Diese Hoteliersfamilie aus Boppard beantwortet JEDE Online-Bewertung zu ihrem Hotel

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Doris Gawel und Sohn Marek leiten das Bellevue.

Selten hatte ich das Gefühl, offenere Türen einzurennen, als im Hotel Bellevue in Boppard. Es dauert nicht mal eine Minute bis Inhaberin Doris Gawel vor mir steht, nachdem ich mich an der Rezeption als Burgenblogger vorgestellt habe. “Es freut mich, dass sie endlich hier sind”, begrüßt sie mich, als hätten wir uns schon vor Wochen verabredet. Dabei bin ich ganz spontan nach Boppard gefahren, nachdem ich herausgefunden hatte, dass sich das Bellevue in einem Punkt von allen anderen Hotels am Mittelrhein unterscheidet.

Der Außenbereich des Bellevue in Boppard. (Alle Fotos: Moritz Meyer)

Wie gut sind denn jetzt die Hotels und Restaurants am Mittelrhein, hatte ich mich gefragt. Und weil ich mich ja schlecht durch alle Betriebe einzeln durchprobieren und durchschlafen kann, tat ich das, was man heutzutage halt so macht. Ich guckte im Internet. Denn auf Portalen wie TripAdvisor, HRS, booking.com geben Gäste inzwischen fleißig Bewertungen ab und schreiben, wie ihnen ihr Aufenthalt gefallen hat. Ich begann also, mir die größeren Hotels und Restaurants in Orten wie Oberwesel, Boppard oder Kaub anzugucken. Als ich bei TripAdvisor das Bellevue anklickte, wurde ich stutzig. Tatsächlich: Unter jeder Gästebewertung stand eine Antwort vom Hotel Bellevue. Und nicht nur da: Auch auf anderen Portalen reagierte das Hotel auf jeden Kommentar, egal ob deutsch oder englisch. Kein anderes Hotel oder Restaurant war so aktiv im Netz wie das Bellevue. Jetzt war ich neugierig und machte mich auf den Weg nach Boppard. Vor dem Losfahren hätte ich mir allerdings besser Gedanken über meine Garderobe gemacht.

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Kleiner Tipp: In diesem Outfit fühlt man sich im Bellevue leicht deplatziert.

Während ich Frau Gawel ins Restaurant folge, schäme ich mich fast für meinen Burgenblogger-Freizeitlook, den ich trage. In Jeans, Fleece-Pullover und Wanderjacke fühle ich mich in dem edel eingerichteten Bau komplett deplatziert. Erst recht in Gegenwart der tadellos und elegant gekleideten Hotelchefin, die mich gerade ins Restaurant begleitet und fragt, ob ich etwas trinken möchte. Mit einem Nicken leitet sie meinen Wunsch nach einem Cappuccino an einen ihrer Mitarbeiter weiter. Am Tisch wartet sie, bis ich mich gesetzt habe, bevor sie ihren eigenen Stuhl beiseite zieht und Platz nimmt. Die strenge Etikette passt zu dem Traditionshotel, das seit 129 Jahren existiert. Doch das Tradition nicht gleich altmodisch sein muss, sieht man am Onlineauftritt des Bellevue. Wieso betreiben sie diesen ganzen Aufwand, will ich von Doris Gawel wissen.

An diesem Punkt bittet sie Marek Gawel dazu: Der Sohn von Doris und Jan Gawel verkörpert die fünfte Generation der Hoteliersfamilie. Nach einer klassischen Hoteliersausbildung und Wirtschaftsstudium mit Aufenthalt in den USA kehrte er in den heimischen Familienbetrieb zurück. Den will er jetzt gemeinsam mit den Eltern ins moderne Hotelzeitalter führen. Vorbei die Zeiten, als Reisende dicke Kataloge wälzten oder ins Reisebüro ihres Vertrauens gingen. Hotels werden inzwischen zum überwiegenden Teil online gesucht und gebucht. Bewertungen anderer Gäste spielen dabei eine wichtige Rolle.

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Das Restaurant Chopin im Hotel „Bellevue“ bekommt überlicherweise sehr gute Bewertungen.

Darum ist es Familie Gawel wichtig, gerade auf die Beschwerden persönlich einzugehen. Auf TripAdvisor beschwert sich Userin Veronika G über “Chaos im Restaurant”. Falsch servierte Gerichte, lange Wartezeiten, überforderte Kellner: Harter Tobak für das Bellevue, das an sich selbst höchste Ansprüche stellt. In der ausführlichen Antwort des Hotels heißt es: “Dafür, dass Sie so lange auf Ihr Essen warten mussten und zusätzlich falsche Beilagen serviert wurden, möchten wir uns in aller Form bei Ihnen entschuldigen. (…) Wir können Ihnen versichern, dass derartige Vorkommnisse bei uns eine absolute Ausnahme sind.” Die negative Bewertung wird dadurch nicht ungeschehen gemacht, aber andere Nutzer sehen, dass das Hotel Fehler eingesteht und sich mit Kritik auseinandersetzt. Das bleibt auch im Betrieb nicht ohne Folgen: Die Bewertungen aus dem Netz führen zu Umstellungen im Service oder Änderungen in bestehenden Abläufen, sagen die Gawels.

Die Online-Bewertungen sind aber auch aus einem anderen Grund wichtig. Wer häufig und kontinuierlich gute Bewertungen erhält, wird von den Suchalgorithmen der Portale höher bewertet und taucht deswegen weit oben in den Suchlisten auf, erklärt Marek Gawel. Mehr gute Bewertungen führen damit zu mehr Buchungen. Darum fordert das Bellevue seine Gäste aktiv dazu auf, sie online zu bewerten. Zwei Tage nach dem Aufenthalt erhält jeder Gast eine E-Mail dazu. Um das Feedback zu bewältigen, hat die Familie einen eigenen Social Media-Manager angestellt. Im Laufe der Zeit haben sich aus wiederkehrenden Beschwerden, wie zum Beispiel “Bahnlärm”, Standardantworten entwickelt. Ein rund 20 Seiten langes Dokument liefert die Bausteine für die Kommentarantworten. Hier und da wirkt das arg gestelzt (“Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bilden das Fundament unserer gesamten Arbeit, das wir jedem Gast zuteilwerden lassen.”). Aufgefangen wird das um ein bis zwei ganz persönliche Sätze, die in jeden Kommentar des Hotels einfließen.

Dank guter Bewertungen steht das Bellevue in vielen Hotelportalen ganz oben.

Lohnt sich dieser Aufwand? frage ich Marek Gawel. Gibt es dadurch mehr Buchungen? Seine Antwort: “Es ist auch für uns ein Experiment. Wir investieren jetzt, um zu sehen, ob es funktioniert. Wenn wir erkennen, das bestimmte Dinge nicht laufen, werden wir es auch wieder ändern.” Experimentierphase also. Bis jetzt scheint die Strategie aufzugehen: Das Bellevue gehört nicht nur zu den am besten bewerteten Hotels der Region. Es erhält insgesamt sehr viele Bewertungen. Nur eine Sache gibt es laut Marek Gawel nicht: Dass sich Gäste mit der Androhung einer schlechten Bewertung Sonderleistungen erschleichen können. Auch das kommt vor und ist eine der Schattenseiten der neuen Kommentar- und Bewertungsfreudigkeit im Netz. Doch die muss man aushalten, wenn man neue Wege beschreiten will.

 

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