„Der SPD eine Nähe zum Linksextremismus zu unterstellen, ist eine Frechheit.“

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Malu Dreyer mit Timo Stein im Gespräch
Malu Dreyer zu Gast auf Burg Sooneck. Foto: Christoph Bröder

Über leere Marmeladengläser, die G20-Gewaltexzesse und den „Türöffner“ Angela Merkel. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zu Gast auf Burg Sooneck. Ein Interview.

Frau Dreyer, Sie haben einmal gesagt, dass Sie Ihre Sorgen abends im Bett gedanklich in ein Marmeladenglas legen, es zu machen und wegstellen. Was ist zurzeit in dem Glas?
Im Moment habe ich keine großen Sorgen. Es gab Zeiten in meiner Amtszeit, da war das anders.

Zum Beispiel?
Der beim ersten Versuch gescheiterte Verkauf des Flughafens Hahn im Hunsrück. Aber im Moment haben wir landespolitisch keine Probleme, die mir so große Sorgen bereiten, dass ich befürchten muss, deswegen gar nicht schlafen zu können. Was die weltpolitische Lage angeht, ist das natürlich anders.

Die gerade geprägt ist von den Diskussionen um den G20-Gipfel. Angela Merkel hatte zum Gipfel geladen, doch der Schwarze Peter liegt nun beim SPD-Mann Olaf Scholz. Was macht Merkel richtig, was die SPD falsch macht?
Angela Merkel hat sich nach außen korrekt verhalten. Sie hat, auch über Peter Altmaier, deutlich gemacht, dass es nicht an der Zeit ist, die G20-Ereignisse zu nutzen, um parteipolitischen Streit darüber zu entfachen. Aber es gibt eine zweite Reihe in der CDU, die heftig schießt – unabhängig davon, was die Kanzlerin sagt. Dass der bayerische Innenminister Joachim Hermann oder Jens Spahn mit ihren Äußerungen der SPD eine Nähe zum Linksextremismus unterstellen, ist eine Frechheit. Wir Sozialdemokraten haben ein klares Verhältnis zum Thema Gewalt. Es ist mir egal, ob die Gewalt von rechts oder links kommt. Wir verurteilen jedwede Gewalt.

Wie hilfreich sind für eine solche Debatte Äußerungen von Ralf Stegner, wenn er sinngemäß sagt, kriminelle Gewalttäter können gar nicht links sein?
Es ist nicht meine Aufgabe, Äußerungen von Ralf Stegner zu interpretieren. Worüber sich Sozialdemokraten aufregen, ist, dass sie für solche Gewaltexzesse in Haftung genommen werden. Wir verstehen uns als SPD auch als eine linke Partei. Aber wir lehnen Gewalt strikt ab. Und man missbraucht politisch linkes Denken, wenn man es mit Gewalt verbindet.

Gleichzeitig hat es aber immer auch Gewalt im Namen der Linken gegeben. Ich erinnere nur an Mao, Stalin…
Man muss sich als Sozialdemokrat klar von Gewalt distanzieren. Und das machen wir auch.

Zurück zum Marmeladenglas. Schaue ich in die Gläser der Mittelrheiner, dann finde ich vor allem die Sorge über den Rückgang des Einzelhandels, die Problematik um leerstehende Läden, Landflucht, ausbleibende Tagestouristen, die infrastrukturellen Probleme. Besonders die Brücke beziehungsweise Nichtbrücke ist immer wieder Thema. Wann machen Sie die Brücke zur Chefsache?
Die braucht man gar nicht zur Chefsache zu machen, weil unsere Position hier glasklar ist: Die Landesregierung will diese Brücke als kommunale Brücke bauen. Und bis vor ungefähr einem Jahr war auch klar, dass sie kommt. Aber Landrat Marlon Bröhr im Rhein-Hunsrück-Kreis will keine kommunale Brücke und sagt, das Land solle sie bauen. Das ist aber nicht möglich, weil man die Brücke als Landesbrücke ganz anders konzipieren müsste. Wir sind bereit, diese kommunale Brücke mit immensen Geldern zu bezuschussen, die Kommunen hätten überhaupt keinen Nachteil. Solange aber der Landrat sein Okay nicht gibt, haben wir ein Problem.

Warum taucht die Region Mittelrheintal im Koalitionsvertrag fast ausschließlich in Zusammenhang mit Brückeproblematik und Bahnlärm auf? Wo sind die positiven Konzepte, um das Tal gerade auch für junge Leute attraktiver zu machen?
Wir wollen die Brücke. Es ist zudem unbedingt nötig, den Bahnlärm hier in den Griff zu kriegen. Er beeinträchtigt die Lebensqualität und Touristen. Bis 2020 sollen alle Güterzüge mit „leisen Sohlen“ ausgerüstet werden. Außerdem setzen wir uns für eine Alternativstrecke ein. Gerade jetzt, wo die Schweiz den Tunnel geöffnet hat und noch mehr Güterverkehr durchs Tal rollt. Leider haben wir wenig Verbündete auf Bundesebene. Vor allem das Verkehrsministerium spielt nicht mit. Eine echte Chance wäre die Bundesgartenschau „Buga“ 2031. Hier kann sich die ganze Region zusammentun und wirklich etwas stemmen. Es ist mehr drin im Mittelrheintal. Und auch in das Loreleyplateau investieren wir intensiv, weil wir wissen, dass die Loreley für Touristen noch attraktiver sein könnte.

Da steht jetzt übrigens eine Almhütte.
Ich habe davon gelesen. Aber es wird dort mehr entstehen als eine Almhütte.

Die Ampel, die Koalition zwischen SPD, FDP und Grünen, ist jetzt ein gutes Jahr in Betrieb. Der Start war, gelinde gesagt, sehr holprig: Der gescheiterte Verkauf des Hunsrückflughafens Hahn, dann das daraus folgende Misstrauensvotum gegen Sie. Wie sieht Ihre Bilanz nach einem Jahr aus?
Ich finde, wir haben eine gute Bilanz. Die Ampel hat nicht nur in der Zeit, in der es wirklich schwierig war, bewiesen, dass sie verlässlich und geschlossen zusammensteht. Das ist nicht selbstverständlich bei einer Dreierkoalition. Aber das allein hat natürlich keinen Mehrwehrt für die Bürger. Wir haben etliche Projekte auf den Weg gebracht: den Breitbandausbau, die Digitalisierung, neue Ansätze im Bildungsbereich. Ein Schwerpunkt wird es weiterhin bleiben, die ländlichen Regionen weiterzuentwickeln.

Nach der ersten Hahn-Pleite hat man mit dem chinesischen HNA-Konzern einen neuen Käufer gefunden. Nun warten alle auf grünes Licht aus Brüssel. Wie groß ist Ihre Angst, dass der Deal erneut platzt?
Ich habe keine Angst davor. Der eigentliche Verkauf ist ja schon unter Dach und Fach.

Die 15 Millionen sind schon überwiesen?
Ja, das Geld ist da. Es ist ein Glücksfall für den Hahn, dass ein weltweit bekannter Investor gefunden werden konnte. Das ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Regionalflughafen von der HNA gekauft wird. Ich bin optimistisch, dass Brüssel auch noch grünes Licht gibt.

Wann ist damit zu rechnen?
Wir würden uns wünschen, dass wir das Signal in diesem Sommer bekämen.

Der Gesetzentwurf zur „Ehe für alle“ stammt aus Rheinland-Pfalz. Sie haben diesen bereits 2013 und 2015 in den Bundesrat eingebracht. Das ist ein bisschen untergegangen in der Debatte. Warum war Ihnen dieses Thema so wichtig?
SPD und Grüne haben sehr lange darauf hingearbeitet. Es ging schon immer gegen mein Gerechtigkeitsempfinden, dass homosexuelle Menschen nicht heiraten dürfen. Auch die Verpartnerung war keine würdige Situation. Unsere Gesellschaft profitiert, wenn Menschen füreinander einstehen. Es ist zudem keine leichte Diskussion, weil in Rheinland-Pfalz die Bischöfe sehr skeptisch waren. Ich bin selber Katholikin, aber zu meinem Menschenbild passt das nicht.

Wieso erinnert sich die SPD gerade auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl daran, dass es eine linke Mehrheit im Bund gibt?
Hätten wir es vorher gemacht, dann wäre das das Ende der Koalition gewesen. Aber als Angela Merkel ihr Interview gab und Vorschlug, die Abstimmung zur „Ehe für alle“ möglicherweise freizugeben, also zur Gewissensentscheidung zu machen, war der Weg frei.

Ich erinnere mich gut: Ich kam nach Hause von der Arbeit, habe abends den Ausschnitt des Interviews mit Frau Merkel in der Tagesschau gesehen und gedacht, ich höre nicht richtig.

Also kein Koalitionsbruch?
Nein. Angela Merkel hat die Tür aufgemacht.

Die „Ehe für alle“ ist durch Bundestag und Bundesrat. Die SPD feiert im Konfettiregen. Und hat wieder ein Wahlkampfthema weniger.
Da bin ich ganz entspannt. Es gibt Chancen, die musst du, um das Leben für die Menschen besser zu machen, einfach ergreifen. Da ist es egal, ob Wahlkampf ist.

Tut Ihnen Martin Schulz manchmal leid?
Nein. Martin Schulz will unbedingt Kanzler werden. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man es auch schaffen kann. Als er in das Rennen eingestiegen ist, stand die SPD laut Umfragen bei knapp über 20 Prozent. Er hatte also einen klaren Blick auf die Lage.

Man könnte aber auch sagen, dass die SPD Martin Schulz in ein aussichtsloses Rennen geschickt hat. War es nicht ein strategischer Fehler, dem Europäer Schulz nicht das Amt des Außenministers zu überlassen? Ein Amt, das dem Amtsträger traditionell viele Sympathiepunkte bringt.
Die These stimmt nicht. Frank-Walter Steinmeier war als Außenminister auch beliebter als Angela Merkel. Und landete bei der Bundestagswahl dann bei 23 Prozent. Das war für uns ein Lernprozess, zu verstehen, warum Frank-Walter Steinmeier, der sehr beliebt war, am Ende sehr deutlich unterlag. Die Strategie war es, mit dem Spitzenkandidaten Schulz so freier und kämpferischer in den Wahlkampf zu ziehen.

Aber in Umfragen dümpelt die SPD konstant um die 23 Prozent. Der Schulzeffekt ist nicht mehr messbar. Und ich behaupte jetzt einfach mal, es hat ihn nie gegeben. Der Schulzeffekt war ja im Grunde nicht mehr als die Freude darüber, dass es Sigmar Gabriel nicht macht. Hinzu kommen die verlorenen Wahlen: Hannelore Kraft weg, Thorsten Albig weg, Olaf Scholz in G20-Nöten. Bleibt nur Malu Dreyer.
Wir haben doch Martin Schulz. Was ist denn das Problem?

Ich bin schon bei 2021. Die Wahl 2017 hatte ich ja schon abgehakt.
Moment. Da sind Sie mir ein bisschen zu schnell. Auch Journalisten können von Rheinland-Pfalz lernen. Auch solche, die auf einer Burg wohnen. Im November, vor meiner Wiederwahl im letzten Jahr, lagen wir in den Umfragen zehn Prozent hinter der CDU. Ich habe trotzdem gesagt, wir gewinnen die Wahl. Viele Journalisten haben mich damals für verrückt erklärt. Ich wusste, dass es ein großes Potenzial unentschlossener Wähler gibt. Die gibt es heute im Bund auch. Die Wahl ist noch lange nicht entschieden. Die CDU präsentiert einen bunten Strauß an unklaren Absichtserklärungen.

Der Unterschied ist aber: Sie, die Person, nicht die Partei, haben die Wahl entschieden. Sie hatten den Amtsbonus und sind der letzte Sozialdemokrat, der nachweislich gegen den Bundestrend Wahlen gewinnen kann.
Olaf Scholz hat seine Wahl auch haushoch gewonnen.

Der hat aber gerade andere Probleme.
Und er wird sie bewältigen. Da bin ich mir sicher.

Okay, dann formuliere ich das mal allgemeiner. Unabhängig von 2021. Warum wird Ihr Name so selten in den bundespolitischen Ring geworfen, wenn von Spitzenkräften in der SPD die Rede ist, die Wahlen gewinnen könnten?
Erstens weiß ich nicht, ob das stimmt und zweitens will ich überhaupt nicht in den Ring geworfen werden. Ich habe hier gerade erst eine Wahl gewonnen. Und ich fühle mich sehr wohl in Rheinland-Pfalz. Zurzeit bin ich Bundesratspräsidentin und bin viel auf Bundesebene unterwegs. Aber ich bin immer froh, in mein Land Rheinland-Pfalz zurück zu kommen.

Aber wäre das nicht ein schönes Amt. Bundeskanzlerin sein…
Ein schönes Amt ist es, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz zu sein. Wir wollen jetzt erst einmal die Wahl im Herbst gewinnen. Danach können wir gerne über die Zukunft der SPD diskutieren.

8 Kommentare

  • Der Blog ist vom Feinsten und trifft die Stimmungslage auf den Punkt. Die Burg dräut und der Blogger bloggt So isses gut!

  • Vielleicht liegt die Zukunft des Mittelrheintales ja auf dem Grund des Rheins. Das Tauchglockenschiff Carl Straat führt genau dort hin. Und zwischen den Alpenkieseln und etwas Rheingold findet sich vielleicht ein altes Marmeladeglas? Oder man liest die Zukunft aus den Steinen, wie es die Dogon in Mali beherrschen.

  • Wilhelm says:

    Wenn Frau Dreyer sich etwas mehr um das Land und weniger um die Erhöhung der Rundfunkgebühren kümmern könnte, wäre ihre Partei auch für mich wählbar.

  • norbert salz says:

    Chronischer Mangel an Lehrern und Polizisten, die darüberhinaus in der Bezahlung das Schlußlicht im Bund darstellen, das ist das SPD geführte Rheinland-Pfalz. Von den bekannten Skandalen Nürburgring, stümperhafter Hahn-Verkauf im 1. Anlauf , Schloßhotel Bad Bergzabern, Stadion Kaiserslautern will ich garnicht reden. Malu Dreyer sollte ehrlicherweise abtreten. Alle diese Skandale hat sie entweder selbst zu verantworten oder saß als Ministerin unter Beck am Kabinettstisch.

  • Jürgen Mader says:

    Statt Frau Dreyer könnte sicherlich ein Verwaltungsbeamter das Land verwalten, was sehr wahrscheinlich besser für Rheinland-Pfalz wäre. Bis auf den ideologischen Teil sind ihre Aussagen nämlich sehr dünn.

  • Irmtraud Weis says:

    Lieber Herr Stein, danke für das erhellende Interview. Der Mittelrhein weiß jetzt wenigstens, dass Frau Dreyer für seine Probleme noch nicht einmal ein Marmeladenglas benötigt…