Ist das Welterbe, oder kann das weg? – Ein Diskussionsbeitrag

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Eingangsschild zum Garten der Villa Katharina.

Am ersten Sonntag im Juni feiern alle Welterbe-Stätten in Deutschland den Welterbetag. Auch im Oberen Mittelrheintal gibt es zahlreiche Veranstaltungen dazu. Das Welterbe feiert sich selbst. Muss auch mal sein. Kaum eine Diskussion, ob es nun Brücke, Buga oder Windräder sind, bei der nicht sofort die Unesco-Karte gezückt wird: “Achtung: Welterbe!” Drei persönliche Begegnungen dazu.

Die Wir-Gefühl-Macher

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Im ganzen Tal weisen Fahnen wie diese auf das Unesco-Weltkulturerbe hin. (alle Fotos: Moritz Meyer)

Der Zweckverband Welterbe residiert seinem Namen gemäß recht zweckmäßig in einem unscheinbaren Bau in der Dolkstraße in St. Goarshausen. Geschäftsführerin Nadya König-Lehmann und Sara Scheer zeigen mir in einer ausführlichen Präsentation, was der Welterbeverband alles macht und tut in der Region. Rheinleuchten. Architektur. Landschaftspflege. Mittelrheinkirsche. Welterbecomic. Welterbegästeführer. Welterbemarketing. Welterbe. Welterbe. Überall Welterbe. Geht man auf der Webseite des Zweckverbands auf den Reiter “Projekte” öffnet sich ein Menü mit 32 Unterpunkten! Kein Wunder, dass ausgerechnet für einen Relaunch eben dieser Webseite nie Zeit war. Die sieht so aus, als könnte man sie inzwischen selbst zum Weltkulturerbe erklären. “Ist in Arbeit”, versichert mir Nadya König-Lehmann. Wenn nur nicht so viel zu tun wäre. “Unsere Hauptaufgabe ist es, ein Wir-Gefühl zu erzeugen”, fasst die Zweckverbands-Chefin zusammen. Ein wenig erinnert mich das an die Europäische Union. Auch hier geht es um ein Wir-Gefühl. Doch was bei den Menschen ankommt, sind Regelungen, Auflagen, Bürokratie.

Die Gallier vom Mittelrhein

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Der Franzosenkopf: Hier oben hätte Niederheimbach gerne Windräder.

Das ganze Mittelrheintal ist von der Unsesco besetzt. Das ganze Tal? Nein. Ein kleines Dorf mit seinen unbeugsamen Bewohnern wagt es, Widerstand zu leisten. Ungefähr so würde Heinz Wagner wohl die Geschichte von Niederheimbach erzählen. Der Häuptling Ortsbürgermeister von Niederheimbach sagt mir bei unserem ersten Treffen: “Man kann eine Gemeinde verwalten oder gestalten.” Keine Frage, zu welcher Fraktion er sich zählt. Und weil es Niederheimbach an touristischen Anziehungspunkten mangelt, entwickelt er andere Ideen. Windräder auf dem Franzosenkopf zum Beispiel, der höchsten Erhebung am Mittelrhein und laut Wagner idealer Standort für Windenergie: “Sonst ist da oben doch nix.” Dabei wird es wohl bleiben. Auf Seite 57 im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung wird neuen Windkraftanlagen im Welterbegebiet eine eindeutige Absage erteilt. Wie wäre es dann mit einem Seniorenheim auf dem einst bei Reisenden beliebten Märchenhain von Niederheimbach? Stop: Achtung, Welterbe! Die Unesco-Auflagen schrecken Investoren ab, sagt Wagner und ergänzt: “Der Welterbetitel darf nicht wirtschaftlicher Entwicklung im Wege stehen.”

Der Welterbegärtner

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Der verwunschene Welterbe-Garten der Villa Katharina.

Diese Aussage würde auch Hasso Mansfeld sofort unterschreiben. Dass es keine Windräder auf dem Franzosenkopf geben wird, darüber ist der Unternehmensberater, der zehn Jahre für die FDP im Stadtrat von Bingen saß, allerdings ganz froh. Von seinem Wohnzimmer in der Villa Katharina in Bingen hat er einen wunderbaren Ausblick in Richtung der Erhebung. Und den genießt er lieber ohne Windräder. Es gibt halt immer zwei Perspektiven, in diesem Falle wortwörtlich. Am kommenden Welterbetag wird der zur Villa Katharina gehörende Garten in die Route der Welterbegärten aufgenommen; noch so ein Projekt des Zweckverbands Welterbe. “Jetzt sind wir Teil des Welterbes, darauf sind wir schon stolz”, sagt der gelernte Gärtner und Landwirt Mansfeld und bezieht ausdrücklich seine Ehefrau Sabina mit ein, mit der er das Anwesen hergerichtet hat. Um eine “zeitgemäße Interpretation” sei es ihm gegangen, gleiches würde er sich für das Mittelrheintal wünschen. Dazu gehört für ihn auch der Bau mehrerer Brücken in der Region, denn: “Mobilität ist zeitgemäß.” Gleiches könnte man wohl auch für Erneuerbare Energien sagen. Zwei Perspektiven halt.

Was macht also das Welterbe mit der Region?

  1. Es beflügelt. Das sieht man beim Zweckverband. Es wird viel gemacht und es bringt was. 450 Millionen Euro öffentliche Gelder sind seit 2002 in die Welterberegion geflossen.  
  2. Es frustriert. 59 Mitglieder hat der Zeckverband Mittelrhein, davon 48 Städte und Gemeinden. Es ist unmöglich, immer alle zufriedenzustellen. Nur darf man die Enttäuschten nicht allein lassen.
  3. Es inspiriert. Trotz allem sind die Menschen stolz darauf, zur Welterberegion zu gehören. Das Wir-Gefühl ist da, auch wenn es manchmal schwer ist, es herauszukitzeln.

Wie denkt ihr über den Welterbetitel? Ich freue mich auf Kommentare dazu.

4 Kommentare

  • Für mich ist es das Land der Märchen und Sagen. Als Kind war es mir völlig selbstverständlich, in diesem Land zu sein. Irgendwann habe ich dann erfahren das andere in ganz anderen „Ländern“ aufwachsen. Ich denke aber das es genau das ist was viele Besucher fasziniert und hier suchen, die Märchen und Sagen der Kindheit oder das Gefühl dazu, nicht reine geschichtliche Fakten. Insofern, ja, ist das Mittelrhein-Tal ein kulturelles Erbe der Welt, in der westlichen Welt mit dem was es darstellt, an Phantasie anregt, uns gewissermaßen umarmt, vielleicht viel tiefer verankert als uns im Alltag bewußt ist, und schützenswert.

    Das mit dem fördern ist eine ziemlich schwere Aufgabe die Fingerspitzengefühl braucht, Stagnation und verbleiben in den 50er bis 70er Jahren die sich stellenweise noch zeigen ist meines Erachtens nicht die Rhein Romantik, diese geht doch einerseits viel länger in der Zeit zurück und bleibt auch erhalten wenn sich das Umfeld mehr an die Moderne ausrichtet, das wesentliche ist der Rhein, die Burgen, die Gemeinden, und nicht deren jüngere Geschichte.

    Darum herum Zukunft gestalten, auf dezente Weise, mit Schutz UND Förderung, ja, unbedingt, insbesondere als weltweit publiziertes Weltkkulturerbe. Auch wenn es noch viele gibt, jedes ist unersetzlich.

    Ich finde es sehr spannend wieviel Engagement es gibt fern der großen Würfe. Zb Freifunk. Das Schutz und Förderung immer wieder neu verhandelt werden liegt wohl in der Natur der Sache, aber diese kleinen Veränderungen, zb noch ein Garten dazu, oder Bürger die ihre Häuser schmücken, das haben wir selbst in der Hand. Zusätzlich.

  • Mona Jung says:

    Meine Allgemeinbildung gibt her, dass Weltkulturerbestätten besonders einmalige und schützenswerte Orte sind. Es gibt strengere Richtlinien und Gelder. Aber der ganze Wirbel und die Werbung und diese komische Logo wikt für mich aufgesetzt. Es ist wie eine spektakuläre Verpackung, Aber eigentlich kommt es auf den Inhalt an. Man kann das jetzt unglaublich hoch hängen, dass ein Gremium beschlossen hat, dass dies Gegend einmalig und schützenswert ist.
    Wichtiger für mich ist jedoch, dass die Gegend fasziniert, dass man sich dort wohlfühlt, dass man dort Kraft tanken kann. Für mich ist das Mittelrheintal so ein Ort, trotz aller berechtigter Kritik.
    Der Limes ist zum Beispiel auch Weltkulturerbe, aber die erhaltene Wälle im Wald und die rekonstruierten Türme sagen mir nichts, egal ob die jetzt den Titel haben oder nicht. Lediglich die Kastellreste tief im Wald in Holzhausen sind für mich faszinierend, auch ohne Welterbefahne,.

  • Marianne says:

    Hasso Mansfeld hat schon vieles, das ich ähnlich sehe, vorweg genommen. Ich habe hie und da den Eindruck gewonnen, das „Weltkulturerbe Mittelrheintal“ wird als Selbstverständlichkeit für diese wunderschöne Gegend per se wahrgenommen. Veränderungen werden als nicht notwendig erachtet, man trauert vergangenen Zeiten hinterher, als der Rubel von selbst rollte.

    Dabei darf man eine Landschaft nicht isoliert sehen, sondern als Ganzes mit den Menschen und der gesamten – auch touristischen – Infrastruktur. Wir haben schon viele Welterbe-Stätten auf der ganzen Welt besucht und sehen das auch hier oft mit dem Auge des Touristen. Zumal wir „Zugezogene“ sind und vieles immer noch von außen betrachten. Auch unsere auswärtigen Besucher sehen mehr als nur die schöne Landschaft und äußern sich entsprechend.

    Was nutzt der Titel, wenn immer mehr Menschen hier wegziehen, viele Häuser leerstehen ? Potemkinsche Dörfer die Rheinromantik vorgaukeln haben auch nur ein begrenztes Potential. Man muss die Chance „Weltkulturerbe“ immer wieder neu erkennen, aktiv gestalten und nutzen. Sie darf nie zur Gewohnheit werden ! Es gibt viele wunderschöne Landschaften in Deutschland, so einzigartig ist das Mittelrheintal nicht. Das sollte man sich immer vor Augen halten.

  • Für mich ist der Titel „Weltkulturerbe“ ein Rahmen, den es gilt verantwortlich und zeitgemäß zu interpretieren. Innerhalb dieses Rahmens muss wirtschaftliche Entwicklung möglich sein. Und natürlich auch Veränderungen. Allem voran bauliche Aktivitäten: Brücken, Skywalks, Gastronomie, Gewerbe, Wohnraum. Ansonsten führt der „Welterbestatus“ nur zu einem schleichenden, folkloristisch umrahmten, Niedergang.

    Was man verändert gehört natürlich einem Abwägungsprozess unterzogen, Und es bedarf eines Reflektionsprozesses, welche Elemente man für das Weltderbe Mittelrheintal für konstituierend erachtet. Dazu gehört, meiner Meinung nach, auch die Veränderung an sich. Schließlich hat sich das Mittelrheintal ja auch durch einen stetigen Prozess zu dem entwickelt, was es heute darstellt. „Panta rhei“ – alles fließt. Es gibt kaum einen Ort, für den diese Formel treffender ist, als das „Weltkulturerbe Mittelrheintal“.