Dieser Mann ist quasi mein Chef, Vermieter und Kollege in einem. Und er ist Häuptling aller Burgen im Mittelrheintal. Walter Schumacher ist der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär und Welterbe-Beauftragte. Er mag guten Wein und gute Witze und hat mich auf der Burg Sooneck besucht. Ein erstaunlich offenes Gespräch über Kultur als Klammer, Zäune um Orte und sein letztes Muse-Konzert.
Burgenbloggerin: Herr Schumacher, Sie sind ein gelernter Journalist, der später in die Politik ging. Finden Sie das nicht auch irre, dass eine Landesregierung Geld dafür ausgibt, dass ich als Bloggerin hier auf einer Burg sitze und etwas über die Gegend schreiben soll?
Walter Schumacher: Das Mittelrheintal ist froh – ich glaube, wir alle sind froh – dass hier jetzt eine 27-Jährige Frau zuzieht. Das wünscht man sich hier in jedem Ort, dass mehr junge Leute herziehen. Ich sehe Ihre Aufgabe in der Tradition der Stadtschreiber begründet. So etwas gibt es auch in Mainz oder in der Pfalz mit dem Deidesheimer Turmschreiber.
Burgenbloggerin: Sie sind für mich der personifizierter Mister Weltkulturerbe. Ihr offizieller Titel ist ja „Welterbe-Beauftragter“. Wie kommt das eigentlich, dass der Welt hier in dieser Gegend angeblich so viel Wichtiges vererbt wurde?
Schumacher: Das Land, das seit 1946 Rheinland-Pfalz heißt, ist ein Urland der deutschen und europäischen Geschichte. Da waren die Kelten, da waren die Römer, im Mittelalter war Mainz die Hauptstadt. Diese Geschichte ist das Einzige, was die vielen unterschiedlichen Teile des Landes verbindet. Ansonsten haben wir hier ein Stückchen Westerwald, ein Stück Taunus, ein Stück Eifel, ein Stück Mittelrhein, Rheinhessen. Das alles zusammen heißt jetzt Rheinland-Pfalz. Die Kultur ist unsere Klammer. Sie können eigentlich fast überall im Land anfangen zu graben und entdecken mindestens einen Knochen.
Burgenbloggerin: Ha, hier nebenan im Steinbruch wird auch immer gegraben! Aber wenn wir jetzt übers Mittelrheintal reden, dann höre ich immer wieder drei Themen: Bahnlärm, Brückenbau und Windräder. Das sind alles so Schlechte-Laune-Themen. Haben Sie nicht mal was anderes, was das Mittelrheintal ausmacht?
Schumacher: Hach, sie sprechen mir aus dem Herzen! Ich versuche auch immer wieder den Leuten zu sagen, dass Jammern uns nicht vorwärts bringt. Ein Beispiel: Der Bundespräsident Joachim Gauck war vor drei Jahren hier, er hatte sich gewünscht mit dem Schiff von Bingen nach Boppard zu fahren. Als er ans Ufer kam, standen dort überall protestierende Menschen mit Spruchbändern gegen den Bahnlärm. Ich verstehe ja, dass der Lärm unangenehm ist, aber kann man bei der Gelegenheit nicht einfach mal sagen, wie schön es hier ist? Der Bundespräsident kann denen eh nicht helfen. Man hätte eine Chance gehabt, die Schönheit ins Licht zu rücken. Und stattdessen war es dann der Protest. Das ist schade, dass sich das so verengt.
Burgenbloggerin: Verstehen Sie die Leute denn?
Schumacher: Ja, natürlich! Aber es ist doch so: Im Mittelrheintal gibt es schon immer Durchgangsverkehr. Ein Grund, weshalb es Weltkulturerbe geworden ist, war auch, dass es einer der ältesten Verkehrswege Europas ist. Hier sind damals die ersten Eisenbahnen gefahren. Hotels haben damit geworben, dass sie nah an den Schienen liegen. Damals war das Werbung, jetzt ist es Belastung. Ich will das Thema jetzt nicht kleinreden. Aber da ist ja jetzt auch einiges im Gang, Flüsterbremsen und so weiter. Aber auf Null wird der Lärm nie runtergehen.
Dieses schöne Video hat Jennifer de Luca, die Video-Reporterin der Rhein-Zeitung über den Medienrummel zum Besuch des Staatssekretärs gedreht:
Burgenbloggerin: Wie ticken die Menschen hier im Mittelrheintal?
Schumacher: Sie sind sehr lokalpatriotisch – wenn man es positiv ausdrücken will. Hier leben 170.000 Menschen, fast so viele wie in einer kleinen Großstadt – nur ohne Gemeinschaftsgefühl. Die Region ist in lauter kleine Dörfer aufgeteilt. Jeder Ort hat sein eigenes lokales Verkehrsbüro. Und wenn Sie als Radtourist in Ort X anrufen und alle Zimmer sind ausgebucht, dann sagt Ihnen da keiner: „Fahren Sie doch mal in den Ort Y, da gibt es noch freie Zimmer“. Das ist schade. Jeder brödelt da so vor sich hin. Man hat hier noch Zäune um die Orte rum.
Burgenbloggerin: Warum ist das Mittelrheintal denn so verschlafen?
Schumacher: Vielleicht hat man sich zu lange ausgeruht, auf dem, was war. Und es lief ja auch lange gut: Die Kegelclubs kamen, die Omnibusse mit den Vereinen, die Wochenendtouristen. Dass man auch mal etwas renovieren muss, das hat sich hier erst verspätet durchgesetzt. Die Unesco hat das Tal anerkannt, wie es ist. Das heißt aber nicht, dass jeder siffige Campingplatz gleich Weltkulturerbe ist. Auch die Loreley ist ja dafür, dass das ein weltberühmter Platz ist, relativ versifft…
Burgenbloggerin: Ich fand’s total fad da oben…
Schumacher: Ja, wir haben da gerade einen Architektenwettbewerb gehabt. Das lag lange brach da oben. Dieses Areal gehört zu einer Verbandsgemeinde, die nicht an der Spitze des Fortschritts ist. Die haben sich ein bisschen schwer getan.
Burgenbloggerin: Wann waren Sie das letzte Mal oben auf der Loreley?
Schumacher: Das war letztes Jahr. Da war ich zu einigen Open-Air-Konzerten da. Zum Musikhören sollten Sie auch mal unbedingt hin! Die Berliner Philharmoniker waren da. Und Muse hat ein Konzert gespielt, was war eine großartige Geschichte. Wenn Sie da oben sitzen und die Sonne geht unter: Sie heulen, so schön ist das!
Burgenbloggerin: Okay, Sie sind Vorsitzender der Stiftung „Deutsches Kabarettarchiv“. Erzählen Sie mir zum Schluss mal einen Witz übers Mittelrheintal.
Schumacher: Es gab einen ganz berühmten Kabarettisten, der aus Koblenz stammt. Das war Jürgen von Manger, der ist für Sie wahrscheinlich historisch. Aber auch Anke Engelke hat in Koblenz gelebt…
Burgenbloggerin: Ich wollte aber einen Witz hören. Worüber lachen die Leute denn hier im Mittelrheintal?
Schumacher: Hoffentlich auch öfters mal über sich.
9 Kommentare
Ich hätte da einen Witz für Herrn Schumacher: warum putzen sich die Leute vom Mittelrhein immer gut die Zähne? – weil es für Mittelrheiner keine Brücken gibt.
Mich würde doch mal interessieren, wie Herr Schumacher auf 170.000 Einwohner für das Mittelrheintal kommt.
Liebe Eva,
auch hier ist die Rede von 170.000 Einwohnern: „Das Gebiet des Welterbes Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal umfasst eine Fläche von ca. 620 km², wobei die Kernzone ca. 273 km² einnimmt. Rund 60 Städte und Gemeinden befinden sich hier mit einer Einwohnerzahl von etwa 170.000 Menschen.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Welterbe_Kulturlandschaft_Oberes_Mittelrheintal
Hegst du Zweifel?
Herzliche Grüße,
Jessica Burgenblogger Schober
Ja, große. Ich habe eben mal recherchiert: die Vgs Rhein-Nahe, Oberwesel-St. Goar, Bad Salzig, die Stadt Boppard, Vg Rhein-Mosel, Vg Loreley, Stadt Lorch und Stadt Rüdesheim bringen es zusammen auf 69.000 Einwohner. Dann stammen die übrigen 100.000 wohl aus Koblenz und Lahnstein.
Hallöchen Frau Schober,
na, das ist doch „nett“ von Herrn Walter Schumacher – rheinland-pfälzischer Kulturstaatssekretär und Welterbe-Beauftragter – dass er bekennt, dass die Menschen im Mittelrheintal „zu viel Jammern“, was „uns nicht vorwärts bringt“.
Wir sind vor gut 2 Jahren erst hier hergezogen mit der vollen Begeisterung für ein wirklich wunderschönes Tal mit einer intakten städtischen Infrastruktur an unserem neuen Wohnsitz Oberwesel. An Schlechte-Laune-Themen hatten wir nicht im Entferntesten gedacht.
Dann kam der Tunnelplan der DB AG im Oelsberg: Es war schlagartig klar – und nicht nur uns – unsere „neue Heimat“ würde langsam vor die Hunde gehen, wenn die Menschen, die hier leben, sich nicht dagegen wehren würden. Wer nicht begriffen hat, dass die damaligen, ersten Pläne der DB AG den langsamen Tod des denkmalgeschützten Städtchen bedeutet würden, hat Pfropfen auf den Augen und in den Ohren. Dafür gibt es Beispiele genug – auch und vor allem im Rheintal!
Und von Jammern kann hier gar keine Rede sein: Oberwesel wehrt sich lediglich und zwar völlig zu Recht!!! Und meistens auch noch mit Spaß: Ob mit Pinsel und Weinglas beim Plakate malen für die Bahnlärmdemo, ob bei den zahlreichen Demonstrationen vor dem Oberweseler Kulturhaus im vergangenen Jahr, oder bei den Gesprächen auf den Sitzungen der Bürgerinitiative.
Oberwesel ist wach, hellwach – das Wort „Jammern“ kommt so im Oberweseler Wortschatz gar nicht vor. UND: Im Mittelrheintal nur noch die im Bahnlärm leider allzu schnell vergängliche „Schönheit ins Licht“ zu rücken, das reicht heute leider nicht mehr aus – „Mister WELTERBE“!
Das lese ich ja jetzt erst!
Also Herr Schumacher spricht mir da aus der Seele! Jeder kocht seine eigene Suppe. Seit Jahren hört man nur negatives aus unserer Gegend (Bahnlärm, Windräder, Rheinbrücke usw.) und vieles was eigentlich gut für unsere Region und Werbung ist wird schlecht bzw. kaputt gemacht. Beispiel: Tal ToTal im letzten Jahr. Als Frau Schwarz verkündet hatte das dieses Event nicht stattfinden soll gab es lautstarken Protest. Zu Recht! Traurig fand ich aber bei der Sache das sich doch mehrheitlich Menschen darüber beschwert haben die entweder nicht aus dem Mittelrheintal sind oder eben normale Anwohner wie ich es bin. Diejenigen die eigentlich am meisten von dem Event profitieren würden durch die damit verbundenen Werbung waren sogar Befürworter dafür das Tal Total ausfällt! Naja, Tal ToTal hat letztes Jahr stattgefunden (und die Gastronomen haben es überlebt!) und auch dieses Jahr wird es sein. Aber Frau Schwarz hat klar gemacht das es künftig nur weiter gehen kann wenn sich die Gemeinden finanziell einbringen. Ein paar Gemeinden haben schon Hilfe zugesagt, andere nicht. Auch da kochen wieder einige Ihr Süppchen was ich einfach schade finde. Es ist nicht nur die Mutter aller Autofreien Raderlebnistagen sondern auch eine schöne Werbung für das Mittelrheintal. Da sollten alle mit anpacken! Und an Euch Gastronomen: Man kann sicherlich schön dafür Werben und vielleicht sogar ein paar Übernachter durch das Event gewinnen. Man muss es nur wollen…
Also ich finde die Aussage des Herrn Schumacher zu den Protesten beim Besuch des Bundespräsidenten ja schon ein wenig befremdlich.
Nun bin ich alles andere als nahe dran am Geschehen vor Ort, würde aber vermuten, dass die Demonstranten den Anlass nicht dazu nutzen wollten, den Blick des Bundespräsidenten auf ihr Anliegen zu lenken, sondern die Aufmerksamkeit der Medien, der Öffentlichkeit und/oder der vermutlich auch anwesenden Lokalpolitiker.
Das könnte man natürlich als politisch motivierte PR-Aktion kritisieren, die thematisch wenig mit dem Besuch des Herrn Gauck zu tun hatte. Umgekehrt hätte sich der Politiker Schumacher jedoch lieber Fähnchen schwenkende Besucher und Bekundungen über die Vorzüge der Region gewünscht, also auch eine politisch und zudem wirtschaftlich motivierte PR-Aktion.
Also zu ziemlich genau das, was die Medien letztlich auch daraus gemacht haben:
http://www.rhein-zeitung.de/region_artikel,-Gauck-beschloss-Rheinland-Pfalz-Besuch-mit-Buergerempfang-_arid,472809.html#.VUxiMpN8qLI
Kritik vs Schönreden – für mich als Demokrat lässt Lokalpatriotismus, der Menschen motiviert, sich zu organisieren, um gemeinsam für ihre Interessen einzutreten, eine Region weitaus attraktiver erscheinen, als einer, der kollektives „Schönsprech“ hervorbringt…
… schreibt ein Berliner, dem ein „Alter, jetzt quatsch mich ma‘ nich‘ voll!“, quasi schon von der Evolution in die Wiege gelegt wurde, damit er sich im alltäglichen Großstadtwahnsinn von Spendenabo-Werbern, Internet-Telefon-Strom-Gas-Kombiangebotsvertretern, Religionsbekehrern, Medienmachern oder aber von Politikern nicht irgendetwas aufschwatzen lässt, das er im ganz normalen Alltag absolut nicht gebrauchen kann. ;-)
Lieber Dirk, mich hat’s auch gewundert, dass Herr Schumacher den Bürgerprotest eher lästig fand. Hier im Mittelrheintal spüre ich sehr deutlich, dass Bahnlärm ein heikles Thema für die Menschen ist. In den Kommentaren auf Facebook fanden sich aber jetzt auch einige Leser, die das Mittelrheintal daraufhin nun verteidigen, sich neu mit ihrer Heimat identifizieren. Ich freue mich, dass das Interview dazu eine Debatte anstoßen konnte.
Beste Grüße,
Jessica