Es ist der alte Bauernschrank ihrer Oma, an dem Carolin Hösler das Vergehen der Zeit bemisst. Seit sie sich erinnern kann, steht der grüngestrichene wuchtige Schrank in ihrem Kinderzimmer, im Haus ihrer Eltern in Weißenthurm, nördlich von Koblenz. Seit sie sich erinnern kann, wackelt der Schrank mehrmals in der Stunde. Es scheppert richtig, sagt sie. Immer dann, wenn ein Zug vorbei fährt.
Heute ist Carolin Hösler 27 Jahre alt. Und mindestens genauso viele Jahre demonstrieren ihre Eltern schon gegen den Bahnlärm. „Das Thema beschäftigt mich weiter, auch wenn ich heute nicht mehr direkt an der Bahnlinie wohne“, sagt die Lehramtsstudentin. „Heute mache ich mir eben Sorgen um die Gesundheit meiner Eltern, weil bald alle drei Minuten ein Zug vor der 50 Meter entfernten Tür vorbeifahren soll.“
Ein bisschen abseits sitzt sie in ihrem rotkarierten Hemd und ist einer der wenigen jungen Menschen, die zur Demonstration gegen Bahnlärm an diesem Samstag nach Koblenz gekommen sind. Ihre Eltern? Die stünden da vorne irgendwo in der ersten Reihe, mit Protest-Shirt und Trillerpfeife, so wie immer. Carolin Hösler kennt es nicht anders. Am Abendbrottisch ging es oft um den Bahnlärm. Doch die Eltern sind ihr nicht peinlich. Sie kann den Wunsch nach Ruhe gut verstehen. Als einer vorne auf der Bühne ins Mikrophon ruft „Wir lassen uns nicht aus unseren Häusern vertreiben“, nickt sie leise.
Dafür, dass die meisten sich heute Stille wünschen, geht es dennoch ganz schön laut zu. Aus allen Winkeln des Mittelrheintals sind Splittergruppen angerückt. Viele haben Protestplakate gemalt, die Oberweseler die größten. Deren Vorsitzender regt sich gerade auf, dass ausgerechnet die Grünen heute so zahlreich zum Demonstrieren erschienen sind. „Die haben nicht mal ein eigenes Positionspapier, die sind hier nur auf Stimmenfang für die Kommunalwahl“, sagt Harald Steppat und zeigt mit dem Zeigefinger auf die grüngekleideten Protestgenossen. Warum er sich nicht darüber freuen kann, dass sich eine politische Partei für das gleiche Anliegen einsetzt wie seine Bürgerinitiative? „Weil die eh nichts machen, es bleibt doch immer alles beim Alten“, sagt Harald Steppat.
Dass alles immer bleibt, wie es war. Das singen die Demonstrierenden schließlich auch in einem ihrer umgedichteten Protestsongs. Ein Lied, das man sonst öfter bei Wandergesellen hört, erklingt nun auf dem Koblenzer Bahnhofsplatz.
Wie sinnvoll findet ihr diesen Bahnlärmprotest? In den Kommentaren ist Platz, um sich auszutauschen. War vielleicht jemand bei der Demo nicht dabei und mag hier erzählen warum? Man hört ja sonst nur die Lauten.
15 Kommentare
Ein kleiner Erfolg, der Mut macht, im Protest nicht nachzulassen: http://tabea-roessner.de/2015/05/20/bahnlaerm-parlamentsgruppe-erhaelt-wichtige-zusage-der-privaten-waggonhalter/
Eine Verpflichtungserklärung ohne Sanktionsbewehrung, d.h. Strafen im Fall der Nicht-Einhaltung, ist oft das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Solche „politischen“ Verpflichtungserklärungen, die nicht eingehalten werden, sind leider aus der Vergangenheit zur Genüge bekannt. „Politische“ Verpflichtungserklärungen von Verbänden bezwecken oft nur, dass der Gesetzgeber sich zurücklehnen soll und sagen kann: jetzt brauchen wir kein Gesetz mehr, weil die Branche das selber
regelt. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass dies auch in diesem Fall das eigentliche Ziel sein könnte.
Wenn es aber kein GESETZLICH verpflichtendes Datum für das Ende der GG-Waggons oder eine GESETZLICHE Drohung mit Fahrbeschränkungen gibt, dann fehlt auch der Druck für die Branche, bis zum versprochenen Datum tatsächlich umzurüsten. Im Ergebnis könnte es daher
auch hier nur darum gehen, ein GESETZ abzuwenden, und weitere 6 Jahre Zeit zu
gewinnen, ohne dass tatsächlich etwas passieren wird !
Daher: EINE EINDEUTIGE GESETZLICHE REGELUNG MUSS HER ! Die Bürger haben die ständigen Vertröstungen nunmehr endgültig „satt“ !
da haben Sie recht, Harald!
„Es reicht nicht mehr, nur Recht zu haben. Wir müssen gewinnen.“
Arundhati Roy / „Wahrheit und Macht“ / 2004
Bisher ist das hier alles noch recht flapsig und eher langweilig. hätte mehr erwartet. Das video ist auch eher so meeh.
Nun ja,
es wird seit über 10 Jahren lautstark demonstriert. Es wird gefordert, es gibt Konzepte, es gibt immer die bekannten Reden der Politiker.
Die Wahrheit, daß es in den nächsten Jahren durch die Öffnung des St.-Gotthard-Tunnel noch schlimmer wird, kennen auch viele, aber?
Jetzt wird angeblich ein Paket mit Lärmschutzmaßnahmen geschnürrt und ausprobiert.
Nicht schlecht, aber für eine Urlaubsregion keine passende Maßnahme. In der Schweiz, in den Niederlanden werden neue Bahnstrecken für das 21 Jahrhundert gebaut, aber der Export-Welmeister hat davon im neuen Bundesverkehrswegeplan nichts stehen. Dort findet man nach langem suchen unter dem Punkt 235 die Einrichtung von Lärmmessstellen an der Rheinstrecke.
Passt – dann wird es endlich dokumentiert, dass es im Rheintal zu laut ist.
Ach ja, warum sich nichts grundlegendes ändert?
Warum sollte „die Politik“ über wirkliche Maßnahmen nachdenken, wenn im Wechsel ja doch nur die großen Parteien gewählt werden.
Einen Denkzettel, auf dem der Wähler mal sein Kreuzchen woanders macht, dies hätte mehr Auswirkungen als 100 Demos, die mittlerweile keine Massen mehr mobilisieren, wie in Koblenz zu sehen.
Enavigo
Das Video in Kombination mit dem Hannes-Wader-Song erinnert schwer an die home-Videos von Malle-Touristen aus Castrop-Rauxel. ;-)
Die Grünen haben sehr wohl eine Position zum Bahnlärm im Mittelrheintal: https://kleinerparteitag-rlp.antragsgruen.de/kleinerparteitag-rlp/antrag/1903/pdf die ziemlich genau den Forderungen vieler BIs entspricht und just einstimmig von den RLP-Grünen am 9.5.2015 beschlossen und vorher vielfach von unseren Vertretern und Sprechern ähnlich dargestellt wurde. Wir waren so zahlreich vor Ort, weil die Partei bewußt den kleinen Parteitag nach Koblenz gelegt hatte, um die Bürgerinitiativen in Ihren Protest zu unterstützen und um zu zeigen, wo die Grünen RLP in dieser Frage stehen. Auch wenn wir ansonsten sehr große Bahn-Fans sind!
Das Land Rheinland-Pfalz kann im Übrigen ziemlich wenig tun beim Thema Bahnlärm. Es ist eine Bundesangelegenheit (Bahn) und da regiert die CDU seit längerem -und seit kurzem- mit der SPD. Es ist in der Tat aber sehr frustrierend zu sehen, wie wenig passiert, obwohl zumindest in der Region sich alle einig sind…
Lieber Carsten Jansing, danke für den Hinweis. Ich hatte mich auch gewundert, dass sich Demonstrierende über die Unterstützung einer Partei ärgern. Beste Grüße
Ein im zweiten Teil des „GRÜNEN-Parteitags“, d.h. nach der Demo(!) schnell „zusammen-getackerter“ Antrag ist noch lange kein Beweis für echtes Engagement in der Sache!
Der Wahlkampf hat begonnen und da wird von allen Parteien versucht – zum partei-eigenen Vorteil – Erwartungshaltungen „im Volk“ zu „bedienen“, nur um Stimmen zu gewinnen.
Unsere BI hatte während der Demo sowohl Frau Höfken als auch Herrn Dr.Braun auf das völlige Fehlen jeglicher Unterstützung durch die GRÜNEN im Mittelrheintal während der letzten Jahre hingewiesen.
Vielleicht ist der grüne Antrag ja möglicherweise ein „Anfang“: wir bleiben jedoch – aus Erfahrung – skeptisch: Nur echte Taten zählen – Schwätzen tun die meisten Politiker gerne – vor allem wenn sie (wieder-) gewählt werden wollen !
Hallo Harald, die Grünen aus RLP beschäftigen sich bereits seit einiger Zeit mit dem Thema Bahnlärm im Mittelrheintal.Beispiele: Tabea Rößner: http://tabea-roessner.de/2012/10/01/maximal-70-kmh-nachts/ oder Jutta Blatzheim-Rögler: http://blatzheim-roegler.de/mainz/?no_cache=1&expand=493772&displayNon=1&cHash=b34138c13394e0acfb3ef78fc7379907. Das Thema ist also nicht neu für uns und wurde auch nicht zum ersten Mal am 9.5.2015 bei uns diskutiert. Insofern wundert mich diese Negativhaltung zu unserem Engagement ein wenig. Das das Thema Lärm vor allem ein bundespolitisches Thema ist, muss ich nicht extra sagen. Die Einflussmöglichkeiten auf Landesebene sind gerade bei der Bahn sehr begrenzt. Und im Bund regiert seit einiger Zeit nuneinmal die CDU mit wechselnden Koalitionspartnern.
Allerdings weiß ich auch aus persönlichen Gesprächen mit Anwohnern, Vertretern von BIs und als Mitglied einer BI zu einem ähnlichen Thema (Straßenbau) wie schwierig, langwierig und oft frustrierend ein bürgerschaftliches Engagement sein kann. Dennoch lohnt es sich. Und wenn wir eine gemeinsame inhaltliche Linie haben, dann sollten wir doch zusammen halten und uns nicht auseinanderdividieren, das hilft nichts oder im Zweifel unseren Gegnern.
Hallo Carsten, diese älteren Beiträge waren mir von der Website der Landes-GRÜNEN durchaus bekannt. Aber wie steht es mit der Position der RLP-Grünen in Sachen „Tunnelumfahrung von St.Goar & Oberwesel“ ? Hier haben CDU und SPD bereits e i n d e u t i g und landesübergreifend Position bezogen, von den GRÜNEN-RLP gibt es leider seit nunmehr eineinhalb Jahren (!) keine Positionsfestlegung hierzu ! An Antworten auf solch konkreten Fragen aber entscheidet sich, ob der Bürger sich vertreten sieht, oder nicht. Da spielt es dann auch erst ‚mal eine untergeordnete Rolle, wie viel das Land Rheinland-Pfalz „tun kann“: FLAGGE ZEIGEN ist gefragt ! Tut was !
Als großer Mittelrhein Enthusiast bin ich natürlich auch mit dem Fahrrad aus dem Westerwald angereist und muss feststellen es war doch eine sehr übersichtliche Veranstaltung. Von den über 2000 gezählten Teilnehmern war man Ber glaube ich noch weit entfernt . Selbst der swr Landesschau sprach“ von einigen Hundert Besuchern „.
Ich war nicht dort weil es einfach keine klare Linie bzw. Richtung gibt. Jeder will etwas anderes und natürlich nur das beste für sich selbst. Finde ich schade.
Ganz schön laut auf der Demonstration, das kann ich deinem wunderbaren Bericht nicht entnehmen. Aber dein Bericht geht mir sehr nahe. Zeigt er doch, dass die Menschen ein sehr ernstzunehmendes Problem haben. Gut, dass du dich nicht an dem Säbelrasseln beteiligst, sondern objektiv darüber berichtest. Es ist herrlich, deinen Blog zu folgen. Alfons