Bushaltestellen-Romantik 2.0, Langeweile und Zurückkehren, wo der Fluss die schlechte Laune mitnimmt

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Vor kurzem saß ich in einer Bushaltestelle, der Grund selbsterklärend: Ich wollte einen Bus nehmen. Das Burgenblogger-Auto befand sich in der Werkstatt und ich musste zu dieser gelangen.
Als ich da also in der Bushaltestelle saß, erinnerte ich mich daran, wie viele Nachmittage, Abende, manchmal ganze Tage wir als Jugendliche in unserer Dorf-Bushaltestelle verbrachten. Sie war unser Safe Space, unser Treffpunkt, unser Raum – eben unser „place to be“.

Ich rief eine Freundin an und erzählte ihr davon.
„In der Bushaltestelle?“
„Ja, nicht gerade der schönste Ort – schon klar. Doch was anderes hatten wir nicht. Auf dem Spielplatz saßen die Muttis mit ihren Kindern. Und sonst gab es nur noch den Sportplatz. Das Bushaltestellenhäuschen aus Stein war damals das urbanste, was mein 500-Seelendorf zu bieten hatte.“ Sie erlaubte uns ungestört Musik zu hören, einfach rumzuhängen, wenn die Eltern nervten. Dort spielten wir „Wahrheit oder Pflicht“ und erzählten uns den hundertsten Chuck-Norris-Witz.
Sie musste lachen und sagte:
„Bei uns war es das Einkaufszentrum. Ob das besser ist, weiß ich allerdings auch nicht.“
Ich muss dazu sagen: Die Bushaltestelle in meinem Heimatort ist keine kleine Plastikhütte, sondern ein rotes Backsteingebäude mit Holzbänken darin. Drumherum gibt es einen kleinen Platz mit Bäumen und Blumenbeeten – eigentlich ganz nett.

Die Frage, wie es wohl den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Mittelrheintal gehe, lag damit auf der Hand.
„Und wie willst du das machen? Willst du die einfach ansprechen?“, sagte die Freundin, als würden wir von einer anderen Spezies reden.
„Wieso nicht?!“, fragte ich. Und sie gab mir zu bedenken, wie speziell dieses Alter sei, fand man doch damals alle außerhalb seiner Peer-Group ätzend und sich selbst oft auch.
„Ich probiere es jedenfalls“, erweiterte ich meine Antwort und machte mich auf den Weg.

Ali: Der Fluss nimmt die schlechte Laune mit.

In Boppard treffe ich Ali. Er ist zwanzig Jahre alt und arbeitet in einem Café. Boppard sei langweilig, findet Ali. Vor einem Jahr ist er mit der Schule fertig geworden, seitdem jobbt er. Wenn Ali spricht, blickt er mich nachdenklich an. Wenn es seine Familie nicht gebe, würde er wohl auch nicht in Boppard wohnen bleiben, denn diese bedeute ihm sehr viel.
„Und möchtest du in eine Stadt gehen?“
„Auch nicht wirklich. Da geht man irgendwie verloren.“
„Unentschlossen?“, frage ich. Er zuckt mit den Schultern.
Nach der Arbeit fahre er oft nach Koblenz, sagt er, um ins Kino zu gehen, sich mit Freunden zu treffen oder auszugehen.
„Und was gefällt dir an Boppard?“
„Der Rhein, dorthin gehe ich um zu entspannen. Wenn ich richtig gestresst bin, gehe ich an den Fluss und der nimmt meine schlechte Laune mit.“ Das habe er auch bei anderen Leuten beobachtet und das finde er schön.
Ansonsten gebe es in Boppard auch einige verlorene Jugendliche: „Die liegen schon mit fünfzehn Jahren betrunken am Bahnhof rum.“ Aber so sei das eben, auch hier gebe es keine heile Welt, schließt Ali ab.

Zurückkehren steht für Veda fest

Veda ist zwanzig Jahre alt, kommt aus Oberwesel, studiert gerade in Düsseldorf Biologie und weiß jetzt schon, dass sie zurückkommen möchte. Ihre blonden Haare hat sie zu einem Dutt zusammengebunden und ihre Augen leuchten begeistert, wenn sie von ihrer Heimat spricht.
„Warum willst du zurückkommen?“, frage ich.
„Ich finde es hier toll ist. Man kennt sich und die Gemeinschaft im Ort ist unvergleichbar“, lächelt sie.
„Letztens habe ich über zwei Stunden in Koblenz nach einem Kleidungsstück gesucht, gefunden habe ich es in Oberwesel.“ Auch ihre Handtasche habe sie aus einem hiesigen Secondhand-Laden.
„Man muss nicht immer weit weg fahren oder online bestellen“, sagt sie stolz.
Während ich mit Veda spreche, steht ihr Freund skeptisch daneben. Wirklich überzeugt, so scheint es, ist er noch nicht von der Idee, nach Oberwesel zu ziehen.
„Das wird dir gefallen“, sagt sie überzeugend.
Für ihn gehe es wahrscheinlich auch erstmal Richtung Düsseldorf. Doch Lust habe er da nicht zu, die Natur werde er vermissen und teuer sei es in der Stadt leider auch.
„Wenn du junge Leute treffen willst“, schaut mich Veda an, „versuch’s mal im Rewe. Da sind sie jetzt und kaufen sich Getränke.“

Auf dem Parkplatz der Realschule

Auf dem Weg zum Rewe treffe ich tatsächlich Noah (18), Jonas (16) und Samson (15). Sie wollen sich gerade Bier kaufen, um anschließend auf eine Party zu fahren. Oberwesel sei in Ordnung, sagen sie, doch was nerve, ist, dass man ihnen jetzt auch ihre Plätze zum Rumhängen nehme.
„Da sind wir selbst dran schuld“, grinst Noah verlegen.
„Wieso?“
„Na, wir räumen sie auch nicht immer gleich auf“, sagt er.
Auf dem Multifunktionsplatz am Rhein habe man sich über ihre Musik beschwert. Und auf dem Parkplatz der Realschule sind sie auch nicht gerne gesehen.

Auf der anderen Seite braucht man als Jugendlicher auch Orte, an denen Erwachsene nicht sind, und ich muss wieder an unsere Bushaltestelle denken. Aufgeräumt haben wir diese mit Sicherheit auch nicht immer. Den Ärger darüber kann ich natürlich verstehen. Doch ein bisschen vermeintliche Rebellion muss sein, finde ich.

Den Tag schließe ich auf der Kirmes in Niederheimbach ab. Die Sonne geht gerade unter, neben der Papperlapapp-Kneipe gibt es Hamburger, zwei Karussells drehen sich im Kreis und an der Schießbude werden Plastikrosen verteilt. Die kleine Ortsstraße ist voller Menschen, aus mindestens drei Richtungen kommt Musik und in der Mitte steht ein Pavillon, vor dem sich eine Traube 16- bis 20- Jähriger sammelt, einfach zusammensteht, Bier trinkt. Was man eben in diesem Alter tut.

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