Bier, Blues und Pola Pola

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Bernie, der Mann am Hahn.
Bernie, der Mann am Hahn. (Fotos: Timo Stein)

Ich folge den schmusigen Gesängen der Loreley und lande bei Kippe, Bier und The Black Crowes. Ein Besuch in Bernies Blues Bar.

Normalerweise fährt man mit 100 Sachen daran vorbei. Auf der Fahrt zur Loreley ist sie zunächst nur ein kerniger Blitz im Winkel. Das Gedächtnis rekonstruiert dann ein Bild. Baut ein staubiges Haus. Rechtsrheinisch. Einsiedlerisch. Eingeklemmt zwischen Rhein, Straße und Bahnschiene.

„Moment! Blues Bar?“ liest man, denkt man, spricht man – obwohl schon längst daran vorbei. Der Verstand sagt: eine Veranda auf zwei Garagen gebaut, ein Autohof in Disneyland. Die Fantasie ruft: „Titty Twister!“, die Vampirbar aus „From Dusk till Dawn“.

Und sofern da noch ein paar neugierige Zellen in dem ansonsten restlos vertrockneten Leibe auf Standby stehen, nimmt man den Fuß vom Gas und dreht um.

Der Ruf der Loreley ist dann längst verhallt. Weil ein anderer Gesang ertönt, ja übertönt, dem es zu folgen gilt. Eine betörende Rocknummer, die dann von Bernies Blues Bar ausgeht.

In Bernies Blues Bar macht die serbische Köchin das Pola Pola noch selbst.Doch im Unterschied zum Titty Twister warten hier keine mexikanischen Drogenbosse, kein barbusiger Table-Dance und auch keine Vampire. Hier gibt es Cevapcici, Blues und natürlich – Bernie.

Draußen auf der Veranda hängen bunte Plakate, süffiges Alsfelder wird angepriesen, „Heute Steak“ steht auf einem Klappschild, ein alter Gitarrenriff surrt aus dem Innern. Dem Sound folgend, betritt man einen Raum mit weißen Kacheln, die Bar eine Mischung aus einer 90er-Jahre Eisdiele mit Spurenelementen eines American Diner. Rechts die Theke, links die Tische, dahinter eine große Fensterfläche.

Der Gast geht vorbei am Zigarettenautomaten ohne Altersbeschränkung mit D-Mark-Etikett, an Postern und Alben, an Deep Purple, Led Zeppelin, an David Gilmour und Jim Morrison. Die Bar öffnet sich im letzten Drittel, der Blick des Kommenden wird an der Theke entlang auf das Heiligtum am Ende des Raumes gelenkt. Dort steht Bernies Schlagzeug. Rot lackiert, glänzend poliert.

Bernies wuchtiger Leib schließt am Kopfende mit einem kühn gebundenen Pferdeschwanz ab. Das ovale Gesicht schlicht bebrillt. Der graue Bart auf Temperatur. Road-Trip steht auf seinem blauen Shirt.

Bernie der Barbesitzer heißt im richtigen Leben Bernhard Schiffmann und kommt ursprünglich von der „Ebsch Seit“, wie er sagt. Von der anderen Rheinseite aus einem kleinen Dorf bei Ingelheim. Eigentlich kam der 65-jährige nur zum Wandern an den Mittelrhein nach St. Goarshausen. Vor zehn Jahren war das. Damals kriselte seine Ehe. Um sie zu retten, ging er mit seiner Frau den Rheinstieg. Das half aber nicht. Die Ehe ging kaputt. Was blieb, war die Bar.

„Ich kam hier oben vorbei, habe das Haus gesehen und war sofort verliebt“, erinnert sich Bernie. Die Bar eröffnet er dann 2012. „Was ist das für ein Spinner? Macht eine Blues Bar an der Loreley auf“, hörte er von Ureinwohnern.

Bernie ließ sich nicht beirren. Er hatte einen Traum. Heute kommen die Gäste wegen der Livemusik. Das typisch röhrende Kneipenpublikum hat er nicht. Und die Musiker kommen aus aller Welt. „Ich mache das auf Hut“, sagt Bernie. Der geht dann rum, die Musiker gehen im Schnitt mit 270 Euro raus. Und trotzdem kommen sie. Weil es ein Ort der Musik ist. Weil er echt ist.

Martin Gerschwitz zum Beispiel. „Der kommt zwei Mal im Jahr hier durch“, sagt Bernie. Der lebt in L.A. und war mal Keyboarder bei „Iron Butterfly“. Die hatten Ende der 60er mit In-A-Gadda-Da-Vida einen Welthit. Ein episches 17-Minuten-Stück mit legendärem Schlagzeugsolo. Der vernuschelte Titel war sehr wahrscheinlich Resultat eines Wein- und/oder LSD-Rausches. Das ist heute nicht mehr eindeutig zu klären. Wenn Gerschwitz und Band dieses Lied spielen, weiß jeder in der Bar Bescheid. Dann rufen sie „Böörnie, Böörnie“. Es ist sein Lied. Sein Solo. Dann setzt er sich hinter sein rotes Schlagzeug und legt los.

Bernie ist auch Musiker. „Irgendwann kam ein Engel vorbei und hat gesagt: Bernie, du musst Schlagzeug spielen.“ Mit 14 war das. Bevor der Engel kam, schenkte ihm seine Mutter ein Akkordeon. Das Schifferklavier feuerte er damals entnervt ins Gebüsch. 1965 hat er mit drei Freunden den Keller ausgeräumt. Die erste Band war geboren. „Das war schon geil“, erinnert sich Bernie, öffnet das Haar, legt das Gummi an und bindet den Zopf neu.

Das Geschäft, die Bar, könnte besser laufen. Die Entwicklung am Mittelrhein, gerade auf der strukturell schwächeren rechten Rheinseite, macht ihm große Sorge. „Der Tourismus ist hier im Niedergang. Hier fahren unzählige dieser riesigen Hotelschiffe vorbei. Aber die halten ja nicht. Der normale Tourismus ist weg.“

„Ich habe viel Publikum von der anderen Seite angezogen“, erinnert sich Bernie. Seit 2016 fährt die letzte Fähre wieder um 22 Uhr 30. Die Gäste bleiben aus „Die kotzen hier alle“, schimpft Bernie. Gerade die Gastronomie und die Handwerksbetriebe. „Ich bin der festen Überzeugung, wenn die Brücke nicht angegangen wird, dann stirbt diese Region.“ Es hänge an dem Landrat in Simmern, Geld sei genug da.

Eigentlich ist Bernie durch und durch Sozialdemokrat. Eigentlich ist er ein durch und durch politischer Mensch. Er kennt sich sehr gut aus, kann politische Prozesse bis ins Detail rekonstruieren. Die SPD hatte 2011 vor der Landtagswahl eine dauerhafte Rheinquerung versprochen. Für Bernie auch ein Argument, nach St. Goarshausen zu ziehen und seine Bar zu eröffnen. Die Brücke kam nicht. Bernie trat aus der SPD aus. Insofern steht er auch symbolisch für das Dilemma der SPD, die in den letzten Jahren viele engagierte Bernies verloren hat.

Nicht nur von der SPD ist er enttäuscht. Ihm fehlt der Zusammenhalt in der Region. „Das Etikett ‚Weltkulturerbe’ sollte ja auch die Gemeinden zusammenbringen“, sagt er. Das sei nicht wirklich geschehen. Jeder wurschtele hier vor sich hin. Egal ob Kaub, Oberwesel, St. Goar oder St. Goarshausen. Kaum einer schaue über den kommunalen Tellerrand. „Fragst du nach einem Wanderplan für den Mittelrhein, dann kriegst du eine ganze Wand von Plänen gezeigt rund um die eigene Gemeinde.“

Das ambitionierte Projekt einer Bundesgartenschau im Jahre 2031 für die gesamte Region Oberes Mittelrheintal sieht er sehr kritisch. „Ich halte das für einen ausgewachsenen Schwachsinn“, gibt Bernie zu Protokoll. Es fehle eine infrastrukturelle Grundlage. „Wenn ich die Buga-Leute frage, wie denn Tausende den Fluss queren sollen, dann bekomme ich zur Antwort, ach Bernie, darüber unterhalten wir uns heute doch noch nicht.“ Bernie schüttelt den Kopf und reißt die Brauen hoch. „Wenn wir über Jahrzehnte nicht einmal in der Lage sind, eine Brücke zu bauen oder einen simplen Radweg…“, er zeigt auf das rostige Geländer am Rand der Straße, „das ist noch von Hitler! …Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, dann ist alles andere ein Hirngespinst.“

Das Lächeln kommt zurück, als Bernie ein paar alte Scheiben auflegt. Er schmeißt „The Black Crowes“ rein, der Kopf wippt, die Gesichtszüge entspannen, Bernie singt mit. Die Band hat ihn in den 90ern wieder inspiriert. Er war völlig von den Socken, als er sie zum ersten Mal hörte. The Black Crowes gibt es heute nicht mehr. In Bernies Blues Bar aber sind sie lebendig. „Das sind Leute, die existieren durch ihre Musik“, sagt Bernie, öffnet das Haar, bindet es neu und wippt.

4 Kommentare

  • Gerhard Hilgert says:

    Bernie ist wie ein Leuchtturm in der politischen Dunkelheit des Mittelrhein-Tals. Er kämpft für seine Idee im Tal und seine Vision für das Tal, er kämpft für seine Musik und bringt professionelle Bands und engagierte, gute Amateure in seine Bar. Er und sein Engagement sind eine Bereicherung für die Region.
    Natürlich verdient er 300 Gäste. Aber wo sollen die denn Parken. Die Blues Bar hat kaum Parkplätze und in St.Goarshausen sind fast alle Parkplätze schon von den Einwohnern oder den Linienbussen belegt. Und wieviel Umweg sollen sie in Kauf nehmen, wenn keine Fähre mehr fährt.
    Analog zu den Fahrrädern, die in vielen Ballungszentren zur urbanen Mobilität angeboten werden, empfiehlt er sparsame Infrastruktur-Politiker aus Mainz Ruderboote beidseits des Rheins, mit denen Bürger und Touristen individuell übersetzen können.
    Was ist meine Diagnose:
    Die Politik in Rheinland-Pfalz ist nicht an der rechten Rheinseite sowie dem Rhein-Lahn Kreis interessiert.
    Mein Lösungsvorschlag:
    Im Rahmen einer Länder-Gebietsstrukturreform wird die rechte Rheinseite inklusive des Rhein-Lahn Kreises mit den Gebieten zwischen Rhein bis Lahnstein und Lahn bis Limburg an das Land Hessen übertragen. Effekt ist,
    1. daß die rechte Rheinseite eine konsequente Anbindung an das Rhein-Main-Gebiet erhalten wird.
    2 .die notwendige Rheinquerung, wie auch immer sie technisch gelöst wird, von 2 Bundesländern finanziert wird, was am Ende für die Sparbrötchen in Mainz ja auch billiger sein wird.

    Wenn das Rheintal und sein Umfeld keine Chance zur Entwicklung erhält, werden wir alle, auch Bernie mit seiner Blues Bar, als bedauernswerte Exponate im Weltkulturerbe des Mittelrheintals verkümmern und von nachfolgenden Generationen bestaunt.

    • Henk says:

      Herr Hilgert hat das rechtrheinische Problem sehr gut erkannt und eine tolle Lösung vorgeschlagen. Der zögerliche Ausbau der B42 / Schranke Rüdesheim und der sogenannten Bäderstrasse wäre kein Thema mehr.

  • Lothar Simonis says:

    DAs ist einfach nur ein toller Laden und Bernie ist so athentisch, nur schade, die BluesBar hätte mehr Zulauf verdient, immer tolle Musik, ein immer gutgelaunter Wirt, was will man mehr….ich weiß wovon ich rede, rocke selbst mit TNO da öfter..!!!

  • sehr guter Schreibstil, mal nicht so furztrocken wie das sonst so gemacht wird. Und danke, dass es wieder einen Burgenblogger gibt, der unters Volk geht und Augen und Ohren offenhält. Und danke für die Hommage an Bernies Blues Bar . Die Erinnerung an die „Titty Twister Bar“ aus „From dusk till dawn“ ist superb.. Weiter So Timo