Der Fluss gehört den Göttern

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Im Mittelrheintal gehen die Meinungen auseinander, spricht man das Thema Flusskreuzfahrten an. Während die einen glauben, dass das Tal nicht viel von dieser Art Tourismus profitiert, weil die Gäste an Bord komplett versorgt werden und lediglich für kurze Ausflüge an Land gehen, denken andere, dass einige dieser Touristen bestimmt nochmal wiederkommen, um die Region auch an Land zu erkunden. Ich glaube, die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo in der Mitte.

Wer aber sind die Menschen, denen man vom Ufer aus manchmal direkt ins Schlafzimmer schauen kann? Die im Bademantel auf dem Balkon stehen und der vorbeiziehenden Landschaft hinterherblicken. Das habe ich mich in den vergangenen Monaten oft gefragt, wenn mal wieder ein Flusskreuzer durchs Bild fuhr. Ich beschloss, mal an Bord zu gehen und mir selbst einen Eindruck zu verschaffen.

Ein Tag auf der „Viking Kara“

Noch ist es ruhig an Bord. Die „Viking Kara“ liegt am Anleger in Braubach. Über ihr thront die Marksburg. Am Ufer steht ein Lkw, der Nachschub bringt. Einige der insgesamt 50 Mitarbeiter bilden eine Kette, um die Kisten zügig aufs Schiff zu verladen. Sogar die Hotelmanagerin packt mit an. Die Uhr tickt. In einer halben Stunde kehren die Gäste zurück. Die reedereieigenen Busse werden sie von der Burg wieder zum Schiff bringen. Dann geht die Fahrt weiter. Nächster Halt: Rüdesheim.

„Rhine Getaway“ heißt die Reise, die 190 Gäste von Amsterdam nach Basel bringt. Acht Tage, vier Länder, sechs geführte Tagestouren und komplette Verpflegung an Bord. Ab umgerechnet rund 2100 Euro. Die Angebote von Viking River Cruises richten sich vor allem an Gäste aus englischsprachigen Ländern – USA, Kanada, England. „Die meisten unserer Gäste kommen aus den USA“, sagt Hotelmanagerin Valerie Michurina. Die Sprache an Deck ist deshalb Englisch.

Die Marksburg in Braubach, der Ritt in Osterspai, das Wallfahrtskloster in Kamp-Bornhofen. Langsam ziehen sie vorbei. Sie heischen nach Aufmerksamkeit, wollen beachtet und bestaunt werden. Gäste zücken Kameras und Smartphones, machen Fotos und lauschen dazu der Moderation an Bord, die kurze Infos zum Gesehenen gibt. Andere nehmen nur beiläufig Notiz von all dem. „Warum soll ich hier Hunderte Fotos von Burgen machen, die sich zu Hause sowieso niemand ansehen will“, wird ein Mann später zu einigen anderen Gästen sagen. Wahrscheinlich hat er recht damit. Auch an Deck zeigt sich, nach etwa der Hälfte der Strecke durch das Obere Mittelrheintal hat auch der interessierteste Passagier allmählich genug von Burgen und ihrer Geschichte.

Das Spiel mit den Klischees

Viking River Cruises ist einer der weltweit größten Flusskreuzfahrtanbieter. Im Jahr 2006 erzielte das Unternehmen laut Wikipedia einen Umsatz von mehr als 200 Millionen Dollar. Weltweit sind 1700 Mitarbeiter beschäftigt. „Für die gesamte Saison 2018 haben wir eine Kabinenauslastung von 99 Prozent für das Produkt „Rhine Getaway“, sagt Nicole Kaiser, Onboard-Managerin des Unternehmens. Auf dem Rhein von Amsterdam nach Basel fahren zwölf baugleiche Flusskreuzer, die alle nach nordischen Gottheiten benannt sind. Kara, das ist eine der Walküren in der nordischen Mythologie. Ein Bild von ihr hängt am Treppenaufgang zur Lobby des Schiffs.

Kaum sind die Gäste wieder an Bord, ist es zunächst einmal vorbei mit der Ruhe. Das Mittagessen wird aufgetischt, schnell bildet sich eine Schlange vom Büffet bis zur Bar. Andere treibt zuerst der Durst an, Wein und Bier wandern besonders oft über den Tresen. „Warst du mit auf der Burg?“, fragt eine Frau einen anderen Gast. „Ja, und ich kann den Horror noch immer spüren“, antwortet er und lacht. Romantische Schlösser, gruselige Burgen, mit Wein bewachsene Steilhänge. Das ist es wohl, was viele Touristen aus Übersee mit diesem Teil von Deutschland verbinden. Deswegen sind sie hier. Weitere Stopps der Reise: Köln, Heidelberg und Breisach im Schwarzwald. Dom, Schloss, Kuckucksuhr.

“I see skies of blue, and clouds of white

The bright blessed day, dark sacred night

And I think to myself

What a wonderful world”

Unaufdringlich erklingt Louis Armstrongs „What a Wonderful World“ aus den Lautsprechern. Ja, gerade ist die Welt wirklich in Ordnung. Die Atmosphäre an Bord ist gut. Es fällt schwer, sich hier nicht wohlzufühlen. Nach dem Essen kehrt wieder Ruhe ein. Die Gäste verteilen sich. Die meisten zieht es zunächst aufs Sonnendeck. Andere bleiben lieber in der klimatisierten Lounge. Einige ziehen sich auch in ihre Kabine zurück. Es wird gelesen, gedöst, fotografiert und geredet. Lesestoff gibt’s an Bord mehr als genug. Mehrere gut gefüllte Bücherregale und Ausdrucke prominenter, englischsprachiger Tageszeitungen. Außerdem startet nach dem Essen die Moderation.

Ein gigantisches Freilichtmuseum

Burg Liebenstein und Sterrenberg zur Linken, dazu die Legende der feindlichen Brüder. Bad Salzig zur Rechten, der Kurort mit dem heilsamen Wasser. Gibt es mal nichts an den Ufern zu sehen, erklärt die Moderatorin einige allgemeine Dinge zum Rhein und seinen Nebenflüssen Mosel, Main und Neckar. Es ist wie eine Fahrt durch ein gigantisches Freilichtmuseum. Die unschönen, die schmuddeligen Ecken, sie sind vom Fluss aus allerdings nicht zu sehen. An Bord ist heile Welt, an Land gibt’s nur die Sahnestückchen zu sehen. Genau das ist es aber auch, was die meisten Menschen von einem Urlaub erwarten.

„Ich hab gehört, das hier soll der schönste Teil des Rheins sein, es ist eine bekannte deutsche Weinregion“, erklärt eine Frau ihrem Mann. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht. Auf dem Tisch vor ihr liegt ein Reiseführer „Rhein“. Der Wein an Bord kommt allerdings vom Weingut Heinrich Vollmer in der Pfalz. Damit zwar nicht vom Mittelrhein, aber immerhin aus Deutschland. Ein anderer Gast ist schon einen Schritt weiter. Er schlendert mit einer Flasche Hochprozentigem, ich glaube es ist Whisky oder Cognac, über das Sonnendeck und sucht Mittrinker. Mit wenig Erfolg allerdings.

Hinter Kaub endet schließlich die Moderation. Bacharach, Lorch oder Assmannshausen bleiben außen vor. Zu meinem persönlichen Bedauern damit auch die Burg Sooneck. Immerhin wird sie von einigen Gästen fotografiert. Der danebenliegende Steinbruch fasziniert jedoch mehr. In der Lounge erklärt die Programmdirektorin der „Viking Kara“, was in den kommenden 24 Stunden auf die Gäste zukommt. Rüdesheim, Heidelberg, Speyer. „Denken Sie daran, bequeme Schuhe anzuziehen, wir sind hier in Europa. Da gibt es überall Kopfsteinpflaster, die werden ihre Straßen nicht extra für uns asphaltieren.“ Gelächter geht durch die Lounge. „Und wer an Bord bleibt, Sie wissen ja, in der Küche können wir immer Hilfe brauchen“, setzt die Programmdirektorin noch einen drauf.

Rüdesheim kommt in Sichtweite. Die Germania begrüßt uns von oben herab. Der Binger Mäuseturm lässt uns zollfrei passieren. Die Gäste verschwinden in ihre Kabinen, um sich für den Landgang fertig zu machen. Was sie in Rüdesheim erwartet? Es dürfte eng werden in der Drosselgasse. Allein drei weitere Viking-Schiffe zähle ich an den Anlegern der Stadt. Dazu noch weitere Schiffe anderer Anbieter. Der Markt für Flusskreuzfahrten scheint zu boomen. Das wird mir nicht erst jetzt klar. Wie viele der Gäste tatsächlich nochmal wiederkommen werden, um das Mittelrheintal besser kennenzulernen, vermag wohl niemand zu sagen. Der Rhein jedenfalls hat sich an diesem Tag von seiner besten Seite gezeigt. An ihm soll es nicht gelegen haben.

 

Und hier sind die Fotos zum Durchklicken:

3 Kommentare

  • Laurel Kerns-Haehn says:

    The photos are really reflective of the ships and of what a passenger sees. I know that many passengers hope for an intense experience. That experience requires more time spent. The Rhine and all of cultural treasures can only be briefly touched upon and for some, it’s adequate. When a flame is sparked, a return visit is the only solution. Those visitors are the ones the Rhine Valley needs to entice. And the region can hopefully be in a position to offer those guests exactly what they want. Good hotels with good food and drink, internet and atmosphere.

  • Dieter Rogge says:

    Vielleicht hätten es ein paar Reisenden-Kommentare mehr sein können. Für die Fremdenverkehrsleute vom Mittelrhein können es nicht geniug Hinweise auf Gefallen und Nichtgefallen sein.

  • Johannes Aufgebauer says:

    Wieder ganz großartig geschrieben! „Denken Sie daran, wir sind hier in Europa.“ Super Bilder. Sie machen das richtig gut, Herr Bröder!