Seepferdchen, Schwimmflossen und Streuobstkoordinatoren: Ich lasse mir mein neues Zuhause von seinen Herrschern erklären. Mein Bürgermeister-Bericht.
Das Mitterheintal ist ein Ort des Obskuren. Rund um die Loreley verschwand vor Kurzem ein ganzer Wald. Der Niederheimbacher Bratwurstzwerg hat plötzlich Flossen. An diesem Sonntag darf hier keiner Auto fahren. Und von oben sieht das Welterbe-Gebiet aus wie ein Seepferdchen. Aha. Um so eine Region besser zu verstehen, muss ich sie mir erklären lassen. Deshalb war ich neulich zu Besuch bei Bürgermeistern.
Heinz Wagner ist der Kummerkasten der Kommune. In seine Sprechstunde darf man jedes Anliegen tragen: Ein Nachbar hat sein Carport zu nah an die Straße gebaut! Da ist Unrat im Bächlein! Der Karnevalspräsident, der zugleich Ruderclubchef in Personalunion ist, hat etwas Wichtiges zu besprechen! Und ganz dringend: Warum hat der Bratwurstzwerg jetzt plötzlich Flossen? All diese Fragen soll der Niederheimbacher Bürgermeister an einem gewöhnlichen Donnerstagabend beantworten. Dabei ist Heinz Wagner von der Freien Wählergemeinschaft Bürgermeister im Ehrenamt. Tagsüber arbeitet er bei der Deutschen Bahn in Frankfurt, dann pendelt er zurück ins Tal und sitzt ab 20 Uhr im Bürgerhaus, einem etwas verlassen wirkenden Gebäude mit Linoleum-Fußboden. Für die Burgenbloggerin, deren Blog er nicht liest, findet er auch dann noch Zeit, wenn sie ihn bereits ein Mal versetzt hat. Wir reden über Stromquellen und öffentlichen Nahverkehr, über die Feuerwehr und die letzte Kneipe im Ort.
Das sind also Themen in Niederheimbach. Doch was hat es mit dem Bratwurstzwerg auf sich? Ich recherchiere nach. Hans Henn, ein Niederheimbacher (aber Achtung, ein Zugezogener, ein ZZ, wie sie hier sagen) erklärt mir die Sache mit dem Anschlag auf den Bratwurstzwerg: Am Fähranleger in Niederheimbach ist ein Zwerg auf die Mauer gemalt. Schon immer, keiner kann sagen, seit wann. Der Zwerg ist da, weil Niederheimbach früher bekannt war für sein Märchenhain. Eine Art Skulpturenausstellung mit Dornröschen & Co. Die Bratwurst hatte der Zwerg angeblich deshalb in der Hand, weil das Niederheimbacher Volksfest nun mal „Bratwurstkerb“ heißt. Auch das war schon immer so, keiner kann sagen, seit wann. Oder warum. Und nun hatten sich Strolche einen Streich erlaubt und den Bratwurstzwerg an der Fährmauer neugepinselt. Statt der Bratwurst hielt er jetzt Schwimmflossen in der Hand. Ein Maler hat das Ganze eiligst wieder korrigiert (Zitat Henn: „Der Kalli lässt uns nicht im Stich, die Wurst hat wieder ihren schwarzen Strich“). Mein Informant meint dazu:„Irgendwie lustig, aber die Idee war nicht so gigantisch gut. Die haben wirklich in ein Wespennest gestochen.“ Dieses Thema treibt nun also die Niederheimbacher um und damit auch ihren tapferen Bürgermeister (An dieser Stelle darf die Burgenbloggerin nicht zugeben, dass sie weiß, wer es war…)
Nächster Termin in Oberwesel: Als Bürgermeister der Verbandsgemeinde St.Goar-Oberwesel schlägt sich Thomas Bungert (CDU) mit anderem herum. Er baut Aussichtstürme, organisiert Altenpflege, stellt Streuobstkoordinatoren ein. Bungert trägt ein rotes Kurzarmhemd, glattrasierten Schädel und Goldkettchen. Man verzeiht es ihm, er ist ein echter Typ. Der Mann fährt hier Wahlergebnisse von Putinschem Ausmaß ein, ohne Gegenkandidaten freilich. Mit seinen Mitarbeitern scheint er ein kollegiales Verhältnis zu pflegen, alle hier haben ein Grinsen im Gesicht. Auch in Bungerts Büro begegnen mir Tiere: Das Gebiet der Lokalen Arbeitsgruppe Mittelrheintal sieht aus wie ein Seepferdchen, lerne ich.
Thomas Bungert ist also der Typ „Macher“. Sein engster Vertrauter Michael Parma ist der Geschäftsführer der Lokalen Aktionsgruppe. Die beiden müssen im Doppelgespann eine Zumutung sein für jene, die wie Helmut Schmidt Menschen mit Visionen zum Arzt schicken wollen. Gemeinsam sorgten Bungert und Parma dafür, dass 2003 ein Stuntman mit dem Motorrad über den Rhein rasen konnte. Vom Loreleyplateau über mehr als 500 Meter Seilstrecke hinüber nach Maria Ruh, mit 14 Salti in der Todesspirale. Bungert und Parma lachen noch heute über den irren Organisationsaufwand. Bungert sagt: „Wenn jemand sagt, das geht nicht, dann wird’s für uns interessant.“ Vor 14 Jahren ist er hergekommen, als Zugezogener. Er weiß inzwischen: „Man darf die Gutmütigen im Mittelrheintal nicht deprimieren.“ Neumodisch würde man es wohl „Empowerment“ nennen, was die hier machen. Sie helfen den Menschen Anträge für EU-Fördergelder zu stellen. Sie beraten, sie vermitteln, sie erlauben sich zu spinnen. Deshalb waren sie auch so wütend, als der Welterbebauftragte im Burgenblogger-Interview sagte, die Mittelrheiner brödelten herum.
Ich bekomme eine Liste in die Hand gedrückt. Projekte, die mit EU-Fördergeldern im Mittelrheintal umgesetzt werden sollen. Zum Beispiel, ich zitiere auch die Anmerkungen:
- Besucherbergwerk Bacharach
- Sky-Walk bei Maria Ruh (Eine Hängeseilbrücke wäre der Hammer, würde sicher von der UNESCO-Kommission abgelehnt werden)
- Der mobile Landarzt
- Audiovisuelle Zeitreise zu Hildegard von Bingen
- Fußfühlpfad St. Goarshausen
- Eine Tracht für das Mittelrheintal
Ganz unten auf der Liste versteckt sich übrigens auch die strauchelnde Gästekarte Romantischer Rhein. Doch egal, was nun der eine oder die andere vom anvisionierten Fußfühlpfad halten mag. Hier wird was gemacht. Seit dem Jahr 2002 wurden 101 Projekte mit den Geldern aus dem EU-Topf des Leader-Programm gefördert, rund 12 Millionen Euro wurden investiert.
Wer schon mal stundenlang in einer Bezirksausschusssitzung gesessen hat und Menschen beim Nasebohren zugeguckt hat, der weiß lokalpolitisches Engagement zu schätzen. Es fasziniert mich immer wieder, wenn Menschen sich für das Leben vor ihrer Haustür interessieren. Ich finde Kommunalpolitiker klasse. Die lassen sich beschimpfen und machen trotzdem weiter. Deshalb habe ich den größten Respekt vor Menschen, die die Mühen der Ebene nicht scheuen, sich für kein Gespräch zu schade sind, die Anträge stellen und mit Behörden schattenboxen. Die Bratwurstzwerge am Mittelrhein wollen ernst genommen werden!
Wenn bei all dem noch Platz zum Träumen bleibt, will ich hoffnungsfroh sein. Der Niederheimbacher Bürgermeister Wagner wünscht sich zum Beispiel eine Mountainbike-Strecke für Downhillfahrer in Niederheimbach. Steil genug sind die Hänge allemal, kann die leidgeplagte Burgenbloggerin bestätigen. Den Vorschlag für eine Bundesgartenschau im Mittelrheintal kommentiert Bürgermeister Wagner aber so: „Da muss noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen“. Bungert, sein Kollege aus der Verbandsgemeinde St. Goar-Oberwesel, erzählt unterdessen, wie er mal drei Jahre lang dafür gekämpft hat, dass die Züge bei der Ortsdurchfahrt nachts nicht mehr tuten. Es war ein zähes Ringen. Bungert hat was gegen die „geborenen Bedenkenträger“, aber er weiß auch: „Man kann die Mentalität der Menschen nicht über Nacht ändern.“
Es ist wie überall am Rhein: Es gibt wohl verschiedene Fließgeschwindigkeiten. Oder, um nochmal Helmut Schmidt zu zitieren: „Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie.“ Ich kann jedenfalls nur empfehlen: Besuchen Sie doch mal Ihre zuständigen Bürgermeister!
PS: Achherrje, sorry Herr Wagner, die Bezirksversammlung diese Woche, die hab ich schon wieder verpennt. Dabei soll es ja sogar was zum Lachen gegeben haben…
2 Kommentare
…für diese Erinnerung. Sie ist nun kein Gehaichnis mehr.
Vom Märchenhain hat mir mein Vater berichtet. Als ich selbst noch ein kleiner Zwerg gewesen bin, waren wir wohl mal dort. Danke