungen, der seine Eltern fragte, was ein Holzkreisel sei. Die Antwort lautete: „Dafür bist du schon zu alt.“ Danach hatte er nicht einmal mehr nachgefragt, seine Schultern gingen runter. Traurig und schade, denke ich. Das erstickt die Neugier. Eine der wunderbarsten Eigenschaften in uns – rausgehen, fragen, entdecken.
Natürlich seien nicht alle Eltern so, aber die Zeit sei anders und ebenso die Ansprüche an die kleinen Menschen.
„Lass sie die ersten acht Jahre doch einfach frei sein. Danach werden sie noch genug geprägt“, sagt Eleonore nachdenklich.
Das Museum selbst hat Eleonore mühevoll gestaltet. Zu den verschiedenen Puppenmodellen hängen Geschichten und Gedanken an den Schaufenstern. Zu jedem Raum gibt es eine Liste, auf der die einzelnen Puppen, Spielzeuge oder Bären dokumentiert sind. Die Räume wirken bewusst in Szene gesetzt. Man muss sich Zeit nehmen, um die Vielfalt zu erfassen.
Ich hingegen verliere mich zu schnell in meiner Fantasie. Sehe in diese schönen, aber leblosen Erscheinungen, der Boden knarzt, mein Spiegelbild legt sich zwischen die Puppenaugen. Im Hintergrund läuft leise Musik. Es dauert nicht lange und ich höre ein hohes Kichern, sehe den Wimpernschlag in einem der weißen Gesichter und einen Kopf, der sich zur Seite neigt. Ein wenig gruselt mich das und ich wünsche mir meine staunenden Kinderaugen zurück.
Doch das Gruselige liegt gar nicht so fern, wie mir Eleonore später erzählt. Es gebe dieses Phänomen der „Reborns“ – Puppen, die so realistisch aussehen wie Babys. Und dann gäbe es Menschen, für die sie das auch sind – echte Kinder.
Später gebe ich den Begriff „reborns“ in Google ein, finde allerhand kurioses Zeug, schließe die einzelnen Tabs dann doch schnell wieder. Und merke, wie das Wort Puppenmama noch einmal einen ganz anderen Beigeschmack bekommt. Da kann ich sehr gut verstehen, warum Eleonore nicht „Puppenmama“ genannt werden will.
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