„Wir sind in der Entwicklung blockiert“

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Auch hier soll eine Brücke helfen. Zwischen St. Goar und St. Goarshausen. (Foto: Timo Stein)
Auch hier wird eine Brücke diskutiert. Zwischen St. Goar und St. Goarshausen. (Foto: Timo Stein)

Er will den Bahnlärm abschaffen, eine Brücke bauen und erklärt, was der Mittelrhein von Bayern lernen kann. Landrat Frank Puchtler im Interview.

Wenn die letzte Fähre um halb elf den Betrieb einstellt, hat vor allem die Region auf der rechten Seite des Rheins ein Problem. Frank Puchtler (SPD) ist seit Mai 2014 Landrat des Rhein-Lahn-Kreises in Rheinland-Pfalz. Eben jener strukturschwachen Region, die sich ausschließlich rechtsrheinisch erstreckt. Außerdem ist Puchtler Zweckverbandsvorsitzender im Oberen Mittelrheintal. Der Zweckverband vertritt die Interessen der 50 Kommunen im Welterbegebiet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Region wirtschaftlich, kulturell und ökologisch weiterzuentwickeln. 

Herr Puchtler, Sie sind ein ziemlicher Exot. Ihre SPD stellt von 24 Landräten in Rheinland-Pfalz nur noch drei, die CDU hingegen 19. Die letzten Landratswahlen in Rheinland-Pfalz gingen alle an die Union. Was ist los mit der SPD?
Sicher spielt da der grundsätzliche Trend, also die Bundesstimmung, eine Rolle.

Vor 15 Jahren hat die UNESCO das Obere Mittelrheintal zum Welterbe ernannt. Die Hoffnung war groß, dass die Landstriche links und rechts des Rheins näher zusammenrücken. Die Realität ließe sich ein bisschen anders zeichnen: Jede Kommune schaut zuerst auf sich, die Touristen bleiben aus, die Rheinquerung bleibt eine nicht endende Geschichte…
Das sehe ich anders. Ich bin ja auch Vorsitzender des Zweckverbandes, der eine Art Parlament des gesamten Mittelrheintals darstellt, mit einem engagierten Team viele Projekte wie die BUGA 2031 anpackt und die Gemeinden zusammenhält. Aber natürlich wollen wir noch mehr Motor und Sprachrohr des Mittelrheintals sein.

Und dennoch klagen viele Gastronomen und auch der Einzelhandel. Ist das Jammern auf hohem Niveau?
Nein, wir haben sicher Bedarfe. Wir brauchen eine Modernisierung des Tals. Wir brauchen die Mittelrheinbrücke und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Das ist ganz existenziell. Der Bahnlärm muss raus aus dem Tal. Wir brauchen eine Alternativtrasse. Und wir brauchen mehr und dauerhafte finanzielle Unterstützung vom Bund.

Der Bahnlärm kommt raus? Wie soll das gehen?
Es gibt ja schon die Vereinbarung, dass Züge bis 2020 umgerüstet werden. Von den Zügen im Mittelrheintal hat momentan erst ein Teil diese Umrüstung vollzogen. Langfristig muss der Güterverkehr aber raus aus dem Tal. Unser Ziel ist es, dass der Bund die Planung für eine Alternativtrasse aufnimmt. Wir brauchen ein leiseres Tal.

Wo genau soll diese Alternativtrasse verlaufen?
Es gibt bereits Überlegungen eines alternativen Korridors. Aber es wäre Aufgabe des Bundesverkehrsministeriums, die Planungen aufzunehmen. Das Problem ist, dass wir beim Bundesverkehrswegeplan nicht in der ersten Liga spielen, sondern im so genannten potentiellen Bedarf. Wir kämpfen dafür, dass wir aus der zweiten Liga aufsteigen und damit ins Konkrete kommen. Entscheidend ist dabei auch ein Modernisierungsschub. Den versprechen wir uns von der Buga 2031. Das ist nicht nur eine Blumenausstellung, sondern ein Investitions- und Infrastrukturprogramm.

Warum sollte das mit einer Buga funktionieren, wenn es seit Jahrzehnten nicht einmal mit einer ordentlichen Rheinquerung klappt?
Weil alle Partner im Zweckverband sagen, die Buga macht Sinn. Das ist ein gemeinsames Ziel. Und gemeinsam marschieren wir auf die Buga zu. Kommt sie, gewinnen wir alle.

Ihre Partei, die SPD, hatte bereits im Vorfeld der Landtagswahl 2011 die Brücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen versprochen.
Erst kam die Koalitionsbildung 2011. Der Koalitionspartner wollte nicht. Dann lag es fünf Jahre auf Eis. Jetzt haben wir eine Koalitionsvereinbarung, die die Brücke ermöglicht. Wir streben eine Vereinbarung zwischen dem Land und den beiden Kreisen an.

Aus Ihrer Sicht waren also zunächst die Grünen schuld. Wer ist heute schuld?
Es geht nicht um Schuld, sondern wir müssen gemeinsam die Brücke auf den Weg bringen. Also Land, beide Kreise an einen Tisch und gemeinsam das Paket mit Bau, Ausführung und Unterhaltung der Brücke schnüren.

Ihr Gebiet als Landrat erstreckt sich ausschließlich rechtsrheinisch. Für die Seite ist die Querung besonders existentiell. Spätestens nach der letzten Fähre ist die Gegend tot.
Ja, wir kommen nicht weiter, wir sind in der Entwicklung blockiert. Daher auch der Appell an alle, den Weg im Interesse des Tales frei zu machen. Es ist eine Chance für eine wirtschaftliche und demographische Weiterentwicklung.

In Ihr Gebiet fällt auch das bekannteste Wahrzeichen des Mittelrheintals: die Loreley. Die ist momentan Baustelle. Was sagen Sie den Menschen, die Angst haben, dass der Mythos Loreley verbaut wird?
Die Idee ist, das Gelände zu modernisieren und dabei den Mythos zu erhalten. Parallel läuft die Erneuerung der Freilichtbühne. Es war wichtig, neue Wege zu gehen. Welterbe darf keine Käseglocke sein. Das war es nie. Es hat sich über Jahrtausende entwickelt. Es ist eine Mischung aller Nationalitäten und war immer lebendig. Bewahre den Mythos, bewahre das Welterbe, aber modernisiere es auch, mache es auch für junge Menschen und Familien attraktiv.

Und jetzt steht da eine Almhütte. Wie passt die zum Weltkulturerbe?
Das ist temporär. Und dient der Bewirtung von Gästen.

Erst wird alles abgerissen und dann fällt auf, dass die Touristen trotzdem kommen. Klingt, als hätte man sich da ein bisschen verplant.
Das Loreley-Plateau ist keine einfache grüne Wiese, auf der einer entscheidet. Es sind verschiedene Akteure mit einem gemeinsamen Ziel. Das Konzept muss Schritt für Schritt umgesetzt werden. Das heißt aber auch, dass der Bund aufgrund der Welterbebedeutung auch eine Verpflichtung hat, dauerhaft finanzielle Unterstützung zu leisten. Das ist eine ganz klare Forderung als Zweckverbandsvorsteher.

Mit der Buga wollen Sie in die Champions League, aber die Trainingsbedingungen sind allenfalls zweite Liga.
Wir wissen ja, dass Mannschaften, die in der zweiten Liga gut spielen, auch aufsteigen können. Dazu bedarf es einer Dreierlösung: Bund, Länder und Tal.

Wo soll das Tal in 15 Jahren stehen?
Unser Ziel ist, dass wir in 15 Jahren eine Generation haben, die sagt, ich bin Mittelrheiner. Da können wir von den Bayern lernen. Wir brauchen auch ein Mia-san-mir-Gefühl. Mehr Selbstbewusstsein. Wir müssen anpacken und nicht nur kritisieren. Das hat viel mit Mentalität und Motivation zu tun. Ein Fußballspiel können sie nur gewinnen, wenn sie selbstbewusst ins Spiel gehen.

Sind Sie vom Typ her eher Christoph Daum oder dann doch Felix Magath? Motivationslauf über glühende Kohlen oder Medizinball?
Irgendwas dazwischen. Also Quälix ist mir zu hart. Und Daum war vielleicht ein bisschen zu motiviert. Herberger hatte die gesunde Mischung. Natürlich hatte er das Glück, mit Fritz Walter einen Steuermann zu haben. Aber er integrierte auch Leute wie Kohlmeier, die konsequent verteidigt haben. Und Torjäger wie Rahn, der einem Bierchen nicht abgeneigt war, aber dann das entscheidende 3:2 schießt. Hättest du ihn zum Laktattest geschickt, hätte Helmut Rahn nie spielen dürfen.

Mehr Rahns fürs Mittelrheintal also…
Aber auch für die Politik. Mehr kreative Köpfe, mehr Typen. Ich komme vom Dorf, mit sportlichen Ansagen, bis zum Schluss wird gekämpft. Abends werden die Hühner gezählt.

Was ich nicht so richtig zusammenbringe: Sie sagen, wir brauchen mehr Typen. Gerade in der Politik. Und dann ist Ihr Parteivorsitzender ein gewisser Martin Schulz?
Das ist ja auch ein Typ. Er ist hingefallen, wieder aufgestanden und hat sich durchgekämpft.

5 Kommentare

  • Der Landrat hat tatsächlich Ahnung von Fußball !! Respekt!

  • Karl Hofstätter says:

    Helmut Rahn hätte heute in der Bundesliga keine Chance mehr.

  • ursula goldau says:

    aber der mittelrhein endet bei koblenz in was eigentlich? es guibt da noch die lieebnswerteste stadt andernach, burg rheineck, hammerstein ockenfels, drachenfels godesburg und den rolandsbogen alles sehr rheinreiseträchtig
    ich sehe auch hier die ausflugsschiffe vorbeigleiten
    und nach andernach würde ich gerne mit einem wasserbus oder wassertaxi fahren
    und mehr geschichten gerne hören aus der burg sooneck

  • Horst Felder says:

    Kann das sein, das sie in letzter Zeit ihre Fotos mit einem dieser unsäglichen 70er-Jahre-Filter »aufwerten«? Kontrastarm, zu dunkel und blaustichig ist nicht jedermanns Sache… wenn sie auf Nostalgie machen wollen; wie wäre es mit einem Sepiafilter?

  • Thomas Gundlach says:

    In puncto “ bayerisches Mia-san-mia-Gefüh“ liegt er völlig richtig…..
    ….auch wenn wir gebietskörperschaftlich zu sehr auseinander gerissen sind, ist eine gemeinsame Identifikation mit dem Tal unabdingbare Voraussetzung für jegliche nachhaltige Entwicklung. Die politischen Grenzen mögen wir so schnell nicht verschieben können, die Grenzen im Kopf hingegen schon…..in anderen Landesteilen, welche ebenfalls mehr oder weniger touristisch entwickelt sind, versteht man sich als Moselaner, Eifeler/Eifelaner, Westerwälder/Wäller, Hunsrücker, Pfälzer, usw……idetifiziert sich mit seiner Region. Als „Mittelrheiner“ könnten wir dies auch tun.!