Menschen für alles

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Kioskbesitzerin am Deutschen Eck
„Ich kann jedem die Toilette erklären, nur dem deutschen Rentner nicht.“ (Foto: Timo Stein)

Das Deutsche Eck ist nicht mehr das, was es einmal war. Von Cornetto-Touristen und Brüllrentnern. Eine Kioskbetreiberin erzählt.

Sie hat eine Nase für Nationen. Edith Schäfer-Krauß erkennt schon aus der Ferne, welche Kundschaft das kommende Rundfahrtschiff ans Konrad-Adenauer-Ufer spült. Vermutet sie Holländer auf dem Schiff, holt sie die Fingerhüte raus und zieht die niederländischen Prospekte nach vorne. Legen Amerikaner an, drapiert sie ihr Trachtensortiment und bringt die Bierkrüge in Position. Beraten kann sie in fünf Sprachen. 80 Prozent ihrer Kunden sind Ausländer. Das meiste Geld lassen die aus Übersee.

Zehn Uhr. Das Thermometer peilt bräsige 30 Grad an. Kniekehlenschweißwetter. Die 66-Jährige Kioskbetreiberin Schäfer-Krauß schließt wie jeden Morgen ihren knapp 14 Quadratmeter große Souvenirbude auf. Dann bringt sie Postkartenständer in Position, das Eisschild wird aufgestellt, Hüte werden etikettiert, die Auslagen vor den Durchreichefenstern bestückt: Shirts, Schirme, Löffel, Schneekugeln, Anstecknadeln, Krüge, Kuckucksuhren – und immer wieder Magneten. Noch schnell die Kassen machen, Ware verstauen und die Hunde, Duffy und Timmi, versorgen.

Normalerweise öffnet sie um acht. Das lohnt sich immer weniger. Touristen kaufen immer seltener in den kleinen Kiosken, die wie wahllos in die Landschaft geworfene Würfel alle paar Meter entlang der Rheinpromenade liegen. Sie verkaufen die Wahrzeichen der Stadt und sind doch die wahren Wahrzeichen der Promenade. Dort, wo die Mosel dem Rhein im Auftrag des Kaisers guten Tag sagt. Am Deutschen Eck.

Eine Gruppe Japaner hat sich urplötzlich um die Bude verteilt. Hüte werden aufgesetzt, Armbänder an- und wieder abgelegt. Natürlich geht ein Magnet über den Kiosktisch. Der Anführer hält ein rotes Fähnchen in die Luft, der Rest folgt geordnet. Abzug.

Eigentlich ist Edith Schäfer-Krauß Fotografin. Die Familie hatte ein Fotogeschäft in der Innenstadt. Dann kam die Digitalisierung und es wurde immer schwieriger, den Laden zu halten. Heute gibt es das Geschäft nicht mehr. „Heute bin ich von Instagram besessen“, sagt Schäfer-Krauß, die bereits ihr ganzes Leben in Koblenz lebt.

Den ersten Kiosk am deutschen Eck bekommt sie von ihrem Vater geschenkt. Das war im Sommer 1996. „Das kannst du vergessen“, sagte sie damals entsetzt. Sie stellt sich schließlich ihrem Vater zuliebe hinter das Schiebefenster. „Okay, aber nur eine Saison.“

Nach zwei Wochen im Büdchen wusste sie, „ich bleibe“. Das internationale Publikum begeistert sie, die abwechslungsreiche Arbeit. „Kiosk heißt ja nicht nur verkaufen. Wir Kioskleute sind Menschen für alles.“ Kiosk heißt, Auskünfte aller Art zu geben, mal eben im Hotel anrufen, verarzten, trösten, schwatzen oder einfach nur zuhören.

Der Konkurrenzkampf unter den Kioskbetreibern ist groß. Edith Schäfer-Krauß erinnert sich, dass jemand mal das Kabel des Kühlschranks durchtrennte. Dann wurden Klötze zum Beschweren der Aufsteller in den Rhein geworfen. Das war früher. Heute hat sie mit niemandem Streit. Man kommt miteinander aus. Private Gespräche werden vermieden.

Ein älteres Ehepaar tritt zögernd heran. Ehefrau schiebt Ehemann zu den Mützen. Er murmelt etwas. „Doch!“, sagt sie schroff. „Da, nimm die!“, sie greift in den Hutständer. Er gibt nach und bezahlt. Sie verstellt die Größe der Mütze und setzt sie ihm auf. Duffy und Timmi knurren.

Koblenz boomt, die Büdchen leiden. „Früher war hier am Deutschen Eck die Hölle los.“, sagt Schäfer-Krauß. „Wir haben durchgehend mit drei Leuten gearbeitet.“ Dann kam die Buga, die Bundesgartenschau 2011. Ein riesiges Konjunkturprogramm für die Stadt. Insgesamt für Koblenz ein Gewinn. „Die Buga war für uns Kioskbetreiber nicht gut, die versprochene Nachhaltigkeit ist ausgeblieben.“ Die Touristenströme seien umgelenkt worden. „Die werden heute vom Schiff in die Busse gesetzt, auf die Marksburg und in die Innenstadt gekarrt. Oder mit der Seilbahn hoch zur Festung Ehrenbreitstein geschickt. Gegessen wird dann wieder auf den Schiffen. Von den Zahlen, die die Touristik immer nennt, davon haben wir nichts.“, klagt sie.

Dort, wo heute die Seilbahn Menschenkörbe auf die Festung schickt, sei mal ein großer Parkplatz gewesen. „Dort haben 30 Busse gestanden, auch das fällt weg.“, sagt sie.

„Es ärgert mich, dass das Deutsche Eck zu einer Transferzone verkommen ist.“ Personal kann sie sich heute nicht mehr leisten.

Kioskbetreiberin Schäfer-Krauß arbeitet jeden Tag zwölf Stunden. Von März bis November. Dann muss sie ihren Kiosk schließen. Zwangsweise. Sie würde gerne bis in den Januar hinein öffnen, aber die Stadt erlaubt das nicht. „Man könnte gut das Weihnachtsmarktgeschäft mitnehmen“, sagt sie. Bis Ende November müssen die Kioskleute ihre Buden komplett geräumt haben. Dann ist die Promenade Hochwasser gefährdet und die Blechwürfel werden eingelagert. „Die stehen trotzdem hier bis Mitte Januar“, sagt Schäfer-Krauß und schüttelt den Kopf. „Die können nicht rechnen.“

Ein älterer Herr in Beige schiebt sich am Eisschild vorbei, tritt an das Verkaufsfenster heran und kommt gleich zur Sache.

Er: „Eis?“

Sie: „Ja“

Er: „Split.“

Greift zu, bezahlt und geht.

„Als ironischer Mensch kommt man hier voll auf seine Kosten“, sagt sie und muss schmunzeln.

Alle Nationen seien entspannt und lebensfroh. Nur der deutsche Rentner brülle hier regelmäßig in die Bude. Lästige Füllworte wie „Danke“ und „Bitte“ gehen auf dem Weg zum Kiosk verloren. „Die Jungen sind total aufgeschlossen und höflich, aber der Deutsche, der die Bildzeitung sucht, ist eine Herausforderung.“, sagt sie.

„Die sagen dann nur ‚Eis’ oder knallen 1 Euro 70 auf die Ablage.“ Oftmals müsse sie raten, was die eigentlich wollen. „Ich gebe dann einfach das übliche Rentnereis raus: Cornetto-Nuss.“ Sie lacht. „Da könnte ich ein Buch drüber schreiben.“

Dann erzählt sie, dass regelmäßig Panik ausbricht, wenn die deutschen Busse ankommen. „Wo ist die Toilette“, fragen dann die Rentner ungeduldig. „Ich erkläre es. Und dann kommt: ‚Wie? Wo denn? Dort oben? Wie weit ist das denn?’ Kommt ein Chinese und fragt, bedankt er sich und geht einfach zur Toilette. Das begreife ich nicht. Ich kann jedem die Toilette erklären, nur dem deutschen Rentner nicht. “

Und trotzdem ist der Kiosk am Deutschen Eck ihr Leben. Sie hat den Vertrag gerade um fünf Jahre verlängert. Dann ist sie 71. Auch dann wird sie den ganzen Sommer in ihrer Bude stehen. Tag für Tag. Ohne Wochenende. Ohne Freizeit. Abends dann Buchführung und Bestellung. „Ich brauche das“, sagt sie. Viel schlimmer sei die Vorstellung, zuhause zu versauern.

3 Kommentare

  • Heike says:

    und in Niederheimbach am Rheinufer wollen sie jetzt den Kiosk in Rheinterrasse umbenennt…sowas doofes…ich finde Kioske haben was nostalgisches…und sind ein herrlicher Ort um mit Menschen ins Gespräch zu kommen…

  • Flyingreinhold says:

    Ein Chinese, der sich Europa leisten kann, verfügt mit Sicherheit über einen höheren IQ als ein deutscher Rentner auf Rheinromantik Tour.

  • Immer wieder werden Gründe gesucht und erfunden, die Abgaben und Steuern zu erhöhen.
    Man sollte den Damen und Herren vielleicht mal erklären, daß es sie weder Arbeit noch Geld kostet, wenn Unternehmer bereit sind, für mehr Umsatz zu sorgen.
    Mehr Umsatz = mehr USt, oder?!