Lärm macht krank – und gesellig

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Wie ich eine Oberweseler Bürgerinitiative besuchte und bei Wein und Wurst einen Abend lang Plakate ausmalte. Alles zur Vorbereitung auf die große Bahnlärm-Demo morgen in Koblenz – zu der die Protestler aus dem Mittelrheintal freilich mit der Bahn anreisen.

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Bürgerwut auf Baumarktfolie: Plakatemalen für die Bahndemo

Die zwei wichtigsten Utensilien hatte ich binnen Sekunden in der Hand: rechts einen Farbpinsel, links ein Glas Wein. Lachend sagte Harald Steppat, der Chef der Bürgerinitiative Oberwesel22, zu mir: „So ist das hier, Frau Schober, bei uns gibt’s zu allem erst mal ein Gläschen Wein. Auch zum Bahnlärmprotest.“ Na, dann Prost!

In meiner ersten Woche im Mittelrheintal komme ich um die drängende Frage dieses Landstrichs nicht drum herum. Alle, wirklich alle, reden hier über den Bahnlärm. Im Supermarkt, auf der Straße, auch in der Bahn. Ich kann mir dieses Thema nicht für später aufheben, es beschäftigt die Leute hier und jetzt. Außerdem ist ja gerade Bahnstreik. Eigentlich ein kurioser Zufall. Kaum bin ich hergezogen, fahren weniger Züge. Für manch einen, der nah an den Bahngleisen wohnt, sind die Tage des Bahnstreiks die ersten ruhigen im Jahr. Die Leute schlafen sonst ganzjährig mit Ohrenstöpseln. Nun ist der Bahnverkehr hier nicht komplett zum Erliegen gekommen, die Mittelrheintalbahn und einige Güterzüge sehe ich trotzdem täglich von meiner Burg durchs Weltkulturerbe donnern.

Ich versuche das Leid der Menschen zu verstehen. Aber es ist auch ein Panoptikum. Fast jeder Ort organisiert seinen eigenen Protest, denn jeder hat seine eigenen Interessen. Die einen wollen einen Tunnel, die anderen den Tunnelausgang aber unbedingt ein Stückchen weiter hinten. Die einen wollen die Natur schützen, die anderen das Weltkulturerbe, und noch andere schlicht ihr eigenes Trommelfell. Wenn man selber nicht betroffen ist, ist das Thema Bahnlärm wahnsinnig unsexy. Die Touristen maulen, die Wutbürger rasseln mit den Ketten. Die Lage ist unübersichtlich. Und gefährlich für eine wie mich, die sich hier einleben will. Eine Fettnäpfchen-Allee entlang der Trasse. Wer hier zum Thema Lärm was Falsches sagt, ist ganz schnell untendurch. Dezibelzahlen, Bestandsschutz, Flüsterschienen. Der Bahnlärmprotest hier ist so durchorganisiert, dass man als Außenstehende erstmal nur Bahnhof versteht.

Ich habe aber beobachtet: Der Bahnlärm verbindet die Menschen. So irre es klingt, ausgerechnet der Ärger über den Krach ist der gesellschaftliche Minimalkonsens. Lärm macht krank – da sind sich alle einig, ja. Und damit macht der Lärm auch gesellig.

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Alles ganz transparent: Die Demonstrierenden fordern ein „Recht auf Ruhe“ und malen dafür Transparente

Um das Thema besser zu verstehen, bin ich also direkt zu einem Treffen einer Bürgerinitiative gegangen. Ich mag Plakate malen und dachte mir: „Jau, da mache ich mit.“ Da ich ahnte, dass ich mit dem Thema Lärm im nächsten halben Jahr wohl noch öfter befassen werden, haben ich denen gesagt: „Wir müssen beim Urschleim anfangen. Ihr müsst mir alles so erklären, dass ich es auch als Zugereiste begreifen kann.“

Und so stehe ich an einem lauen Abend im Mittelrheintal gutgelaunt da, rechts in der Hand der Farbpinsel, links das Weinglas. Ich bin in Oberwesel, mit zehn Leuten sehe ich in einer großen Lagerhalle, in der allerhand Mittelalterkram rumsteht. Hier wird sonst das Spectaculum vorbereitet. Jetzt steht ein anderes Spektakel bevor. Die große Bahnlärm-Demo am Samstag in Koblenz ist das Geprächsthema. Die Mitglieder der Bürgerinitiative sind herzlich, geduldig erklären sie mir ihr Anliegen. Die Stimmung ist gut. Einer war heute im Baumarkt und hat große weiße Folien gekauft. Ein anderer hat mit Powerpoint ein paar Plakatparolen entworfen und sie der Gruppe zur Abstimmung gestellt. „Recht auf Ruhe“ oder „Welterbe im Würgegriff“ haben sich durchgesetzt. Diese Zeilen wirft ein Dia-Projektor an die Wand, es wird abgepaust und ausgemalt. Ich stelle mich dazu und male mit.

Grün, rot, schwarz. Während wir die Pinsel schwingen, kommen wir ins Gespräch. Normalerweise würde ich mich als Journalistin nie so weit einmischen. Ich verliere die Distanz, weil ich die Leute hier wahnsinnig nett finde. Als Burgenbloggerin will ich mich hier drauf einlassen. Ich frage dann so Sachen wie:

  • „Aber hören Sie mal, Sie wussten das doch schon, als sie hier her gezogen sind, dass vor Ihrer Tür die Gleise sind!“ Antwort: „Ja, aber heute sind es mehr als 400 Züge am Tag!“
  • „Naja gut, aber Sie schaden doch mit Ihrem ewigen Ningeln der Region, oder? Wenn man immer nur über den Lärm schimpft, stimmen die Touristen doch irgendwann ein in dieses Lied“ Antwort: „Mag sein, aber wir wollen der Bahn zeigen, dass wir entschlossen sind. Die können hier durchrauschen wie sie wollen, ein Güterzug nach dem anderen.“
  • „Wie wollen Sie denn am Samstag zur Demo kommen?“ Antwort: „Mit der Bahn.“ Ich sage: „Na also, dann sind sie ja doch froh, dass es die Bahn gibt und wenigstens die private Mittelrheintalbahn nicht streikt, oder?“. Antwort: „Ja, wir sind ja auch nicht per se gegen die Bahn! Wir wollen ja auch, dass hier Züge fahren. Aber wir wollen hier auch leben“
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Die Vorbereitungen fürs Demo-Spektakel laufen in der Spectaculum-Lagerhalle. Und, ja: Ich male ein A

Eines ist klar: Das hier wird dauern. Auf die Schnelle kann ich nicht durchdringen, wer hier richtig liegt, wer falsch. Die anderen Bürgerinitiativen im Tal habe ich noch gar nicht gesprochen. Geschweige denn mit der Bahn. Ich werde mir das Thema ja auch immer wieder mal vornehmen. Nur will ich mich in meiner Unbedarftheit auch nicht einnehmen lassen. Der Bäcker in der Runde klopft sich die Hände aus, er muss früher los, der Brötchenteig wartet. Aber er sagt noch zu mir: „Wissen Sie, das Thema hier beschäftigt uns seit Jahren, aber ganz ehrlich: Im Mittelrheintal ist es doch sonst eigentlich ganz schön.“

Es ist spät geworden im Protestlager. Die Plakate trocknen vor der Halle, stille Zufriedenheit ist eingekehrt. Abends um zehn sitzen wir alle bei Wildscheinwurst zusammen und schmieden Pläne für die Demo am Samstag. Fällt kaum mehr auf, dass ich neu hier bin. Es ist urig, gemütlich. Die Winzerin in der Gruppe hat ein paar Flaschen ihres Weißen mitgebracht. In ihrer Wut auf den Endgegner Bahn haben sich alle gerade schön eingeschunkelt. Tatsächlich hatten wir einen geselligen Abend. Also, gegen die Bahn kann man ja viel sagen. Aber eines hat sie heute Abend geschafft: Sie hat Menschen zusammen gebracht.

Und ich bin jetzt gespannt, wie die Demo am morgigen Samstag wird. Da werde ich sicher noch mehr über das Thema lernen. Ich will ja genau hinhören.

7 Kommentare

  • Struppi says:

    So ein Thema ist für Aussenstehende immer schwer.

    Das grundlegende Problem ist das Maß des Lärms. Ich erlebe das persönlich hier in Mainz am Fluglärm. Bis vor einigen Jahren war mir gar nicht bewußt, wie nah der Flughafen von Mainz ist. Ich hab zwar Flugzeuge gesehen und manchmal auch gehört. Es hat aber – zumindest hier – nicht gestört.

    Dann wurde die neue Landebahn eröffent und plötzlich flogen am Tag hunderte von Flugzeugen über mein Haus, wo ich seit vielen Jahren glücklich lebe. Da die Flugrouten von der Windrichtung abhängt, gab es Phasen – vor allem im Sommer bei schönen Wetter – an denen zwei Wochen am Stück von 5 Uhr bis 23 Uhr ein Lärm der eine Unterhaltung nur bei geschlossenen Fenster möglich machte.

    Dieses Jahr war der absolute Horror und ich war kurz davor wegzuziehen (nur wohin? die Flugrouten sind bis zu 30 KM um Mainz hörbar).

    Das Erstaunliche ist, seit zwei Jahren wird anders geflogen. Es gibt zwar noch Phasen die so laut sind, aber meist nur Stundenweise und ganz selten mal einen Tag am Stück. Der Lärm ist also immer noch vorhanden, er läßt sich aber ertragen.

    Und genau das, die Dauer des Lärms ist im Rheintal das Problem. Wer jede Nacht 120 und mehr Güterzüge am Haus vorbei fahren hören muss, wird das kaum ertragen. Zumal das früher ja nicht so war.

    Wer das Glück hat etwas entfernt, vielleicht Lärm geschützt durch einen Wald oder Fels zu sein, kann das leichter ertragen. Nur für die erste Gruppe hängt auch ihr ganzer Lebensentwurf mit dieser Belastung zusammen und bedeutet entsprechender Leidensdruck, den „Zuschauer“ nicht nachvollziehen können.

    Als Hintergrund zu der Geschichte ist auch der Gotthardtunnel und damit die Achse Rotterdam Genua interessant, was noch zu einer deutlichen Steigerung dieses Lärms führen wird.

    Aber an sich waren die Züge im Rheintal eine schöne Sache, ich bin die Strecke immer gerne gefahren und auch für die Bewohner ist das an sich eine gute Sache, aber der Güterverkehr durch ganz Europa nutzt dem Rheintal wenig.

  • Hein Bloed says:

    Einen habe ich noch: https://www.laermaktionsplanung-schiene.de/
    Wenn ich da so reingucke, sind aus dem Mittelrheintal noch nicht allzuviele Meldungen zu finden. Vielleicht ist die Plattform noch nicht so lange online – also mitmachen, damit sich etwas ändert.

  • Hein Bloed says:

    Ich fahre ja auch oft mir der Bahn, bin deshalb auch öfter auf Bahnhöfen und höre deshalb auch öfter mal einen Güterzug vorbeifahren. Zunächst fragt man sich da, wie so etwas lautes erfunden werden und dann auch in den normalen Betrieb gehen konnte.

    Umgekehrt ist es tatsächlich hörbar, welche Wagen alt und welche lärmschonend umgerüstet worden sind. Das ist ein deutlicher Unterschied.

    Mich interessiert, ob diese Lärmreduktion für die Leute im Mittelrheintal ausreichend ist oder ob dort – z. B. auf Grund der Masse der Züge – noch mehr getan werden muss.

  • Tim says:

    Jaja die Fettnäpfchen… Ich trete da auch ab und an mal rein. ;-)
    Damals hatten wir Stammgäste in der Burgschänke die tatsächlich nur wegen der Züge gekommen sind. Es sieht aber auch wirklich von da oben wie eine Märklin Eisenbahn aus. Und unsere Gäste hatten noch ein Hobby: Sie haben gezählt wie viele Wagons an den Güterzügen hingen. Es waren einige! Und zu der Zeit haben sich nur sehr wenige über die Bahn aufgeregt. Die wenigen haben aber z.B. Schallschutz Fenster von der Bahn bezahlt bekommen. Ich fragte mich damals schon was das soll. Die bauen oder kaufen ein Haus an der Bahn und bekommen dann Fenster gezahlt weil die Bahn ja so laut ist?!
    Ich finde es gut wenn Menschen noch auf die Straße gehen und ihren Unmut kund tun, aber wie Du auch schon festgestellt hast macht da jeder sein eigenes Ding (nicht nur beim Thema Bahnlärm). Oberwesel z.B. hätte gerne einen Tunnel. Es gab sogar einen Vorschlag der Bahn für einen Tunnel am Oelsberg. Der Protest der Winzer ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich sah man den Oelsberg und die Flächen gefährdet durch die Pläne der Bahn. Dabei gäbe es die Flächen ohne die Bahn gar nicht, oder? War da nicht alles verwildert vor ein paar Jahren? Aber es gab bald schon neue Vorschläge. Einer davon war ein Tunnel der bereits vor dem Ortseingang von Oberwesel starten sollte bis hinter St. Goar. Ich frage mich da: Wer kommt auf solche Ideen? Sollte man nicht froh sein einen Bahnhof Zentral im Ort zu haben? Will man das wirklich weg haben? Abgesehen von den kosten frage ich mich welchen nutzen die anderen Orte am Mittelrhein davon hätten. Meiner Meinung nach steht die Bahn in der Pflicht baulich alles dafür zu tun das der Bahnlärm minimiert wird durch z.B. Flüsterbremsen oder Schallschutzwände. Davon hätten dann alle etwas. Dafür würde ich dann sogar mit auf die Straße gehen. Aber dazu müssten sich eben alle einig sein und nicht jeder für sich sein Süppchen kochen.
    Ich bin gespannt wie Du über den heutigen Protesttag berichtest und wie Deine Meinung dazu ist. Und wenn Dir das Thema langweilig wird gibt es ja noch das Brückenthema am Mittelrhein. ;-)

    P.S.: Ich finde gut wie Du darüber schreibst bisher. Lass Dich nicht verbiegen. ;-)

  • Jessica Schober says:

    Kleiner Nachtrag zum Thema: Meinen Lieblingsmoment des Abends habe ich euch noch vorenthalten. Der kommt jetzt: Der freundliche Herr Bappert, Postmitarbeiter und gebürtiger Oberweseler, malt gerade das Logo des Unesco Weltkulturerbes auf dem Plakat aus und moderiert dabei so schön einmal den Rhein entlang. Herrliches Video, das ich hier teilen darf: https://www.facebook.com/burgenblogger/videos/470224219802266

  • Roland says:

    Dieser Bericht zeigt, dass Distanz nichts bringen würde. Das gäbe ein schlechtes halbes Jahr für die burgenbloggerin! Nähe ist der einzige Weg für diese Aufgabe. Der Tag ist sehr gut gelaufen!

  • Mikel Bower says:

    Die Erfindung der journalistischen Burgenbloggerin, zwischen Distanz und Nähe wird schwierig, aber das liest sich schon sehr gut. Die richtige Dosis „Ich“. Das ist eben kein Unternehmen für den „Jour“.